Rhythmus des Lichts

Moro no Brasil von Mika Kaurismäki

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.
In Finnland sind die Winterabende noch länger, noch dunkler als bei uns. Wovon träumt man an langen dunklen Winterabenden so hoch im Norden? Von südlichem Licht! Von Finnland aus gesehen ist fast überall Süden. Selbst Tacitus »Germania« wird da ein Sendbote aus südlichem Reich. Aber Mika Kaurismäki ist wie sein genialer Bruder Aki ein Maximalist. Darum musste es richtiger Süden sein: Brasilien! Während Wim Wenders nach seinem Ausflug nach Kuba zum »Buena Vista Social Club« nun wieder bei Wolfgang Niedeckens Ruhrgebiets-Beat von »BAP« angekommen ist, was ihm immerhin eine Berlinale-Einladung einbrachte, ist Mika Kaurismäki mit einem One-way-Ticket nach Brasilien gefahren. Mit dem Frachtschiff. Ein Kindheitstraum. Dort hat er eine Kneipe aufgemacht und sich dem Samba hingegeben. Damit das fürs Finanzamt nicht zu sehr nach Urlaub aussieht, stellte er seinen Samba-Brasilien-Kneipen-Ausflug unter die Überschrift: »Musikethnographische Studien«. Das müssen wir uns für die nächste Italien-Reise merken. Studien sind immer gut. Was also erforscht Mika Kaurismäki inmitten des brasilianischen Sambas? Wagen wir eine Rückblende. Mika Kaurismäkis letzter Film hieß »L.A. without a map«. Dort fuhr ein junger Bestattungsunternehmer von Schottland nach Hollywood. Dieser Film bestand aus einem einzigen suggestiven Teppich von Bildern und Tönen. Auf der Suche nach seinem Ur-Rhythmus hat Kaurismäki jetzt Station gemacht an der Copacabana. Erstes Forschungsergebnis: hier ist alles leichter. Auch der hochprozentige »König Alkohol«, mit dessen Macht sich die beiden Kaurismäki-Brüder herumschlagen, gibt sich hier Long-Drink-leicht. Viertausend Kilometer fuhr Mika Kaurismäki durchs Land, immer auf der Suche nach dem Ur-Rhythmus. Dem des Lebens, des Trinkens, des Filmemachens und natürlich - Brasiliens. Fünfhundert Jahre nach der portugiesischen Kolonisation gibt es von einst fünf Millionen indianischen Ureinwohnern noch dreihunderttausend. Da fällt mehr als ein Tropfen Melancholie in den hitzigen Samba-Rhythmus. So viel Geschichte, wie sich hier mischt, passt in kein Cocktailglas. Aber das wird zur Stunde, in der sich Kaurismäki wirklich als Musikethnologe par excellence beweist. Samba ist das, was indianische Tradition mit vielen neueren Einflüssen immer wieder vermixt. Ein Gefäß, in dem Eigenes und Fremdes zusammenfließen: als Tanz-Rhythmus. Wie immer bei den Filmen Mika Kaurismäkis liegen Romanze und Groteske dicht beieinander. Die Sturheit des hohen Nordens trifft auf südliche Nonchalance. Welche Rolle dabei die Münchener Hochschule für Film und Fernsehen spielte, an der Kaurismäki einst studierte, wagen wir nicht zu beurteilen. Wir hören, sehen, fühlen die indianische Grundschicht dieses Landes, darauf die Spuren der vor langer Zeit vom portugiesischen Hof importierten Musik. Es kamen Rhythmen dazu, die afrikanische Sklaven mitbrachten, amerikanischer Jazz und Rock auch - und all das findet nun in Kaurismäkis Musikkneipe statt: Brasilien blickt in den Samba-Spiegel, den ihm Kaurismäki hinhält. Wir sehen das Elend der Großstadtslums und erfahren: Samba ist ein Rausch, in dem die Menschen für Momente ihr Elend vergessen. Aber es ist mehr als das. »Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum«, hat Nietzsche gesagt, der in Gedanken ein Tanzlehrer sein wollte. Und auch diese Musik offenbart Lebens-Wahrheit. Sie wird zur Feier des Augenblicks, wappnet die Seele gegen Kälte und Not, nicht durch Flucht, sondern durch Stärkung. Mehr Hitze und Licht! Ohne Musik wäre das Elend nur Elend.
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