Tief gespaltene OSZE

Beim Treffen des Ministerrats treten die Konflikte offen zutage

  • Dieter Reinisch, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.
Die OSZE ist 50 Jahre nach der Helsinki-Konferenz im Visier verschiedener Parteien mit unterschiedlichen Ansichten.
Die OSZE ist 50 Jahre nach der Helsinki-Konferenz im Visier verschiedener Parteien mit unterschiedlichen Ansichten.

Es sollte eine Jubiläumsveranstaltung werden – 50 Jahre nach Unterzeichnung der Schlussakte zur Gründung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) in Helsinki, aus der später die OSZE hervorging. Auf Einladung der amtierenden OSZE-Vorsitzenden, Außenministerin Elina Valtonen, versammelten sich am Donnerstag und Freitag in der Wiener Hofburg die Außenminister der 57 Teilnehmerstaaten sowie der elf Partnerstaaten. Es ist das oberste OSZE-Beschlussorgan. Erstmals wurde der Ministerrat nicht im Vorsitzland oder in einem Drittstaat, sondern am Sitz des OSZE-Sekretariats in Wien abgehalten.

»Wir können es besser machen. Wir können mutiger sein«, sagte Valtonen bei der Eröffnung des 32. OSZE-Ministerrats am Donnerstagvormittag. Sie rief die Anwesenden dazu auf, dem Geist von Helsinki treu zu bleiben.

50 Jahre nach Helsinki-Konferenz

Eigentlich hätte das Treffen Anlass zu großen Feierlichkeiten geboten: Vor 50 Jahren wurde mit der Unterzeichnung der Schlussakte in Helsinki die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gegründet. Aus ihr entstand 1995 die OSZE. Eine blockübergeifende Konferenz zur Etablierung einer nordatlantisch-eurasischen Sicherheitsarchitektur war das Ziel.

Davon war in Wien nichts zu vernehmen: Die OSZE ist in divergente Blöcke gespalten wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte. Valtonen gab die Richtung vor: Russland müsse alle Ressourcen aus Transnistrien abziehen, in Georgien müsse die OSZE gegen Russland die Zivilgesellschaft fördern.

Einst gegründet, um einen Dialog über Blockgrenzen zu ermöglichen, forderten in Wien mehrere Staaten angeführt von der Ukraine, dass »kein Platz für Russland in der OSZE sei«. Die OSZE-Mechanismen sollen in Zukunft angewendet werden, um gegen Russland vorzugehen.

OSZE soll Frieden in der Ukraine überwachen

Intensiv wurde über die zukünftige Rolle der OSZE in der Ukraine debattiert. Auf Bestreben der USA bereitet sich die OSZE auf einen möglichen Einsatz zur Überwachung eines künftigen Waffenstillstandes in der Ukraine vor. US-Außenminister Marco Rubio ließ sich in Wien vertreten durch Brendan Hanrahan, den stellvertretenden Sekretär für Europäische und Eurasische Angelegenheiten. Der forderte, Dialogkanäle zu Russland offenzuhalten – als einer der wenigen westlichen Redner. »Wenn die OSZE reformiert wird, kann sie wieder eine sinnvolle Rolle spielen«, sagte er. Sie sei heute ein »Katalog ideologischer Projekt, die unsere Gesellschaften zurückwerfen«, wie etwa die Abkehr von fossiler Energie. Deshalb habe die US-Regierung auch ihre finanziellen Beiträge gekürzt. »Wenn wir die Gelder senken, dann arbeiten internationale Organisationen effizienter.«

Und zur Ukraine: »Man kann den Krieg nur beenden, wenn die Tür zu Russland offen gehalten wird. So konnte der Konflikt im Südkaukasus beigelegt werden.« Für die OSZE gab er mit: »Sie muss den Frieden in der Ukraine sichern, sobald Präsident Trump ihn beendet hat.« Valtonen antwortete zugleich, es gebe noch keinen Plan. »Aber wir sind bereit.«

Der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) betonte, dass zunächst die Unterstützung der Ukraine in den Verhandlungen für ein Ende des Kriegs im Vordergrund stehe. Wenn es so weit sei, brauche man Formate zur Absicherung und Überwachung eines möglichen Waffenstillstands. Die OSZE könne dafür genutzt werden, doch es sei unklar, ob und wann die Organisation letztlich zum Zug komme. »Aber es ist wichtig, jetzt Vorsorge zu treffen«, so Wadephul.

Unbewaffnete Sicherheitsexperten aus OSZE-Staaten hatte zwischen 2014 und 2022 die Sicherheitslage in der Ukraine und die Konfliktlinie im Osten des Landes überwacht. Kurz nach Beginn der Invasion Anfang 2022 zogen die Beobachter ab.

Russland kritisiert OSZE scharf

Russland war nicht durch Außenminister Sergej Lawrow vertreten, sondern durch Vizeaußenminister Alexander Gruschko. Für einen neuen Einsatz der OSZE wäre die Zustimmung aller 57 Mitgliedstaaten nötig. Von vielen westlichen Ländern wird die Abschaffung des Konsensprinzips gefordert, was Russland vehement ablehnt. »Der Angriff auf das Konsensprinzip – das zentrale OSZE-Prinzip, das die Rechte aller Teilnehmerstaaten garantiert – dauert bereits seit Jahren an. Auch der finnische Vorsitz hat sich in diesem unrühmlichen Bestreben hervorgetan. Wer den Konsens untergräbt, sollte verstehen, dass die OSZE ohne ihn ihre Existenzberechtigung verliert«, schrieb der russische Außenminister Sergej Lawrow in einem Beitrag, der am Tag vor dem Treffen in der Tageszeitung »Rossijskaja Gaseta« veröffentlicht wurde.

Ähnlich kritisch äußerte sich Alexander Lukaschewitsch, Russlands Repräsentant bei der OSZE. »Es ist leider kein Platz mehr in der OSZE für Dialog und Diplomatie«, sagte er zum Abschluss des Redereigens am Freitagvormittag. Die OSZE müsse zu ihren Gründungsprinzipien zurückkehren, denn derzeit würden »Blockinteressen unter dem Deckmantel einer regelbasierten Ordnung« ausgetragen. Die Schweizer Kollegen seien im kommenden Jahr verpflichtet, dies wieder umzusetzen, forderte er. Seine Forderung klang ähnlich jener von Valtonen zu Beginn der Konferenz. Doch es ist keine einfache Aufgabe in einer tief gespaltenen OSZE.

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