Euro plus Keynesianismus

  • Rudolf Hickel
  • Lesedauer: 3 Min.
»Von Keynes lernen hieße, die Fehler aus zehn Jahren Europäischer Zentralbank zu überwinden.«
Kurz, Nick, Luft & Hickel: Euro plus Keynesianismus

In diesem Monat sind für die Ökonomie und Politik zwei gewichtige Geburtstage zu vermerken: Am 1. Juni jährte sich zum zehnten Mal der Start der Europäischen Zentralbank (EZB). Am 5. Juni wurde der 125. Geburtstag des britischen Ökonomen John Maynard Keynes gefeiert. Was haben die beiden Jubiläen miteinander zu tun?

Was die theoretische Grundauffassung über die Funktionsweise kapitalistischer Systeme und damit die Konsequenzen für die Politik betrifft, könnten die Unterschiede kaum größer sein. Die für angemessene Geldversorgung in bald 16 Mitgliedsländern zuständige EZB geht getreu der aufgelösten DM-Bastion Deutsche Bundesbank davon aus, dass sich selbst überlassene kapitalistische Wirtschaftssysteme über die Triebkraft verfügen, »Wohlstand für alle« zu erzeugen. Dazu muss nach der streng monetaristischen Doktrin der Staat auf Interventionen in die Wirtschaft verzichten. Gewerkschaften finden hier nur Anerkennung, wenn sie sich dem Regelwerk kapitalistischer Konkurrenz unterwerfen.

Nach zehn Jahren EZB fällt die Bilanz ihrer Geldpolitik auf der Basis dieser Doktrin ziemlich negativ aus. Die EZB strebt an, der Euro-Wirtschaft stetig 4,5 Prozent Geld hinzufügen, womit die Produktionsmöglichkeiten ausgeschöpft und die Inflation unter 2 Prozent gehalten werden sollen. Mit diesem Ziel ist die EZB – wie übrigens ihr Vorläufer, die Bundesbank – gescheitert. Das aus der Wirtschaft heraus getriebene Geldmengenwachstum liegt mit über 8 Prozent fast doppelt so hoch. Deshalb reduziert sich heute die Geldpolitik auf eine monomane Inflationsbekämpfung. Derzeit liegt die Teuerungsrate im Durchschnitt mit über 3 Prozent relativ hoch. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen gesamtwirtschaftlichen Überhang der Nachfrage gegenüber den Angebotsmöglichkeiten. Maßgeblich ist der Energie- und Nahrungsmittelbereich. Wird der ärgerliche Anstieg wichtiger Preise der privaten Haushalte mit einer restriktiven Geldpolitik bekämpft, dann stellen sich Kollateralschäden für die Produktionswirtschaft und die privaten Haushalte ein.

Jedoch selbst eine expansive Geldpolitik wäre bei der Stärkung des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung überfordert. Sie muss durch eine expansive Finanzpolitik in den einzelnen Mitgliedsländern komplettiert werden. Das gilt gerade für Deutschland. Überwunden werden muss der Geburtsfehler im Euroland: die mangelnde Koordinierung der Finanzpolitik bis hin zur Einrichtung einer »Wirtschaftsregierung«.

Hier können die neoliberalen Macher der Geldpolitik von John Maynard Keynes lernen. Aus der Erfahrung der Weltwirtschaftskrise stand bei ihm die Erkenntnis von der selbst erzeugten Krisenanfälligkeit kapitalistischer Wirtschaftssysteme im Mittelpunkt. Die neoklassisch modellierte Rettung à la Münchhausen funktioniert nicht. Das gilt vor allem in der heutigen Etappe eines von den Finanzmärkten beherrschten »Raubtierkapitalismus« (Helmut Schmidt). Keynes war überzeugt, dass gegenüber den instabilen renditeorientierten Investitionen der Staat »eine immer wachsende Verantwortung für die unmittelbare Organisation der Investitionen« zu übernehmen hat. Heute wird neben einer expansiven Geldpolitik in Deutschland ein öffentliches Zukunftsprogramm mit den Infrastrukturschwerpunkten Bildung und ökologischer Umbau dringender denn je.

Von Keynes lernen hieße, die Fehler aus zehn Jahren EZB zu überwinden sowie die notwendigen Regulierungen und aktive Finanzpolitik vorzunehmen. Euro plus Keynesianismus ist die Antwort auf das neoliberale Austoben unkontrollierter Marktmacht.

Immer freitags: In der ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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