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Schultreik: »Frieden ohne Drill und Gehorsam«
Phil vom »Schulstreik gegen Wehrpflicht« über eine Jugend, die gegen Aufrüstung kämpft
Am 5.12. streikt ihr bundesweit an Schulen gegen die Wehrpflicht. Warum?
Wir sind gegen die Wehrpflicht, weil wir kein Interesse daran haben für einen Staat, der uns nicht beachtet, zu sterben und zu töten. Außerdem wollen wir selbst entscheiden, wie wir unsere Zukunft leben, nämlich in Frieden, ohne Drill und Gehorsam. Mit dem Streik wollen wir ein klares Zeichen gegen Militarisierung und Krieg setzen.
Wie kam es zur Gründung der Initiative?
Die Wehrpflicht soll über den Kopf der Jugend hinweg wieder eingeführt werden. Vor ungefähr zwei Monaten haben sich Schüler*innen aus ganz Deutschland, die keine Lust darauf haben, zusammengetan und die Initiative gegründet. Sie ist an mehreren Orten angewachsen und dann eine bundesweite Initiative geworden – die jetzt in über 90 Städten Streikkomitees gegründet hat.
Wenn es um die Perspektive von Schüler*innen in der Wehrpflichtdebatte geht, zitieren Medien oft die Bundesschülerkonferenz. Deren stellvertretender Generalsekretär sagte kürzlich in den »Tagesthemen«, durch ein freiwilliges Verfahren würden sich genug Jugendliche für den Wehrdienst finden, weil die Jugend »leisten wolle«. Stimmt das?
Ich würde der Aussage zustimmen, dass die Jugend theoretisch was leisten möchte. Aber nicht im Militär, sondern für ihre eigene Zukunft. An den jährlich schrumpfenden Zahlen der Rekruten sehen wir, dass die Freiwilligkeit kein ausreichendes Mittel sein wird, um die Zahlen zu erreichen, die die Bundesregierung möchte. Indem sie diese unrealistisch hoch setzt, führt sie im Namen eines freiwilligen Wehrdienstes eigentlich schon die Wehrpflicht selbst ein. Die Einschätzung der Bundesschülerkonferenz teile ich nicht. Sie agiert eigentlich sehr abgehoben von der Schülerschaft und vertritt nicht wirklich deren Themen.
Phil Werring ist 17 Jahre alt und besucht das Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium in Münster. Dort ist er auch im lokalen Streikkomitee von »Schulstreik gegen Wehrpflicht« aktiv.
Wie ordnet ihr die Wiedereinführung des Wehrdienstes in den Kontext anderer politischer Entwicklungen ein? Ich denke da an den Rechtsruck, die Wirtschaftskrise oder Verschärfungen in der Asylpolitik.
Wir sagen, dass das zusammen einhergeht und keine getrennten Entwicklungen sind. Es geht darum, die Gesellschaft immer mehr zu formieren: hinter dem Expansionsdrang, stetig neue Märkte zu erschließen. Die Wirtschaftskrise kann nicht mehr durch Investitionen bewältigt werden, sodass jetzt Krieg geführt werden muss. Deswegen auch diese Aufrüstung und die Wehrpflicht: Soldaten sollen im Osten in einem großen Krieg für die Interessen deutscher Monopole sterben.
Die Bundesregierung begründet die Aufrüstung mit einer Bedrohung durch Russland. Wie sehr sollte man sich auf dieses Narrativ einlassen?
Es gibt eine Greenpeace-Studie, die zeigt, dass Russland der Nato stark unterlegen ist. Letztere hat auch ohne die USA mehr Waffen und Soldaten. Dieser Einschätzung stimme ich zu. Wir sehen die Wehrpflicht und Aufrüstung also nicht als eine Verteidigung an – wie die Bundesregierung es tut –, sondern als eine Kriegsvorbereitung. Die Wehrpflicht soll Kanonenfutter für so einen Krieg beschaffen.
Mit »Fridays for Future« gab es vor einigen Jahren bereits große Schulstreiks zum Thema Klimaschutz. Die Bewegung schaffte es zwar, das Thema auf die politische Agenda zu setzen, reale Veränderungen erzielten sie aber nicht. Wieso habt ihr euch für diese Protestform entschieden?
»Fridays for Future« hat es geschafft, sehr viele Schüler*innen auf die Straße zu bringen. Dieses Potenzial sehen wir jetzt auch bei der Wehrpflicht. Der Streik ist das effektivste Mittel, um zu sagen, dass wir da als Jugend nicht mitgehen. Es übt Druck aus, wenn die Schulen leer sind, während die Schüler auf der Straße sind und gegen die Wehrpflicht protestieren. Wir verknüpfen das natürlich mit einer weitergehenden Perspektive, indem wir sagen: Es ist nicht der letzte Schulstreik, wir streiken so lange, bis die Wehrpflicht wieder zurückgenommen wird. Diese Perspektive, die wir hochhalten, hat bei »Fridays for Future« wahrscheinlich gefehlt.
Friedensbewegung, Klimaschulstreiks – in welcher politischen Tradition seht ihr euch?
Wir sehen uns vor allem in der politischen Tradition der Schulstreiks ab 2008, die damals schon mehrere hunderttausend Schüler*innen in kurzer Zeit auf die Straße brachten. Im Rahmen der Bildungsproteste forderten sie unter anderem bessere Lernbedingungen und die Abschaffung von Kopfnoten. Wir wollen daran anknüpfen und die gleichen Schritte gehen. Wir sehen aber auch die Verknüpfungen zur Friedensbewegung, die ja ziemlich alt ist. Wir wollen als Teil von ihr agieren und mit ihr zusammen eine Verjüngung schaffen.
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Du sprichst das hohe Durchschnittsalter der Friedensaktivist*innen an. Was sind Gründe für das Nachwuchsproblem der Bewegung?
Meine persönliche Meinung ist, dass die Friedensbewegung viele Themen behandelt, die erst einmal ein bisschen fern von der Schülerschaft wirken – oder die sie nicht an die Jugend herantrug. Durch das Thema Wehrpflicht hat sie die Möglichkeit, das zu ändern. Mehr auf die Jugend zugehen, ist, glaube ich, der größte Punkt. In manchen Städten haben wir mit den Schulstreikkomitees Elternkomitees, weil interessierte und besorgte Eltern Schüler*innen gefragt haben, ob sie unterstützen können.
Sind schon weitere Proteste geplant?
Nach dem Aktionstag im Dezember wollen wir weitermachen. Genaue Daten und Informationen befinden sich noch in der Planung. Aber der 5.12. soll auf jeden Fall nicht der letzte Streik sein, sondern der Beginn von vielen.
Weitere Informationen:
schulstreikgegenwehrpflicht.com
und instagram.com/schulstreikgegenwehrpflicht
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