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Bauern wehren sich gegen mehr Dünge-Beschränkungen
Um die Nitratbelastung des Grundwassers zu senken, müssen Landwirte in roten Zonen 20 Prozent weniger Stickstoff düngen
Die Ansichten der am Mittwoch vom Agrarausschuss des Brandenburger Landtags angehörten Experten zeigen eine bemerkenswerte Übereinstimmung. Das ist dem Abgeordneten Gordon Hoffmann (CDU) aufgefallen. Er benennt zielsicher, woran das wohl liege. Es sind die im Parlament sitzenden Parteien, die vorschlagen, welche Fachleute eingeladen werden. Die Zusammensetzung des Parlaments hat sich aber mit der Wahl 2024 verändert. Es ist weniger Farbe drin, wie Hoffmann sagt. Die Grünen sind nicht mehr im Landtag. Es fehlt auch die Linksfraktion, die in der Vergangenheit mit Abgeordneten wie Dagmar Enkelmann und Carsten Preuß ein Herz für die Umwelt hatte. Nun ist niemand mehr da, der auf die Idee käme, Naturschützer zu fragen, wie die Nitratbelastung des Grundwassers mit der Landwirtschaft zusammenhängt.
Zu Wort kommt stattdessen Hendrik Wendorff. Er wird als Vizevorsitzender des Forums Natur vorgestellt. Das klingt nach einer Umweltschutzorganisation. Die Bezeichnung ist aber irreführend. Im Forum Natur sind Bauern, Jäger, Angler, Fischer sowie die Windenergiebranche vereint, die immer wieder Konflikte mit Naturschützern austragen. Wendorff ist Landesbauernpräsident. Entsprechend äußert er sich: »Kein Landwirt möchte Nitrat im Grundwasser haben. Wir wollen es bei den Pflanzen haben, da, wo es hingehört. Es ist aber in der Natur nicht zu vermeiden.«
Wendorff fordert die sofortige Aufhebung der brandenburgischen Düngeverordnung. Fast gleichlautende Verordnungen haben alle Bundesländer. Die Ausführungsbestimmungen der bayerischen Fassung sind im Oktober vom Bundesverwaltungsgericht gekippt worden. Rechtsanwalt Konrad Asemissen von der Deutschen Gesellschaft für Agrarrecht sieht damit die Notwendigkeit und eine Chance, Korrekturen bei der Ausweisung roter Gebiete vorzunehmen. In solchen Gebieten mit hohen Nitratwerten sind Landwirte verpflichtet, 20 Prozent weniger mit Stickstoff zu düngen.
Das bedeute aber weniger Ertrag, erklärt Elard von Gottberg von der Fiener Agrargenossenschaft Ziesar, die 3000 Hektar bewirtschaftet. Weil der Pflanzenanbau dem Boden Stickstoff entziehe, müsse gedüngt werden. Die daraus folgende Nitratbelastung lasse sich verringern, aber nicht verhindern, sagt von Gottberg den Abgeordneten. »Nitrat selbst ist nicht giftig. Wir können ohne Bedenken Wasser trinken«, beteuert er. In Brandenburg gehe von Nitrat im Trinkwasser keine Gefahr aus, aber weltweit hungern 800 Millionen Menschen und Zehntausende verhungern, wirbt der Landwirt für das Düngen.
Doch mit Andreas Kutsche (BSW) hört ihm ein Abgeordneter zu, der von Beruf Krankenpfleger ist und Zweifel anmeldet. So viel hat er in seiner Aus- und Weiterbildung mitbekommen, dass nitrathaltige Lebensmittel für Schwangere und Säuglinge schädlich seien und vielleicht sogar krebserregend.
So ähnlich ist es beim Naturschutzbund nachzulesen: Zu hohe Nitratkonzentrationen im Trinkwasser seien besonders für Schwangere und Kleinkinder gesundheitsschädlich. Wasserbetriebe müssen das Wasser deshalb aufbereiten und die Kosten würden nicht den Verursachern aufgebürdet, sondern den Konsumenten.
Doch es ist kompliziert. Bauernpräsident Wendorff ist seit 28 Jahren Landwirt in Märkisch-Oderland. Seit 24 Jahren ist er dort Biobauer. In diesen 24 Jahren hat er nach eigenen Angaben nur einmal Gülle auf seinen Feldern ausgebracht und zweimal anderen Dünger. Dennoch befindet er sich in einer roten Zone. An seinem Ökolandbau könne es nicht liegen, sagt Wendorff. Er fordert für sich und andere Betroffene »Verursachergerechtigkeit«, also die Möglichkeit, bei nachweislicher Unschuld von Einschränkungen in roten Gebieten ausgenommen zu werden.
Zwar gibt es in Brandenburg 1000 Messstellen. Doch »50 Meter weiter können ganz andere Verhältnisse herrschen, jeder Quadratmeter Boden ist anders«, argumentiert Wendorff. Er wehrt sich gegen die ihm fehlerhaft erscheinende N2-Argon-Methode, die das Verhältnis des Gases Argon zum Stickstoff bestimmt. Wenn klassisch das Nitrat im Grundwasser gemessen werde, komme man in Brandenburg meist auf weniger als ein Milligramm pro Liter. Das liege weit unter dem zulässigen Grenzwert von 50 Milligramm. Darum seien auch nur 6,5 Prozent der Landesfläche rotes Gebiet. Mit der N2-Argon-Methode würden Werte von 75 Milligramm berechnet und bis zu 40 Prozent der Flächen würden künftig als rote Zonen ausgewiesen.
Der Sachverständige Professor Frank Eulenstein vom Verein für umweltgerechte Düngung bestätigt Wendorffs Aussagen. »Wir haben in der deutschen Landwirtschaft ein echtes Nitratproblem. Das ist nicht wegzudiskutieren«, gibt Eulenstein unumwunden zu. Doch das Problem bestehe im Nordwesten, wo auf engem Raum viele Rinder und Schweine gehalten werden – zwei bis drei Großvieheinheiten je Hektar. In Brandenburg seien es nur 0,3 Einheiten. Darum sei die hiesige Landwirtschaft mit ihrem Dünger kein Problem. Der Sachverständige warnt davor, heute die Lage nach Messungen von Regenwasser zu bewerten, das vor 90 Jahren versickert sei.
Auf einem Acker verdunste übrigens weniger Wasser als auf anderen Flächen. Unter ihm bilden sich in einem Jahr auf 10 000 Quadratmetern aber 1000 Kubikmeter Grundwasser, das einen Marktwert von 2500 Euro habe, rechnet Eulenstein. Mit 50 Doppelzentnern Roggen, die ein Bauer dort ernten könne, mache er nur halb so viel Geld. Eulenstein versichert: »Landwirtschaft produziert Grundwasser und wertvolle ökologische Feuchtgebiete.«
Brandenburg habe den Vollzug seiner Düngeverordnung nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ausgesetzt, berichtet Agrarstaatssekretär Stephan Nickisch. Das überrascht den Ex-Landtagsabgeordnetem Carsten Preuß, der nach wie vor Landesvorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz ist und zugehört hat. Preuß begrüßt, dass die Düngeverordnung immerhin nicht komplett ausgesetzt wurde. Die Gerichtsentscheidung zu Bayern verlange schließlich nur ein Nachschärfen der Bestimmungen. Preuß verurteilt deshalb Versuche, »die Düngeregelungen insgesamt zu kippen und Umweltstandards abzubauen«.
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