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AfD: Keinen Finger krumm für die BRD
In der AfD gibt es Streit über den Wehrdienst und die Bundeswehr
Als vor knapp zwei Wochen im Bundestag über das Wehrdienstmodernisierungsgesetz debattiert und abgestimmt wurde, sagte der nordrhein-westfälische AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen ein paar erstaunliche Sätze: »Der Thüringer Landesvorsitzende meiner eigenen Partei hielt am Mittwoch eine Rede im Erfurt Landtag zur Wehrpflicht. In dieser Rede kommt er zu dem Schluss, dass Deutschland es nicht mehr wert sei, dafür zu kämpfen.« Der Thüringer Landesvorsitzende ist Björn Höcke. Er reagiert sofort empört auf Lucassens Aussagen. Er habe sich in den vergangenen Jahren viele Vorwürfe gefallen lassen müssen, so Höcke in den sozialen Medien. Aber »mangelnde Vaterlandsliebe« habe ihm noch niemand vorgeworfen. Für die »Existenz Deutschlands« würde er jederzeit kämpfen und sterben. Aber Wehrpflicht in der Bundeswehr? Dazu sagt Höcke Nein. Die Bundeswehr kenne »keinen Patriotismus und keine Traditionen« mehr. Höcke fragt in seiner Landtagsrede sarkastisch nach, was junge Männer verteidigen sollten: Dragqueen-Auftritte in Kindergärten, Deindustriealisierung oder »Lichterfeste, die früher einmal Weihnachtsmarkt hießen«?
Höckes Linie ist klar. Er hält die Bundesrepublik nicht für verteidigungswürdig. Höcke knüpft damit an eine längere Linie an. Günter Maschke etwa, erst linker 68er-Aktivist und dann neurechter Vordenker, erklärte schon in den 80ern, dass es keine Pflicht gebe, die Bundesrepublik zu verteidigen, weil schon ihre Gründung nicht im Interesse des deutschen Volks gewesen sei.
Björn Höcke, Günter Maschke und viele weitere Protagonisten der Neuen Rechten unterscheiden zwischen der demokratischen Republik, für die sie keinen Finger krumm machen wollen, und dem deutschen Volk, für das es sich zu kämpfen lohnt. Philip Stein vom extrem rechten Verein »Ein Prozent« spricht von einem »deutschen Ethnostaat«, in dem er »sofort« für eine Wehrpflicht wäre.
Auf der anderen Seite stehen in der AfD Politiker wie Rüdiger Lucassen, meist älter, westdeutsch und nicht selten mit einem militärischen Background. Der 74-jährige Lucassen verbrachte Jahrzehnte bei der Bundeswehr, war Referent im Verteidigungsministerium und Teil von Nato-Arbeitsgruppen. Nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr gründete er ein militärnahes Dienstleistungsunternehmen. Auch andere Bundestagsabgeordnete wie Gerold Otten verbrachten Jahrzehnte in der Bundeswehr und Rüstungsindustrie. Otten war Verkaufsleiter für den Eurofighter bei Airbus.
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Die Ottens und Lucassens in der AfD sind grundsätzlich für die Wehrpflicht und eine starke Bundeswehr, wie sie sie aus dem Kalten Krieg kennen. Es soll nicht zu »woke« zugehen bei der Truppe und Traditionen sollen gepflegt werden. Lucassen etwa glorifizierte im Sommer die Luftlandeoperation der Wehrmachtsfallschirmjäger auf Kreta 1941. Die AfD sehen die Lucassens und Ottes in der Tradition der alten westdeutschen CDU und streben perspektivisch ein Bündnis mit dieser an.
Lucassen wurde für seine Höcke-Kritik nun von der Fraktion gerügt. Eine »sehr milde Ordnungsmaßnahme«, wie etwa der Höcke-Vertraute Torben Braga bedauert. Im Bundestag hat die AfD gegen das Wehrdienstmodernisierungsgesetz gestimmt. Zum Unmut zahlreicher ehemaliger Soldaten.
Der Streit offenbart allerdings den tiefen Graben zwischen völkischen Nationalisten und »Konservativen« in der AfD. Die einen wollen den bestehenden Staat abschaffen und die AfD deshalb auf den Umsturz ausrichten. Die anderen wollen zurück in eine alte Bundesrepublik, mit starker Armee, wenigen Migranten und klar verteilten Rollen in der Gesellschaft.
Eine dritte Linie vertritt im Streit um die Wehrpflicht das Millieu um Götz Kubitschek und den Antaios-Verlag. Es spricht sich für die Wehrpflicht aus, auch wenn der Zustand von Bundeswehr und Gesellschaft aus seiner Sicht miserabel ist. Es glaubt, junge Männer lernten in der Armee Grundlegendes. Und wehrbereite junge Männer kann ein völkisch-autoritärer Staat gut gebrauchen.
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