Sommermärchen im Alpenformat

Europas Fußballverband will Championat als weltweit drittgrößtes Sportereignis positionieren

War das ein Durcheinander unter den Reportern aus aller Welt, als sich Stürmerstar Cristiano Ronaldo beim Training der Portugiesen in Neuchâtel am Dienstag plötzlich den Knöchel in Eis packen ließ. Sollte der designierte Superstar dieser 13. Fußball-Europameisterschaft in der Schweiz und Österreich ausfallen?

Dabei waren die Portugiesen doch die einzige Mannschaft bei der EURO 2008, bei der sogar für das Training Eintrittskarten verkauft wurden: 12 000 Stück à 15 Franken (9,26 Euro). Doch Senhor Ronaldo beliebte zu scherzen, nur wenige Minuten später kehrte er zurück und zauberte, als wäre nichts gewesen, über den Rollrasen im Estade La Maladière . Mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

UEFA-Präsident Michel Platini dürfte mindestens ebenso laut aufgeatmet haben wie Portugals Trainer Felipe Scolari. Denn Ronaldo, ihr wichtigster Darsteller, wird bei der großen Show des europäischen Fußballs dabei sein, wenn die UEFA in den nächsten drei Wochen zu beweisen sucht, dass ihr im Vierjahrestakt veranstaltetes Turnier den Titel drittgrößte Sportveranstaltung der Welt zu Recht für sich beansprucht – hinter Olympia und Fußball-WM.

Mit durchschnittlich 155 Millionen TV-Zuschauern bei den insgesamt 31 Spielen, mit restlos ausverkauften Stadien, überfüllten Public-Viewing-Zonen an der Bergiselschanze in Innsbruck oder am Basler Rheinufer wähnt man sich sicher auf dem Bronzerang vor Tour de France und Rugby-WM, selbst wenn angesichts der Ministadien höchstens 50 000 Zuschauer beim Sportereignis vor Ort dabei sein können, so auch im Ernst-Happel-Stadion von Wien, wo am späten Abend des 29. Juni schließlich einer von 16 Mannschaftskapitänen den neu geschaffenen Europameisterpokal gen Himmel stemmen wird.

Die Gastgeber Schweiz und Österreich, die noch nicht so genau wissen, wie sie nach dem EM-Turnier ihre 30 000-Mann-Arenen in Klagenfurt oder Genf mit heimischer Ligaware füllen sollen, haben sich am gelungenen Verlauf der WM 2006 in Deutschland orientiert: Fanzonen überall, wo es nur geht. Reichlich Sicherheitskräfte – 27 000 in der Schweiz, 16 000 in Österreich – sollen den reibungslosen Ablauf garantieren. Dabei helfen Beamte aus allen Teilen des Kontinents, zum Beispiel 850 deutsche Polizisten. Die Marketingmaschinerie läuft bereits ebenso hochtourig und enervierend wie vor dem »FIFA World Cup 2006« hierzulande: kein Werbeplakat ohne Rasengrün und Lederball, kaum ein TV-Werbespot ohne Fußballbezug. So langsam steigt auch in den beiden Wintersportländern die Vorfreude. Immer öfter sieht man auf den Alpenpässen jene Plastikfahnen, die auch in Deutschland in diesen Tagen unter die Autodächer geklemmt werden wie anno 2006 beim Sommermärchen.

Während in Österreich kaum jemand auf die eigene Mannschaft setzen will (selbst Nationaltrainer Josef Hickersberger kritisierte seine Spieler noch dieser Tage wegen Disziplinlosigkeiten), freuen sich die Schweizer auf ihre »Nati«, die morgen vor 42 500 Zuschauern im Basler St. Jakob-Park gegen Tschechien den Auftakt macht. Hopp Schwiiz!

Dank engagierter Nachwuchsarbeit hat die gut funktionierende Auswahl der Schweiz, die übrigens mit 7,4 Millionen nicht viel mehr Einwohner zählt als der Deutsche Fußball-Bund Mitglieder (5,6 Millionen), durchaus Möglichkeiten, sich in der Gruppe A bis ins Viertelfinale durchzuspielen. Für ein Sommermärchen im Alpenformat wäre dies sicherlich mindestens ebenso wichtig wie das Mitwirken Cristiano Ronaldos.


Zahlen zum Turnier

8 000 000 000 Fernsehzuschauer wird diese EM weltweit haben.

600 000 000 Euro zahlt der Sportrechtevermarkter Infront für die europäischen TV-Rechte.

234 000 000 Euro beträgt das operative Budget der EM.

10 359 177 Menschen aus 142 Ländern haben sich um die 1 050 000 Karten beworben.

124 920 gut gekühlte Flaschen Coca Cola stehen in den VIP-Bereichen für die Ehrengäste bereit.

70 000 Zuschauer können in der größten UEFA-Fanzone in Wien den Kickern zuschauen.

35 000 Akkreditierungen sind erteilt worden, unter anderem an 10 000 Medienangestellte, 7500 Servicemitarbeiter, 5000 Freiwillige.

8000 zusätzliche Verkehrsschilder sind in den Gastgeberländern installiert worden.

550 Euro kostet die teuerste Karte für das Endspiel.

307 Sicherheitsschleusen ins-gesamt sollen alle Stadionbesucher kontrollieren.

180 Länder empfangen TV-Signale von der EURO 2008.

30 Kameras sind pro Match im Einsatz, eine davon im Helikopter.

17 offizielle Hauptsponsoren zahlen rund 370 000 000 Euro.

6 Minuten vor Anpfiff eines jeden Spiels beginnt das Abspielen der Nationalhymnen.

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