Gras wächst über DDR-Akademie

Gebäude der Kaderschmiede in Potsdam-Babelsberg sind Schutthaufen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Ende dauerte es nur wenige Wochen. Gebäude der einstigen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften der DDR in Potsdam fielen im Frühjahr der Abrissbirne anheim.
Nur das ist noch übrig.
Nur das ist noch übrig.

Inzwischen kündet nur noch eine platt gewalzte Sand- und Schotterfläche von der früheren Kaderschmiede, die Anfang der 50er Jahre in den Park Babelsberg hineingebaut worden war. Die Studentenwohnheime daneben sind heute mit einigen hundert Mietern belegt und vorerst nicht von der Beseitigung bedroht. Noch verhindert der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Potsdam ihren Abriss, nach der Wende wurden sie sogar noch einmal saniert. Perspektivisch sind aber auch die Tage dieser Gebäude gezählt. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten nimmt von dem Gelände Besitz.

Nahezu alle Diplomaten der DDR hatten in der Akademie ihre Weihen erhalten. Von Babelsberg aus ging es für sie in die Welt hinaus. Aber auch Bürgermeister und Ratsmitglieder studierten hier. Justizministerin Hilde Benjamin hatte bis zu ihrem Tode den Lehrstuhl Rechtsgeschichte inne. Auch ihr Sohn Michael und der heutige Europaparlamentarier André Brie (Linkspartei) lehrten hier. Der bei einem Autounfall tödlich verunglückte PDS-Landtagsabgeordnete Michael Schumann war hier Professor. Horst Gramlich, nach der Wende SPD-Oberbürgermeister von Potsdam, brachte den Studenten Politische Ökonomie des Sozialismus bei. Auch der heutige Wirtschaftsminister Brandenburgs, der CDU-Politiker Ulrich Junghanns, absolvierte sein Studium an der Akademie. 95 Prozent der Studentenschaft und des Lehrpersonals gehörten der SED an, die übrigen fast alle den Blockparteien.

Dass in Babelsberg die Staatselite geformt wurde, zeigte sich auch in der finanziellen Ausstattung der Studenten. Weil Erfahrungen in der Produktion erwünscht bis Bedingung waren, gab es höhere Stipendien. »Gezahlt wurde oft ein Einkommen«, erinnert sich ein Eingeweihter. Damit standen die Leute besser da als zum Beispiel die Studenten der benachbarten Filmhochschule »Konrad Wolf«. Aber Stipendium bekamen alle Studenten in der DDR – das hatten sie heutigen Kommilitonen voraus. Erinnerlich ist vielen heute das hohe Niveau der Ausbildung an der Akademie, was auch eine tief greifende Beschäftigung mit dem Wissenschaftlichen Kommunismus einschloss. Der allerdings wäre der Einrichtung fast zum Verhängnis geworden. Denn das marxistische Dogma vom »Absterben des Staates« wurde in der DDR zunächst für bare Münze genommen, und staatswissenschaftliche Studiengänge liefen auch in Babelsberg aus. In der Ära von SED-Generalsekretär Erich Honecker wurden die staatswissenschaftlichen Studiengänge aber wieder eingeführt.

Vom Standort aus hat man heute einen schönen Blick auf den Teltowkanal und die Glienicker Brücke. Die Studenten und die Lehrkräfte konnten dies nicht erblicken, weil Bäume und Sträucher den Blick auf die Grenze zu Westberlin verhinderten.

Zunächst gab es am Orte eine Schule für die Eilausbildung von Volksrichtern, denn der junge Staat war entschlossen, in seinem Justizwesen auf das faschistische Richterpersonal zu verzichten. Bis Ende der 60er Jahre dann hieß die Einrichtung Deutsche Akademie für Staat und Recht »Walter Ulbricht«, nach Ulbrichts Tod wurde daraus die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR.

Der heute niedergelegte Gebäudekomplex war nur ein Teil des Ganzen – das Hauptgebäude der Akademie lag unweit des Bahnhofes Griebnitzsee und damit ebenfalls im Grenzgebiet. Zur Zeit der Nazidiktatur war dort die Reichszentrale des Deutschen Roten Kreuzes untergebracht. Nach der Wende ging der Hauptkomplex als Juristische Fakultät ein in die neu gegründete Universität Potsdam. Natürlich betraf das nur die Gebäude. In denen wurden übrigens in den 80ern Szenen des filmischen Welterfolgs »Mephisto« gedreht. Aber lediglich ein einziger Professor hatte nach der Wende den Sprung von der Akademie zur Universität geschafft.

Mit der politischen Festlegung, Bestandteil der Universität zu werden, war der Versuch gescheitert, der Akademie als eigenständige Lehreinrichtung ein Überleben zu sichern. Rektor Rolf Steding hatte sich noch im Februar 1990 bemüht, auf den neuen Stil einzuschwören und erklärte: »Der Sozialismus rückt auch als Theorie bereits wieder in das Reich der Utopien. Ihm dürfen wir uns wissenschaftlich nicht mehr hingeben.« Als Hochschule für Recht und Verwaltung wollte die Akademie weitermachen, was ihr aber in der ersten Regierungserklärung von Ministerpräsident Stolpe (SPD) trocken verwehrt wurde: »Die Hochschule für Recht und Verwaltung wird keinen Bestand haben.«

In einem hatten sich die Voraussagen von Professor Steding allerdings erfüllt. Er sprach von einem wissenschaftlichen Emanzipationsprozess, »der auf längere Sicht auch einer Erneuerung des Lehrkörpers« gleichkomme. Das erfolgte dann allerdings kurzfristiger als selbst von ihm erwartet.

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