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Chiles neuer Präsident kündigt harte Zeiten an
Chiles künftiger Präsident will Polizei und Militär stärken und ansonsten kürzen
»Ich bedanke mich bei meiner Frau, bei meiner Familie und bei Gott«, sagte der streng gläubige Katholik Kast am Abend nach der Wahl in einer Rede vor Tausenden Anhänger*innen in Santiagos Nobelviertel Las Condes. Alte, Junge, Frauen, Männer, Familien mit Kindern sind zur Wahlparty gekommen, darunter viele Migrant*innen. Viele schwenken chilenische Nationalfahnen, tragen T-Shirts und Basecaps mit der Aufschrift »La Fuerza del Cambio« (Die Kraft des Wandels) oder »Make America Great Again«. Kast gibt sich an diesem Tag staatsmännisch. »Ich werde der Präsident aller Chilenen sein«, sagt er und ergänzt, Chile und die Interessen des Landes müssten immer an erster Stelle stehen. Deshalb habe er auch entschieden, seine Mitgliedschaft in der Republikanischen Partei für die Zeit seiner Präsidentschaft auszusetzen. Kast kündigte eine »Regierung der Einheit« und Abstimmungen mit der Opposition an. Das muss er ohnehin tun, um Mehrheiten für Gesetze zu erreichen. Die konventionelle und die extreme Rechte halten seit der Wahl am 16. November zusammen die Hälfte aller Sitze im Senat, etwas weniger als die Hälfte in der Abgeordnetenkammer.
Mit gut 58 Prozent der Stimmen erzielte er in der Stichwahl am Sonntag 16 Punkte mehr als Jeannette Jara von der Kommunistischen Partei, die als Kandidatin der Mitte-links-Allianz Unidad por Chile angetreten war. In der ersten Wahlrunde hatte Jara mit 27 Prozent noch drei Punkte vor Kast gelegen. Doch die anderen Rechtsaußen Kandidat*innen Johannes Kaiser (PNL, National-Libertäre Partei) und Evelyn Matthei (UDI) unterstützten Kast in der Stichwahl.
Vorfahrt für Militär und Polizei
Kast kündigt an, Ordnung herzustellen, Polizei und Militär zu stärken. Als ein Polizeihubschrauber über der Veranstaltung kreist, jubelt und applaudiert die Menge. Es stehe jedoch eine harte Zeit bevor, weil es keine Wunderlösungen gebe, so Kast. Wie er Mehrausgaben oder Steuersenkungen gegenfinanzieren will, erklärte er nie. Linke und progressive Kräfte fürchten vor allem, Kast könne staatliche Zuschüsse zu den ohnehin weitgehend privatisierten Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystemen kürzen.
Carolina Saavedra, die zu Kasts Feier gekommen ist, hofft, »dass die Wirtschaft sich stabilisiert und dass sich vor allem die Sicherheitssituation verbessert«. Sie ist Kolumbianerin, lebt seit 20 Jahren mit einem regulär abgesicherten Status in Chile und ist Besitzerin eines Friseursalons in Santiago. Die strikten Forderungen Kasts zur Abschottung der Grenzen und Rückführung von Migrant*innen im großen Stil, hält Carolina für übertrieben und glaubt nicht, dass er diese umsetzen kann. Kast hatte erklärt, dass er mehr als 300 000 Migrant*innnen, die sich ohne korrekten Migrationsstatus in Chile aufhalten, das Leben so schwer wie möglich machen und abschieben will. Mit legalem Status in Chile lebende und arbeitende Migrant*innen seien willkommen, so versichert er an diesem Abend.
Der Anwalt Oscar Mehech erhofft sich mehr Investitionen, Arbeitsplätze, Wachstum, zudem Steuersenkungen und Abbau von Bürokratie. Die aktuelle Regierung habe nichts geschafft, nie wirklich gearbeitet, vor allem die eigenen Leute auf gute Posten gesetzt. Ob Personen, die wegen Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur (1973 bis 1990) oder wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden, begnadigt werden sollen, wie Kast es vor dem Wahlkampf geäußert hatte, das seien schwierige, mit Schmerz besetzte Themen. Dazu müsse im Kongress diskutiert und eine Lösung gefunden werden, die alle Chilenen repräsentiere.
»Freiheit für die Helden von 1973«
Das sehen nicht alle Teilnehmenden der Wahlparty so. Manche sind mit großen Fahnen mit Porträts des Ex-Diktators Pinochet gekommen, andere tragen das Symbol der nationalistischen paramilitärischen Gruppe »Patria y Libertad« mit sich, die den Putsch 1973 mit vorbereitet hatte. Wieder andere halten ein großes Transparent mit der Forderung nach »Freiheit für die Helden von 1973« und dem Konterfei von Miguel Krassnoff, der als besonders brutaler Folterer der Diktatur zu insgesamt mehr als 1000 Jahren Haft verurteilt wurde. Kast hatte ihn im Gefängnis besucht und 2017 erklärt, er glaube nicht alle Dinge, die über ihn berichtet wurden. An den Transparenten scheint sich kaum jemand zu stören.
Es bleibt abzuwarten, ob sich Kast gegen Gewaltenteilung und demokratische Institutionen in Chile oder gegen internationale Abkommen und Organisationen stellen wird, oder ob er diese weniger disruptiv – beibehält und an dem seit Ende der Diktatur in Chile ohnehin gefestigten neoliberalen Status quo Chiles anknüpft.
US-Außenminister Marco Rubio, der argentinische Präsident Javier Milei und der Vorsitzende der spanischen Vox-Partei und der EU-Parlaments-Fraktion Patriots for Europe, Santiago Abascal, gratulierten Kast bereits über X. Über diese Plattform hatte auch der Deutsch-Chilene Sven von Storch dazu aufgerufen, für Kast zu stimmen. Er kooperiert inzwischen enger mit Johannes Kaiser und will mit diesem nun Forderungen an die Regierung Kast stellen und durchsetzen.
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