»Konkret« - das Heft war klüger als die Leser

Ab Januar erscheint »Konkret« digital. Ende oder Neuanfang – oder beides? Wir verabschieden uns vom Printprodukt

  • nd-Feuilleton
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Nichtschwimmer entdeckt Wasserball

Ein Blatt, in dem schon Jahrzehnte vor der Gründung der AfD Monat für Monat zu lesen war, wie viel AfD in diesem Land steckt.
Ein Blatt, in dem schon Jahrzehnte vor der Gründung der AfD Monat für Monat zu lesen war, wie viel AfD in diesem Land steckt.

Der Mensch ist ein irrationales Wesen. Marketingleute sind sich dessen bewusst. Ihr Ziel ist es, Konsumenten zu Impulskäufen zu verleiten. Das gilt nicht nur für die »Quengelware« an den Supermarktkassen (auf Kindeshöhe platzierte Süßigkeiten), sondern auch für Zeitschriften.

Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe mir »Konkret« zunächst nur spontan gekauft. Weil mich das Titelbild ansprach oder weil ich beim Blättern in der Ausgabe feststellte, dass Gremlizas Kolumne nicht der einzige interessante Text war. Da dies häufiger geschah, wurde ich irgendwann zum regelmäßigen Leser. Marketingtechnisch gesprochen: Ich war zu einem Stammkunden geworden. Unternehmen brauchen solche Gewohnheitskäufer. Diese sind es, die für das Grundrauschen in der Kasse sorgen und aus einem Produkt eine emotional aufgeladene Marke machen.

»Konkret« ist eine solche Marke. Sie ist das Nutella unter den linken Printerzeugnissen – umstritten, aber unangreifbar. Dass man jetzt die Druckmaschinen abschaltet und auf digital setzt, ist so, als würde ein Nichtschwimmer beschließen, Wasserball zu spielen. »Konkret« war online nämlich bisher ein Fall für Nostalgiker. Der Anblick der Website vermittelt das Internetfeeling von 2014. Und in den sozialen Netzwerken findet die Zeitschrift praktisch nicht statt (ich habe mehr Follower auf Instagram als »Konkret«). Es ist ein Mysterium, wie man es schaffen will, papierkonditionierte Leser dazu zu bringen, künftig auf den Bildschirm zu starren.

So wird »Konkret« vermutlich den Weg der nicht mehr unter uns weilenden »Spex« gehen, die 2018 erst aus den Zeitschriftenregalen verschwand und dann aus dem Bewusstsein. Denn www.konkret-magazin.de ist nicht www.bild.de. Eine Nischenzeitschrift muss in Supermärkten und Bahnhofsbuchhandlungen sichtbar sein. Sonst verliert sie ihre Impulskäufer. Und ohne Impulskäufer… siehe oben.  Frank Jöricke

Heimlichkeit der Negation

Ein Satz, den ich bis heute nicht vergessen habe, lautet: »Wenn du etwas unbedingt verheimlichen willst, musst du es in ›Konkret‹ veröffentlichen.« Ausgesprochen hat ihn, um die Jahrtausendwende, ein Freund von mir, ein langjähriger Autor der linken Monatszeitschrift. Ich habe damals sehr lachen müssen über diesen Satz, der mir im Gedächtnis geblieben ist, weil er in so komprimierter Form so viel bittere Wahrheit über Deutschland und seine Linke enthält.

»Konkret« ist, gerade weil das Magazin über Jahrzehnte hinweg so stark von seinem (2019 verstorbenen) Herausgeber Hermann L. Gremliza geprägt wurde, als gedrucktes Periodikum eine Ausnahmeerscheinung gewesen, spätestens seit dem deutschnationalen Rausch der Jahre nach 1989/90, der auch erhebliche Teile der deutschen Linken erfasste: eine linke Zeitschrift, die von Kapitalismuskritik nicht lassen wollte und dabei dennoch nicht müde wurde, auf die unzähligen Dummheiten und Denkschwächen der Linken zu verweisen. Ein linkes Magazin, das freimütig ausstellte, dass es klüger war als seine Leser, und das entgegen der linksdeutschen Tradition mit Sarkasmus, Ideologie- und Sprachkritik arbeitete, statt mit Moral, Pathos, linkem Kitsch und Kampfgeschrei.

Ein Blatt, das an Deutschland und seiner autochthonen Bevölkerung kein gutes Haar ließ und das unablässig auf die Heucheleien, Eitelkeiten, Fehlschlüsse und Peinlichkeiten der hiesigen Kultur- und Medientrottelszene aufmerksam machte. Ein Blatt, aus dem auch deshalb in anderen Medien nichts zitiert werden durfte. Ein Blatt, in dem schon Jahrzehnte vor der Gründung der AfD Monat für Monat zu lesen war, wie viel AfD in diesem Land steckt. Ein Blatt, das monatlich aufs Neue den Beweis dafür erbrachte, dass man hierzulande umso weniger zur Kenntnis genommen wird, je eifriger man die Kritik und Negation des Bestehenden betreibt. Und nicht zu vergessen: eine Zeitschrift, in der lange Wert darauf gelegt wurde, dass jenes Stammel-, Stummel- und Pressedummdeutsch, das nahezu sämtliche deutsche Zeitungen füllt, in ihr keinen Platz hat.

Jetzt, wo »Konkret« nicht mehr gedruckt wird und man es nur noch als monatliches Bulletin im World Wide Web finden kann, in dem die digitalen Müllberge täglich weiterwachsen, dürfte es noch weniger zur Kenntnis genommen werden. Aber das macht nichts. Mehrheiten hinter sich zu versammeln, war schließlich noch nie das Anliegen von »Konkret«.  Thomas Blum

Thomas Blum war von 2003 bis 2023 Autor und von 2020 bis 2023 Kulturredakteur von »Konkret«.

Was Robert und Wiglaf nicht lesen wollten

Mein erster Beitrag für »Konkret« hat mir auch gleich den meisten Ärger eingebracht: nicht von irgendwelchen Reaktionären, sondern von zwei damals sehr renommierten Kollegen – Wiglaf Droste und Robert Gernhardt. Der Artikel erschien im April 1996 und war ein Nachdruck eines Vortrags, den ich im Januar im Rahmen der »Marburger Komiktage« gehalten hatte. Unter dem Titel »Nützliche Empörung«, beschäftigte ich mich, der ich bis kurz zuvor Redakteur der Satirezeitschrift »Titanic« gewesen war, mit den Beiträgen dieses Magazins, die aufgrund von juristischen Interventionen verboten worden waren. Dabei widersprach ich der These Robert Gernhardts, der in der »FAZ« behauptet hatte, dass nur noch »mittelgroße Städte und umstrittene Wirtschaftszweige« juristisch gegen Satire vorgehen würden, und belegte das en détail. Auch Droste, dessen Lesungen damals immer wieder von Autonomen gesprengt wurden, weil sie ihm vorwarfen, den Missbrauch von Kindern zu verharmlosen, wurde von mir kritisiert. Ich verteidigte Wiglaf zwar gegen den absurden Vorwurf der Autonomen, befand aber auch, dass er diesen Leuten die Arbeit erleichtere, wenn er sie in CDU-Manier als Faschisten bezeichnete.

Beide Koryphäen nahmen mir meine Kritik recht übel. Gernhardt nahm mich auf einer Frankfurter Party fast eine Stunde lang ins Gebet. So etwas wie in »Konkret«, meinte er, könnte ich gerne mit Rechten machen, aber nicht mit Leuten »aus unseren Kreisen«, also ihm. Droste intervenierte gegen meinen Text, als er in einem Sammelband zu den Komiktagen nochmals nachgedruckt werden sollte. Wenn Herausgeber Nils Folckers meinen kritischen Passus über ihn nicht streiche, liefere er keinen Beitrag für das Buch. Folckers strich nicht und Droste blieb bei seinem Verzicht.

Ich staunte zunächst nicht schlecht über die vehementen Reaktionen meiner Kollegen. Wenig später verwandelte sich das Staunen in Begeisterung: So viel, dachte ich, kann man also mit einem einzigen »Konkret«-Beitrag bewegen. Also blieb ich der Zeitschrift als Autor treu. Allerdings hat keiner meiner Artikel je wieder eine solche Betroffenheit hervorgerufen. Ein Grund für den Niedergang des Blatts?  Christian Y. Schmidt

Nur bedingt sexy

Ich hatte gerade erst angefangen zu studieren, da entdeckte ich bei einem meiner Freunde einen Stapel alter Magazine in der Ecke. Er klärte mich auf: Die Hefte, darunter einige »Konkret«-Ausgaben aus den 70ern, stammten aus dem Nachlass eines berüchtigten, kürzlich verstorbenen Onkels.

Fasziniert blätterte ich mich durch den Stapel und lernte eine »Konkret« kennen, die irgendwie anders war als das Magazin, das ich immer wieder am Kiosk kaufte. Statt unliebsamer Politiker blickten mich nackte Frauen von der Titelseite an, in den Heften fand ich schlüpfrige Geschichten, eindringliche Warnungen vor dem Konzept Ehe und bisweilen irritierende Kontakt-Anzeigen lüsterner Linker. Eine der Ausgaben ist jetzt in einem Ordner in meinem Schrank: »Was einem beim Bumsen passieren kann« und »Die neuen Juden: Jetzt sind die Linken dran« lauten die beiden Titelstorys – sorgsam auf dem Cover platziert, ohne die Brüste zu verdecken.

Ob die »Konkret«, die ich bis heute für ihre Satiren und Polemiken schätze, gut daran tut, zum kommenden Jahr ihre gedruckte Ausgabe einzustellen, fällt mir schwer zu beurteilen. Klar: Das Konzept Tageszeitung wird mit den Apps und Push-Nachrichten auf unseren Handys auf lange Sicht nicht mithalten können. Bei Monatszeitschriften aber habe ich mir bislang immer eingeredet, dass Hoffnung besteht. Wenn es die Schallplatte schafft, als Kultobjekt zu überleben (so mein Eindruck als Kind der frühen 90er), warum dann nicht auch das poppige linke Kultur- und Politmagazin, das man sich auf den Wohnzimmertisch legen kann, um Intellektualität zumindest vorzutäuschen?

Das »Konkret«-Aus nagt an dieser Theorie und sicherlich gibt es wirtschaftliche Argumente, die für den vollständigen Umzug ins Digitale sprechen. Als jemand, der täglich eben doch viel auf dem Handy liest, glaube ich allerdings: Wer den Schritt wagt, braucht ein durchdachtes Konzept, eine moderne App, mit der es Spaß macht zu lesen, und muss die Leser*innen beim Wechsel an die Hand nehmen. Ein geiles Titelbild allein wird nicht reichen.  Patrick Volknant

Der Vater, der Sohn und das Heft

Mein Vater kaufte seine erste »Konkret« wohl in den frühen Sechzigern. Damals hieß es, sie werde »von drüben« bezahlt. Das mochte ihn nicht schrecken. Meine früheste Konkret-Erinnerung: Eine Doppelseite mit Bildern umgesägter Strommasten. Darunter standen lustige Namen wie »autonome Handwerker«. Das waren die 80er. In der Zeit wurde »Konkret« Vater-Sohn-Lektüre. Meine Mutter hielt Abstand. Mein Vater goutierte den bissigen Antifaschismus von Otto Köhler, ich orientierte mich an den Beiträgen eines Oliver Tolmein, der mit Berichten über die besetzte Hafenstraße und Interviews mit Rote-Zora-Kämpferinnen street credibility zu verkörpern schien.

Als Diedrich Diederichsen Anfang 1989 ein Album der britischen Grindcore-Band Napalm Death zur »Platte des Monats« kürte, war ich beseelt. Ein paar Jahre zuvor hatte ich als musizierender Jungpunk auf das Demotape unserer Band herzliche Grüße an Gremliza und die »Konkret« geschrieben, obwohl die anderen Bandmitglieder noch nie eine Zeile »Konkret« gelesen hatten. In den Nullerjahren wurde dann der bisherige Hardcore-Fanzine-Schreiber Martin Büsser beständiger Beiträger des linken Blattes.

Um den Epochenbruch 1989/90 war »Konkret« nicht nur anregende und selbstversichernde Lektüre, sondern angesichts der Annexion der DDR Lebenselixir. Grimmig hörte ich meinen Vater bei der Lektüre lachen. Sicherlich wieder die Gremliza-Kolumne, vielleicht auch Peter Hacks oder der Polemiker Wolfgang Pohrt. Dann kam der Golfkrieg 1991. Pohrt wollte eine Atombombe auf Bagdad abgeworfen sehen, sollte Saddam Hussein Israel mit Scud-Raketen angreifen. Der verehrte Herausgeber versuchte sich an bellizistischer Hegelei, wonach Bush Senior aus falschen Gründen das Richtige betreibe. »Konkret« wurde gekündigt oder nicht mehr gekauft, mein Vater zählte zu denjenigen, die diesen »Proimperialismus« nicht dulden konnten – der Sohn war ohnehin auf der Straße und demonstrierte vor Rüstungsfabriken. Schließlich wurde das Heft aber wieder gekauft, wenn nicht sogar ins Abo genommen, um die Nachwiedervereinigungszeit mit ihren Pogromen, Naziaufmärschen und Alltagsrassismus kritisch zu reflektieren. Dann wurde »Konkret« vorgeblich »antideutsch«, folgte einer linksdeutschen Staatsräson und wurde uninteressant.  Gerhard Hanloser

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