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»Scheinlösung für ein Scheinproblem«: Merz und sein »Stadtbild«
Was will Friedrich Merz mit seinem »Stadtbild«-Begriff erreichen? Ein Gespräch mit dem Stadtforscher Johann Braun
Friedrich Merz sorgt mit seinen Äußerungen zum »Stadtbild« wiederholt für Aufsehen. Sie sind Stadtforscher – wie ordnen Sie das ein?
Mir kommt es so vor, als wäre das so eine Mischung aus kalkulierter Kampagne und plötzlichen, meist rassistischen Impulsen. Kalkuliert in dem Sinne, dass es sich natürlich einreiht in ähnlich rassistische Äußerungen gerade aus den Unionsparteien. Ich denke hier an Seehofers Setzung der Migration als »Mutter aller Probleme«. Durch einen radikalisierten Konservatismus der Merz-CDU/CSU setzt sich das logisch fort: Merz normalisiert jetzt als Kanzler, was Jörg Meuthen (AfD) vor fünf Jahren gesagt hat.
Inwieweit hat das mit der Realität zu tun?
Ich denke, dass sich Merz mit dieser Problematisierung eines Stadtbilds auf der einen Seite und der Abschiebung als Lösung auf der anderen Seite auf völlig postfaktisches Terrain begibt. Setzt man die Zahl der Städte und Gemeinden in Deutschland ins Verhältnis zu der Zahl derjenigen, die im juristischen Sinn unmittelbar ausreisepflichtig sind, sieht man: Selbst wenn diese rund 40 000 Menschen (Stand 2024) abgeschoben werden würden, was ja weder leicht noch vertretbar ist, würde das an dem sogenannten Stadtbild nichts ändern. Somit handelt es sich hier um eine Scheinlösung für ein Scheinproblem. Was bleibt, ist Merz’ Angriff auf Deutschlands postmigrantische Gesellschaft und seine maskulinistische Inszenierung bedrohter Frauen.
Johann Braun ist Humangeograf an der Universität Heidelberg. Im Schnittfeld von Stadtforschung und Politischer Geografie forscht und lehrt er zu rechten Stadtpolitiken und raumbezogenen Vorstellungswelten. 2024 veröffentlichte er seine Dissertation »Stadt von Rechts. Über Brennpunkte und Ordnungsversuche« im Verbrecher Verlag, Berlin.
Denken Sie, dass es sich um einen kalkulierten Tabubruch handelt?
Tabubrüche hatten wir in den letzten 15 Jahren immer wieder von der AfD. Aber seit die Union sich in der Opposition vollends der Idee eines radikalisierten Konservatismus verschrieben hat, kommen vor allem rassistische Einlassungen von Merz und Söder in einer neuen Taktung und Qualität, flankiert von Linnemann und Spahn.
Gibt es so etwas wie ein tradiertes Stadtbild der Neuen Rechten?
Merz ruft da etwas auf, was eine lange Geschichte hat bei Konservativen und Rechten, holt eine kulturpessimistische Deutung in die öffentliche Debatte. Womit er Themen der politischen Rechten normalisiert.
Was steckt da für eine Ideologie dahinter?
Wenn Merz über das Stadtbild spricht, problematisiert er Stadt in erster Linie als Ort der Fremdheitserfahrung. Diese Fremdheit deutet er rassistisch aus und sieht Rettung einzig im autoritären Eingriff ins städtische Alltagsleben. Das rührt an das, was Konservative und Rechte seit den 1850er Jahren im deutschsprachigen Diskurs als Grundansichten von Stadt und Gesellschaft offenbaren. Die Stadt ist ihnen zu schnell, zu fremd, zu dicht. Sie gehen dann entweder aufs Land, suchen die Verwurzelung in der Natur, kehren zurück zum scheinbar Althergebrachten. Das ist Eskapismus. Die andere Bewegung war aber immer auf die Stadt ausgerichtet. Sie wollten den Kampf in der Stadt führen, um eine nationale Wiedererweckung gegen den Weimarer Liberalismus zu organisieren. Flankiert von einer Riege nationalistischer Autor*innen wie Oswalt Spengler oder Ernst Jünger. Die rechte Auseinandersetzung mit Stadt eint, mit Volker Weiß, eine Erzählung von »Untergang und Rettung«. Die Gegenwart von Stadt und Gesellschaft steht hier für den Niedergang und das Chaos, für ein falsches Leben unter Fremden in einer ungeheuren Kulisse. Rettung verspricht der Aufbruch in eine neue Stadt, in eine neue Gesellschaft. In exklusiver Stadt- und Volksgemeinschaft, autoritär regiert und repressiv gegen Abweichung in Kultur, Moral oder Politik.
Also ist die Stadt in dieser Erzählung immer schon unsicher?
Ja, sie ist unkontrolliert, da herrscht keine Ordnung mehr. Da fehlt der Zugriff von einem starken Staat, der da mal so richtig durchregiert. Und das schlägt sich auch auf einer ästhetisch baulichen Ebene nieder, auf die Beton-Moderne und die Gebäude, die irgendwie seelenlos sind. Mit sehr vielen ästhetischen Begriffen, die mit einer gebauten Umwelt ein Problem haben, in so einer kulturpessimistischen Rhetorik gesprochen. Die Rettung ist immer ein Gegenbild und auch ein Zukunftsentwurf mit einem nostalgischen Vergangenheitsbezug. Aber es ist immer auch darauf ausgerichtet, einen Aufbruch zu organisieren.
Mit einem faschistischen Moment?
Genau. Es gibt da einen Aufbruch in eine Zukunft und diese Zukunft orientiert sich aber an etwas, was sie als ewig richtig definieren, an ewigen moralischen Werten, kulturellen Richtlinien, Natur etc. Schlussendlich ist das eine lange historische Linie, in die sich Merz einreiht: Nämlich politische Themen im Vorpolitischen zu verhandeln. Da ist die Stadtbild-Debatte ein ganz typischer Move. Dabei erfolgt immer wieder der Rückzug auf den Standpunkt: »Hier geht’s doch gar nicht um tiefgründige politische Fragen, sondern es geht eigentlich um etwas Ästhetisches, um eine persönliche Erfahrung: Ich laufe durch Städte und irgendwie sehen die anders aus, als ich es gewohnt bin.« Das ist banal, aber diese Banalität ist eine ganz gezielte politische Strategie: Merz, wie auch die Rechte verhandeln hier im vorpolitischen Raum, in dem es um Schönheit und Ästhetik und diese Dinge geht, hochpolitische Themen. Hier ringen sie um politische Hegemonie, hier findet Kulturkampf statt. Deswegen ist in Merz’ Stadtbild-Provokation bereits ein anderer Städtebau anglegt, der beispielsweise alte prädemokratische Bauten rekonstruiert und darüber Geschichtsrevisionismus betreibt: Eine andere Sicherheitspolitik, die gerade öffentliche Räume autoritärer regiert. Ein stärkerer moralisch-politischer Eingriff in die individuelle Lebensführung. Und wie zuletzt ein repressiveres Vorgehen gegen die demokratisch-kritische Zivilgesellschaft.
Wollte er damit gezielt Rechtsradikale ansprechen?
Ich denke, er wollte die einfangen, die sagen: »Ich fühle mich unsicher in der Stadt«, aber von sich selber nicht sagen würden, dass sie rechts sind, sondern dass sie eine besorgte bürgerliche Mehrheit seien, ein konservatives bürgerliches Milieu, christlich orientiert. Ansonsten ist es Merz’ tiefe politische Überzeugung. Das, was er in der Debatte geäußert hat, ist im Kern das, was er sich auf einer kulturpolitischen Ebene vorstellt.
Was denken Sie, ist gefährlicher?
Ich würde sagen, das ist bedrückender. Eine Strategie lässt sich einfacher ändern als eine Haltung – die geprägt ist von rassistischen Deutungen von Gesellschaft. Zugleich spielt er der sogenannten Neuen Rechten in die Karten, die seit jeher Merz’ stadtfeindliche Äußerungen vertritt. Dafür reicht ein Blick in die einschlägigen Zeitschriften, von »Sezession« bis »Cato«. Zugleich frohlockt diese Neue Rechte, da doch scheinbar ihre Strategie aufgeht, einen elitären, rechten Konservatismus in der politischen Kultur zu etablieren. Auch wenn dieser Erfolg zweifelhaft ist, ein Wolfram Weimer als Kulturstaatsminister ist zumindest die personelle und inhaltliche Brücke zwischen den Milieus.
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