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- Problembären in Japan
Bären kommen in die Stadt
In Japan greifen immer mehr Bären Menschen an, die nun Polizei und Militär zu Hilfe rufen
In Japan sind die Bären los. »Fünf Personen in drei Präfekturen durch Bärenattacken verletzt« titelte kürzlich Kyodo, Japans größte Presseagentur. Alle fünf Angriffe ereigneten sich an einem Sonntag Anfang November. Doch keiner davon endete tödlich. Insgesamt gab es im laufenden Jahr mehr als 100 Angriffe durch Bären – mit 13 Todesopfern.
Die Berichte, die zuletzt immer wieder zu lesen sind, erinnern fast an einen Horrorfilm: Im Oktober schaffte es ein Bär, in einen Supermarkt einzudringen, wo er einen spanischen Touristen angriff, während anderswo ein Jogger vor einem Bären fliehen musste. Auch ein Zeitungslieferant zählt zu den Angegriffenen. Die Liste solcher Geschehnisse, die in Japan durch die Medien gehen, ließe sich noch lange fortführen. So hat die britische Regierung schon eine Reisewarnung mit Bezug auf die gefährlichen Bären ausgegeben.
Seit 2006 werden die Angriffe durch Bären japanweit erfasst: Es werden immer mehr. Das vergangene Jahr galt bislang als Rekordjahr mit sechs tödlichen Bärenüberfällen. Die Zahl hat sich dieses Jahr mehr als verdoppelt. Ganz Japan ist mittlerweile alarmiert. Es herrscht Bärenkrise. Oder gar ein Bärenkrieg?
So lassen sich jedenfalls die jüngsten Maßnahmen der Regierung interpretieren. Im November wurden im nördlichen Akita die Selbstverteidigungskräfte – also das Quasi-Militär Japans – dazu autorisiert, gegen die Bären vorzugehen. Sie haben zwar ausdrücklich keine Befugnis, auf Bären zu schießen. Stattdessen sollen sie Fallen aufstellen, Informationen sammeln und Spray gegen die Bären einsetzen. Auch Drohnen sind im Einsatz. Der Ausgang ist offen. Japan stellt sich auf einen längeren Konflikt ein.
Das muss das Land auch. Denn die Gründe, die hinter der zunehmenden Aggression der großen Tiere stecken, lassen sich so schnell nicht beheben. Expertinnen schätzen die Bärenpopulation auf um die 56 000, wobei Asiatische Schwarzbären gut drei Viertel ausmachen, Braunbären auf der Nordinsel Hokkaido dagegen nur auf ein knappes Viertel kommen.
Die Zunahme der Bären hat teilweise mit strengeren Jagdgesetzen zu tun. Aber auch mit dem Klimawandel: Durch weniger kalte Winter sind die Bären in ihrer Winterruhe gestört und damit aktiver. Zudem haben viele Tiere mehr Hunger, da ihnen weniger Nüsse und Eicheln zur Verfügung stehen. Dies treibt die Bären in die Städte, wo sie umso aggressiver sind.
Dort stoßen sie auf weniger Hindernisse, als es in der Vergangenheit noch der Fall gewesen wäre. Denn inmitten schon lange niedriger Geburtenraten und einer zögerlichen Migrationspolitik schrumpft Japans Bevölkerung in hohem Tempo. Ganze Ortschaften – sowie eigentlich landwirtschaftliche Nutzflächen – sind mehr oder weniger verlassen. Das führt auch dazu, dass es heute weniger Personen gibt, die Bären noch jagen könnten. So zeigen sich die Bären zusehends furchtlos.
Die Menschen wiederum fürchten sich vermehrt. Anfang November wurde in der Präfektur Akita ein Schulsportevent abgesagt, nachdem in der Nähe ein Bär gesichtet worden war. Die Ritsumeikan-Universität gibt unterdessen Empfehlungen raus, für Wanderer, Camper oder Menschen, die in der Nähe eines Waldes wohnen.
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»Wandern Sie in Gruppen – Bären nähern sich kaum mehreren Personen. Nehmen Sie sich in Acht vor Sonnenauf- und Untergang, wenn Bären am aktivsten sind.« Und wer allein oder zu zweit wandere, solle möglichst beim Gehen Geräusche machen, beispielsweise mit einer Glocke. Auch solle man niemals Müll hinterlassen, da dieser die Bären mit ihrem guten Geruchssinn anzieht. Und wenn man dann doch auf einen Bären trifft, solle man nicht wegrennen, sondern sich ruhig, aufgerichtet, nach hinten bewegen, um den Bär nicht zu einem Angriff zu provozieren.
Für die Selbstverteidigungskräfte, das japanische Militär, ist der Einsatz gegen die Bären wiederum auch Werbung in eigener Sache. Seit dem Zweiten Weltkrieg, den Japan an der Seite Nazideutschlands verlor, hat das Land offiziell eine pazifistische Verfassung, die jedwede Kriegsführung verbietet. So sind die Befugnisse der Selbstverteidigungskräfte bis heute begrenzt, wenngleich dies in Zeiten von massiver Aufrüstung aufgeweicht wird. Doch pazifistisch eingestellte Personen bleiben der Quasi-Armee gegenüber sehr skeptisch.
Das könnte der Grund dafür sein, warum einige Organisationen im Land, die sich dem Tier- und speziell Bärenschutz verschrieben haben, nun besonders laut auftreten mit ihrer Forderung, die Tiere nicht zu töten. Wobei die Selbstverteidigungskräfte dies bis auf Weiteres ohnehin nicht dürfen. Die Polizei hingegen erklärte, sie sei dazu bereit, wenn die verbliebenen Jäger es nicht schaffen.
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