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Zeitenwende im Staatshaushalt
Der Bund plant im kommenden Jahr Rekordausgaben für Schienen, Klima und Aufrüstung
Nun wird es ernst: Die »Zeitenwende«, ausgerufen in der letzten Legislaturperiode durch den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), erreicht den Bundeshaushalt. Mit der Änderung der Finanzverfassung, Stichwort Schuldenbremse, ergeben sich für die öffentliche Hand erhebliche zusätzliche Verschuldungsspielräume. Hinzu kommen das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität sowie der Bundeswehr-Fonds. Auch bei den Ländern sollen die Ausgaben enorm steigen. Allein der Entwurf für den regulären Bundeshaushalt 2026 sieht Ausgaben von über 520 Milliarden Euro vor. Selbst diese »normalen« Ausgaben sind nur teilweise durch Einnahmen aus Steuern und Gebühren gedeckt. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) plant daher massenhaft zusätzliche Kredite aufzunehmen.
Zuständig für diesen Job ist die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH in Frankfurt am Main. Um die neuen Finanzpakete der Bundesregierung zu decken, erhöhte die Finanzagentur ihre Emissionsplanung zunächst nur geringfügig. Und um die Preise – also die Zinssätze, die letztlich der Bund für seine Kredite aufbringen muss – nicht unnötig in die Höhe zu treiben, ließ Agentur-Chef Tammo Diemer die ohnehin geplanten Emissionen jeweils ein wenig aufstocken. Insgesamt wird die Finanzagentur in diesem Jahr etwa 425 Milliarden Euro eingespielt haben.
Neuschulden für Altschulden
Für 2026 werden aber schon etwa 512 Milliarden Euro erwartet, teilte die Finanzagentur am Donnerstag in einer Online-Pressekonferenz mit. Davon sind allerdings nur ein Teil richtig neue Miese. 98 Milliarden Euro sind für den regulären Bundeshaushalt verplant, 60 Milliarden für das Infrastruktur-Sondervermögen und 25 Milliarden für den Bundeswehr-Fonds. Die restlichen Neuschulden dienen dazu, alte Verbindlichkeiten abzulösen, die fällig werden. Diese Umschuldung ist ein üblicher Vorgang, bei dem alte Kredite durch neue ersetzt werden.
Agentur-Chef Diemer zeigt sich angesichts der gewaltigen Herausforderung gelassen. Die Nachfrage von Banken und Investoren nach Bundesanleihen ist weiterhin groß, die Zinssätze sind im Vergleich zu anderen Euro-Staaten niedrig. Die Staatsschulden um 183 Milliarden Euro im kommenden Jahr zu erhöhen, ist dennoch angesichts schwächelnder Konjunktur und erwarteter Steuereinnahmen des Bundes von »nur« 391 Milliarden ein Batzen Geld. Einschließlich der Schattenhaushalte wird sich die Verschuldung dann seit Beginn der Coronakrise verdoppelt haben.
Staatsschulden, ein deutscher Irrglaube
Die Bundesrepublik hat seit 75 Jahren mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Die Differenz ist die sogenannte Staatsverschuldung. In der deutschen Sprache wird der Begriff – anders als etwa im Französischen – aus der moralischen Schuld abgeleitet. Der griechische Finanzminister und Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis hielt während der Eurokrise denn auch der Bundesregierung vor, sich bei den angemessenen Staatsschulden von Gefühlen und Glaubenssätzen statt von wirtschaftlicher Rationalität leiten zu lassen. Linke Ökonomen haben auch ein eher gelassenes Verhältnis zu Staatsschulden. Und in der Praxis sind Länder wie Japan und die USA heutzutage weit höher verschuldet als die Bundesrepublik.
Bis vor 25 Jahren waren die Bundeswertpapierverwaltung in Bad Homburg und die Bundesbank mit dem staatlichen Schuldenmanagement beschäftigt. Dies änderte die erste rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Für das operative Geschäft wurde fortan die Finanzagentur zuständig. Alleiniger Eigentümer der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und beschränkter Publizitätspflicht ist der Bund. Dabei ist die Finanzagentur eine normale Kapitalgesellschaft.
Diese Rechtsform erlaubt es dem Staat, privaten Investoren, die mindestens zur Hälfte aus dem Ausland kommen, auf Augenhöhe zu begegnen und letztlich niedrigere Zinssätze und eine größere Flexibilität zu erzielen.
Staatsverschuldung nicht zwingend produktiv
Zurück zur Gegenwart: Aktuell führen zwei Umstände zu dem Auseinanderlaufen zwischen der Kreditaufnahme, vor allem für die Sondervermögen, und den Hoffnungen der Bundesregierung, damit Wirtschaft und Konjunktur anzukurbeln. Zum einen fließen die neuen Mittel nicht allein in produktive Ausgaben, sondern ersetzen teils andere Finanzierungsinstrumente, die bislang genutzt wurden. Letztlich entsteht so eine geringere Wirtschaftsdynamik als erhofft. Zum anderen dürften die Mittel insbesondere für echte Investitionen langsamer verausgabt werden, als es die Planung vorsieht. Investitionsprojekte, aber auch größere militärische Anschaffungen haben oft einen jahrelangen Vorlauf.
Somit dürfte die zusätzliche Möglichkeit zur Kreditaufnahme vielfach lediglich genutzt werden, um Finanzierungsprobleme bei den laufenden Ausgaben – auch der Länder und Kommunen – zu lösen, und daher weniger zu zusätzlichen Konjunkturimpulsen führen, befürchtet etwa das Kiel-Institut für Weltwirtschaft.
Optimistischer klingt der eher links zu verortende Professor Peter Bofinger in seinem Leitartikel für die aktuelle Ausgabe der renommierten »Zeitschrift für Wirtschaftspolitik«. »Die zusätzlichen Mittel müssen allerdings zukunftsorientiert eingesetzt werden«, fordert er. Dazu bedarf es klarer Strukturen und nachvollziehbarer Entscheidungen: Transparenz, Prioritätensetzung und Wirkungsanalyse. Diesen Ansprüchen aber werde die Bundesregierung bislang nicht gerecht, kritisiert er.
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