Odinga bewegt sich, Kibaki bleibt stur

Kenia kommt nach den offensichtlich gefälschten Präsidentschaftswahlen nicht zur Ruhe / Oppositionschef bietet gemeinsame Übergangsregierung an, Präsident lehnt ab

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 4 Min.
Einer der als demokratische Musterländer gepriesenen Staaten Afrikas befindet sich am Rande des Bürgerkriegs: Kenia. Der Westen verstärkt seine Vermittlungsbemühungen, denn Kenia ist ein wichtiger Verbündeter im sogenannten Krieg gegen den Terror. Bisher ist jedoch nicht abzusehen, dass die alte Elite um Präsident Mwai Kibaki auch nur zu einer Machtteilung bereit ist.

Wenigstens sie haben theoretisch einen Grund zur Freude: Kenias Schüler. Wegen der schweren Unruhen bleiben die Schulen nach den Ferien zum Jahreswechsel eine Woche länger geschlossen als eigentlich geplant. Dies teilte das Bildungsministerium am Mittwoch in Nairobi mit. Der Unterricht solle erst wieder am 14. Januar beginnen. Doch ist zu bezweifeln, dass bei Kenias Schülern allzu große Freude aufkommt. Zu traurig ist der Anlass:

Bereits mehr als 340 Menschen sind getötet worden, zehntausende Menschen sind auf der Flucht, viele Schulen werden als Notunterkünfte genutzt.

Scheinbar unversöhnlich stehen sich die Anhänger der politischen Rivalen um die Präsidentschaft, Amtsinhaber Mwai Kibaki und Herausforderer Raila Odinga, gegenüber. Odinga und seine Parteigänger von der Orange Demokratie Bewegung (ODM) fühlen sich um den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember betrogen. Sie haben gute Argumente, sagt der Kenia-Experte Professor Rolf Hofmeier, der 2002 selbst als Wahlbeobachter im Lande war. Schließlich seien bei den am selben Tag abgelaufenen Parlamentswahlen 14 Kabinettsmitglieder von Kibaki in ihren Wahlkreisen abgewählt worden. Und zwar ohne dass es von ihrer Seite auch nur einen Einspruch oder Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gegeben hätte, bemerkte der ehemalige Direktor des Instituts für Afrika-Studien in Hamburg gegenüber ND. Während die ODM fast die Hälfte aller Parlamentssitze einheimste, landete Kibakis Partei der Nationalen Einheit (PNU) weit abgeschlagen unter ferner liefen. Hofmeier wertet dies als Ausdruck eines klaren Strebens der Bevölkerung nach einem grundlegenden politischen Wandel, den Odinga im Wahlkampf versprochen habe. »Odingas Anhänger haben Recht, sauer zu sein«, lautet sein Wahlfazit.

Dennoch ist es bisher Odinga, der Kompromissbereitschaft zeigt. Schloss er anfangs kategorisch aus, den bereits für seine zweite Amtszeit vereidigten Präsidenten Kibaki anzuerkennen, so bot er das konditioniert und befristet inzwischen an. Odinga würde sich auf eine gemeinsame Übergangsregierung zur Vorbereitung von Neuwahlen einlassen, teilte Andrej Hermlin gestern dem ND mit. Der Swingmusiker mit familiären Banden nach Kenia kam gerade erst aus Nairobi zurück und hat einen guten Draht zu Odinga und seinem Umfeld. Doch Hermlin zeigte sich gegenüber ND skeptisch, dass dieser Vorschlag einen Ausweg aus der politischen Krise ebnen könne. Das Problem sei weniger Kibaki selbst als vielmehr die ihn umgebende Gruppe, die kompromisslos an ihren Pfründen festzuhalten gedenke. Auch vom internationalen Druck verspricht sich Hermlin keine Wunderwirkung. Die Leute um Kibaki zeigten afrikanisches Selbstbewusstsein – wie man es sich als Linker oft gewünscht habe – in genau dem Sinne, wie man es sich nicht gewünscht habe. Vom Westen lasse man sich nichts vorschreiben. »Wenn euch was nicht passt, bitte, China stellt keine Bedingungen«, beschreibt Hermlin die Linie von Kibaki und Co.

Professor Hofmeier ist hingegen davon überzeugt, dass gemeinsamer internationaler Druck seine Wirkung entfalten würde – selbst ohne China. »In Kenia spielt China wirtschaftlich keine große Rolle. Das beachtliche Wirtschaftswachstum der letzten Jahre wäre ohne die Investitionen vor allem britischer und US-amerikanischer Unternehmen undenkbar gewesen«, skizziert er die wirtschaftliche Lage in dem ostafrikanischen Land. Das von diesem Boom fast nur Angehörige der Kikuyu profitiert haben, befeuere die politische Situation zusätzlich. Dennoch: Zögen die USA, Großbritannien inklusive der EU und die Afrikanische Union an einem Strang, müsste Kibaki nachgeben, ist Hofmeier sicher.

Leicht fallen dürfte das nicht. »Die USA wurden definitiv auf dem falschen Fuß erwischt.« Das zeige das Zurückrudern nach den voreiligen Glückwünschen an Kibaki eindeutig. Sowohl die USA als auch Großbritannien wünschten einen Wahlsieger Kibaki, weil sie in ihm einen Garanten für die unternehmerische Freiheit und die Kapitalinteressen sähen. Odinga sei zwar längst kein »Radikalinski« mehr wie früher, aber allein seine Ankündigung, mehr soziale Gerechtigkeit zu üben, werde als Unsicherheitsfaktor in der Wirtschaft interpretiert – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.

In der Kehrtwende der USA sieht Hofmeier die Einsicht Washingtons, dass man sich kein zweites Äthiopien leisten kann, ohne die Glaubwürdigkeit in Sachen Demokratieförderung in Afrika vollends zu verlieren. In Äthiopien – mit Kenia wichtigster ostafrikanischer Verbündeter im sogenannten Krieg gegen den Terror – gab es vor zwei Jahren ähnlich kontroverse Wahlen wie jetzt in Kenia. »Dort haben die USA, obwohl klar war, dass die Wahlen nicht korrekt waren, letzten Endes doch den Premierminister Meles Zenawi mit seinem Wahlbetrug durchkommen lassen. Ich glaube, dass manche Leute in Washington und London inzwischen eingesehen haben, dass man sich so ein Desaster in Kenia nicht noch einmal erlauben kann«, blickt Hofmeier verhalten optimistisch in die Zukunft.

Unterdessen schaltete sich der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu in die internationalen Vermittlungsbemühungen ein. Tutu, der am Mittwochabend in Nairobi eintraf, wollte sich am Donnerstag mit Odinga treffen. Ein Gespräch mit Präsident Kibaki war zunächst nicht geplant. »Für uns ist er als Tourist gekommen. Wir haben ihn nicht eingeladen«, sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter. Bereits am Mittwoch hatte ein Sprecher Kibakis erklärt, dass sich Kenia nicht im Krieg befinde und daher weder Vermittler noch Friedenstruppen benötige. Wenn sich an dieser starren Haltung nichts ändert, wird das Land so bald nicht zur Ruhe kommen.

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