Tuben und Würfel waren gestern

Die Kulinarik im Weltraum hat seit den ersten bemannten Missionen große Fortschritte gemacht

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 7 Min.
Die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti beim Kaffeetrinken auf der Raumstation ISS
Die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti beim Kaffeetrinken auf der Raumstation ISS

Geschmack und Konsistenz waren vermutlich unterirdisch, aber der Ausblick dafür hervorragend: Als der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin am 12. April 1961 mit seinem Raumschiff »Wostok 1« als erster Mensch die Erde umrundete, hatte er ganze 108 Minuten Zeit, um Weltgeschichte zu schreiben, die Schwerelosigkeit zu erleben – und ein einzigartiges Frühstück zu sich zu nehmen. Um für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, war das Raumschiff mit Verpflegung für 13 Tage ausgestattet, die möglichst nahrhaft, verzehrfertig und krümelfrei sein musste. Und so gab es in den frühen Morgenstunden – »Wostok 1« startete um 6:07 Uhr – drei Tuben Frühstück: zwei davon mit püriertem Fleisch, die dritte verwöhnte den Kosmonauten mit Schokoladensauce.

Im selben Jahr absolvierte German Titow, der beim ersten Flug als Ersatzmann für Gagarin vorgesehen war, den zweiten bemannten Weltraumflug des sowjetischen Wostok-Programms. Titow konnte dabei gleich mehrere Rekorde verzeichnen: Mit 25 Jahren war er nicht nur der jüngste Raumfahrer im Erdorbit (einen Rekord, den er bis heute hält), er hielt sich mit über 25 Stunden auch bis dahin am längsten im Weltall auf – und er war der erste Mensch, der sich im Weltall übergeben musste. Letzteres brachte Titow einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde und allgemein die Erkenntnis, dass die Raumfahrerkost wohl noch etwas verbesserungsfähig war. Wobei man etwas Nachsicht mit den Püreeköchen walten lassen kann, war es doch noch völlig unbekannt, ob es sich bei der mysteriösen »Weltraumkrankheit« nur um ein vorübergehendes Phänomen, ein prinzipielles Problem der menschlichen Physis in der Schwerkraft oder gar ein übles »Weltraumvirus« handelte.

Verdauung ohne Schwerkraft

Mittlerweile weiß man, dass man Astronauten einfach ein bisschen Zeit lassen muss, um sich auf die völlig veränderten Gegebenheiten im Weltall einzustellen. Und dann klappt es auch mit dem Essen, der Peristaltik sei Dank: Die Muskeltätigkeit verschiedener Hohlorgane wie Speiseröhre, Magen und Darm sorgt für eine Durchmischung und den Transport der Nahrung, beeinflusst durch Hormone, aber auch durch Bewegung, Nahrungsaufnahme oder die Tasse Kaffee mit Koffein. Von der Schwerkraft sind wir also nicht abhängig: So können wir etwa auch im Handstand mit dem Strohhalm ein Glas Wasser trinken oder in der Schwerelosigkeit schlucken und verdauen. Nur die Trennung von Gasen und Flüssigkeiten im Magen klappt in der Schwerelosigkeit nicht so gut. Auf der Erde würden Gase nach oben steigen, in der Folge würde ein anständiger Rülpser für Erleichterung beziehungsweise Entsetzen bei Tisch sorgen. Im Weltraum ist dies nicht möglich und kann den Astronauten sehr sauer aufstoßen.

Auf dem ersten Shuttleflug im Jahr 1981 konnte die Crew bereits aus 75 verschiedenen Gerichten und 20 Getränken wählen.

Doch erst einmal will der Magen gefüllt sein – und je länger die Weltraummissionen wurden, umso eher wünschte sich selbst der genügsamste Raumfahrer eine Mahlzeit, die weniger einer Zahnpastatube oder Bauklötzchen ähnelt. Letztere waren zumeist mundgerechte Würfel zusammengepresster Lebensmittel, die mit Gelatine überzogen waren, um keine frei schwebende Krümelspur zu hinterlassen. Ob Käse, Schinken oder Früchtebrot – der geschmackliche Unterschied war nach Angaben der meisten Astronauten gering und die Begeisterung für die Mahlzeiten noch geringer. Kein Wunder, dass Gemini-3-Astronaut John Young im Jahr 1965 ein Corned-Beef-Sandwich an Bord schmuggelte (einen leichten Rüffel der Nasa musste er deswegen über sich ergehen lassen), um seinem Kommandanten eine Freude zu bereiten. Dieser war tatsächlich begeistert und merkte scherzhaft an, dass nun nur noch der Senf fehle.

Die Erfindung der Trockengerichte

Und so gab die Physiologin Rita Rapp, die in den frühen 60ern dem Apollo-Programm beitrat, die Devise aus: »No cubes, no tubes« (keine Würfel, keine Tuben). Rapp und ihr Team waren die Ersten, die kompletten Gerichten durch gezielte Trocknungsprozesse Wasser entzogen, um sie so weltraumtauglich zu machen. Mit Erfolg: Die Astronauten der »Weihachtsmission« Apollo 8 (Start war am 21. Dezember 1968) konnten erstmals auf heißes Wasser zur Nahrungszubereitung zurückgreifen und sich so ein komplettes Truthahn-Abendessen schmecken (!) lassen.

Einiges an Logistik erforderten die Mahlzeiten dennoch. Die optimale Nährstoff- und Kalorienversorgung der Astronauten musste genauso im Blick behalten werden wie eine möglichst leichte, kompakte und insbesondere weitgehend sterile Verpackung der Gerichte. Und dann waren da auch noch persönliche Vorlieben, der Heißhunger wollte schließlich gründlich vorgeplant sein. Ob eine Gemüsesuppe, Hafergrütze, Krabbencocktail oder Zuckerkekse, die von Rapp persönlich gebacken und auf langen Missionen gerne auch als »Währung« genutzt wurden – alles musste ansprechend, mit bekannter Textur (das Fleischpüree fällt eher nicht darunter) und möglichst einfach zuzubereiten sein.

Auf dem ersten Shuttleflug im Jahr 1981 konnte die Crew bereits aus 75 verschiedenen Gerichten und 20 Getränken wählen. Kühlschränke und eine erstmalig eingeführte Vorrichtung zum Aufwärmen von Speisen brachten zusätzliche Normalität in die Mahlzeiten. Diese nahmen Astronauten schon seit Skylab-Zeiten in den 70ern auch nicht mehr kreuz und quer durcheinanderschwebend ein – sondern schön ordentlich »angeschnallt« im Messeraum, vor sich ein Essenstablett mit echtem (magnetischem) Besteck. Wie man schon früh herausgefunden hatte, hielten sich zähflüssige Nahrungsmittel dank der Oberflächenspannung auch in der Schwerelosigkeit auf Löffeln und erlaubten so eine fast normale Form der Nahrungsaufnahme ohne allzu große kosmische Kleckereien. Und für alle Senfliebhaber: Auch Würzmittel gehörten mittlerweile zur scharfen Standardausstattung. Zufrieden konnte die Nasa später festhalten, dass dank jener verbesserten Verpflegung die Astronauten eine hervorragende Versorgung mit Nährstoffen aufwiesen.

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In den ersten Jahren wurde die bemannte Raumfahrt noch von den USA und der Sowjetunion dominiert. Erste Raumfahrer anderer Nationen, darunter auch Sigmund Jähn, flogen in den späten 70er Jahren an Bord sowjetischer Sojus-Raketen ins All. Und 1983 war der deutsche Astronaut Ulf Merbold der erste Nicht-US-Bürger, der im Space Shuttle »Columbia« eine Mitfluggelegenheit erhielt. Und natürlich ein »Lunch-Paket«, war die Verpflegung schließlich noch auf amerikanische beziehungsweise sowjetische Gaumen eingestellt.

Doch spätestens auf der Internationalen Raumstation ISS, global erdacht und seit dem Jahr 2000 dauerhaft bewohnt, bekam die Besatzung internationalen Appetit. Aus mittlerweile mehreren hundert Optionen können Astronauten heutzutage wählen und so ein Häppchen Heimat genießen. Darunter sind neben den Standardmenüs traditionell auch sogenannte Bonus-Mahlzeiten – Wunschkost für Astronauten.

So hatte etwa Alexander Gerst für seine Mission »Horizons« einige deftige Dosen dabei: Linsen mit Spätzle und Würstchen, Käsespätzle mit Speck und Maultaschen waren darunter. Und eine Dose »Ofenschlupfer«, ein süßer Auflauf, schlüpfte auch noch in die Proviantbox.

Ein Espresso zum Sonnenaufgang

Zwischen Arbeit, Sport und Muße können sich Astronauten auf der ISS innerhalb von 24 Stunden an insgesamt 16 gleißend hellen Sonnenaufgängen erfreuen – und was passt dazu besser als ein kräftiger Espresso am »Morgen«? Nun entschädigt der Ausblick sicher für einen schnell zusammengerührten Instantkaffee, doch sah die italienische Raumfahrtbehörde Verbesserungsbedarf. Mit der »ISSpresso« genannten Espressomaschine verfügte die Raumstation 2015 erstmals über frisch gebrühten Espresso – ansprechend serviert in einer durchsichtigen, schiffchenartigen Schwerelosigkeits-Espressotasse, die durch Kapillarwirkung die Flüssigkeit in den Mund befördert.

Und wer davon noch nicht ganz wach geworden ist, könnte vielleicht seinen südkoreanischen Kollegen überreden, etwas Kimchi zu teilen. Das richtig scharfe, fermentierte Gemüse, oft Kohl, gehört praktisch zu jeder koreanischen Mahlzeit dazu und stellte Ernährungswissenschaftler vor einige Herausforderungen. Da waren etwa die eifrigen und auf der Erde völlig harmlosen Mikroben, von denen man nicht wusste, wie sie auf die kosmische Strahlung reagieren und die im schlimmsten Fall zu ungemütlichen Zeitgenossen mutieren. Doch die Expertise von drei koreanischen Forschungsinstituten, die mehrere Jahre experimentierten, machten den Kohl nicht nur weltraumtauglich, sondern auch sehr rücksichtsvoll: So konnten sie den kräftigen Geruch um ein Drittel zu reduzieren – aus Rücksicht auf Nicht-Kimchi-erprobte Mitreisende.

Bei manchen Leckereien war dann aber doch Schluss: So durfte der schwedische Astronaut Christer Fuglesang auf einer Dezember-Mission kein schmackhaftes Rentier-Trockenfleisch mitbringen. Die Verantwortlichen waren der Ansicht, dass seine amerikanischen Kollegen in Anbetracht des populären rotnasigen Rentiers Rudolph, bekannt aus dem nach ihm benannten Weihnachtslied, wohl sonst ganz aus dem Konzept gekommen wären.

Und so ist auch davon auszugehen, dass der Silvesterschmaus in 400 Kilometern Höhe ohne ein blubbernd-zähes Käsefondue auskommen muss. Denn bei allem Fortschritt bei Speis und Trank: Ausgiebiges Lüften bleibt auf der ISS nach wie vor schwierig.

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