Merz will mit Kritik kommen

Bundeskanzler reist für Antrittsbesuch zu Netanjahu nach Israel

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Bundeskanzler Friedrich Merz will am Samstag nach Israel reisen und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen Antrittsbesuch abstatten. Eine heikle Visite, die auf viel Kritik stößt.
Bundeskanzler Friedrich Merz will am Samstag nach Israel reisen und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen Antrittsbesuch abstatten. Eine heikle Visite, die auf viel Kritik stößt.

Berlin. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will bei seinem bevorstehenden Antrittsbesuch in Israel auch strittige Punkte ansprechen. Die Bundesregierung wisse um die besondere Verantwortung Deutschlands für Israel, was allerdings nicht bedeute, »dass man nicht auch Dinge kritisch sehen kann«, sagte Vizeregierungssprecher Sebastian Hille am Freitag in Berlin. 

»Aber das deutsch-israelische Verhältnis ist intakt, es ist eng, es ist vertrauensvoll und findet auch Ausdruck in dem Antrittsbesuch, den der Bundeskanzler jetzt in Israel macht«, fügte Hille hinzu.

Merz reist am Samstag zu seinen Antrittsbesuchen nach Jordanien und Israel. Erster Programmpunkt ist ein Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. in der Hafenstadt Akaba. Dabei soll es unter anderem um die angespannte Lage in der Nahost-Region gehen. 

Anschließend reist der Kanzler nach Israel weiter, wo ein Gespräch mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geplant ist. Bei dem Treffen am Sonntag in Jerusalem dürfte es auch um die Meinungsverschiedenheiten der vergangenen Monate gehen.

Merz hatte mehrfach Kritik an Israels aggressiver Kriegsführung im Gazastreifen geübt. Auf israelischer Seite herrschte große Verärgerung über das von Merz verhängte Teil-Waffenembargo; dieses ist aber seit vergangener Woche aufgehoben.

Gil Shohat, Büroleiter der Linke-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, sieht in der Kritik von Friedrich Merz an Israel allenfalls eine »rhetorische Distanzierung«, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Den Besuch des Kanzlers kritisiert er. »Netanjahu ist ein gesuchter Kriegsverbrecher und steht unter Korruptionsverdacht«, sagt Shohat. »Jetzt dorthin zu fahren und ihn zu legitimieren, ist daher ein fatales Zeichen der Normalisierung in einer Situation, die nicht normalisiert werden darf.«

Doch davon will sich Merz offenbar nicht beirren lassen. Dem Bundeskanzler sei »das Verhältnis zu Israel ein besonderes Anliegen«, sagte Vizeregierungssprecher Hille. Er zählte dabei aber auch einige Kritikpunkte der Bundesregierung im Hinblick auf Israel auf: Israels Vorgehen in der Region müsse den Bestimmungen des Völkerrechts folgen, sagte Hille. Zudem habe die Bundesregierung bereits »verschiedentlich die massive Zunahme von Gewalt von Siedlern gegen palästinensische Zivilisten scharf verurteilt«, sagte er weiter. 

»Wir lehnen alle Schritte ab, die auf eine Annexion des Westjordanlands gerichtet sind«, sagte der Vizeregierungssprecher. »Wir sehen das als erhebliches Hindernis auf dem Weg hin zu einer verhandelten Zweistaatenlösung und der Umsetzung des Friedensplans.« Die Zweistaatenlösung sieht die Gründung eines eigenen Staats für die Palästinenser vor, der friedlich an der Seite Israels koexistiert.

Die Grünen forderten Merz auf, seine Reise dafür zu nutzen, sich aktiv für Frieden und das Erreichen einer Zweistaatenlösung einzusetzen. »Der Waffenstillstand in Gaza ist höchst fragil und die Not der Menschen im Gazastreifen nach wie vor dramatisch«, erklärte die Grünen-Außenexpertin Luise Amtsberg. Die Gewalt durch Siedler und die israelische Armee im Westjordanland und Ostjerusalem habe »ein nie dagewesenes Ausmaß« erreicht.

Der von US-Präsident Donald Trump angestoßene Friedensprozess dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass es »den Einsatz der internationalen Gemeinschaft mehr denn je braucht«, um die humanitäre Notlage im Gazastreifen zu beenden, den Wiederaufbau zu beginnen und dauerhaft Frieden zu erreichen, erklärte Amtsberg.

Linke-Chef Jan van Aken kritisierte, dass der Kanzler überhaupt nach Israel fährt. »So etwas hat es in der deutschen Geschichte noch nie gegeben, aber Friedrich Merz macht es: Er trifft sich mit Benjamin Netanjahu, obwohl gegen diesen ein internationaler Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vorliegt«, erklärte van Aken. Es dürfe »keine Verharmlosung der Verbrechen geben, die in den letzten Monaten in Gaza stattgefunden haben«.

Und Gil Shohat betont, dass die linke Opposition in Israel sich klare Worte von Deutschland wünsche. Der Kanzler müsse deutlich machen, »dass die Werte, für die Deutschland zu stehen vorgibt, seit langer Zeit – auch bereits vor dem 7. Oktober 2023 – von der israelischen Regierung mit Füßen getreten werden, und dass es Konsequenzen geben muss, wenn Israel so weitermacht«: So beschreibt Gil Shohat die Erwartung. »Deutschland muss sein Verhältnis zu Israel neu justieren – jenseits einer irgendwie gearteten Staatsräson.« AFP/nd

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