Die geballte Faust mal entspannen - das Fest der Linken

Neues Deutschland, DIE LINKE und 10 000 Besucher feierten in der Berliner Kulturbrauerei

  • Jörg Meyer und Tobias Riegel
  • Lesedauer: 6 Min.
ND-Moderator Uwe Kalbe (3. v.l.) befragte Linksparlamentarier aus dem Westen: Klaus Rainer Rupp (Bremen), Kreszentia Flauger (Niedersachsen), Jörg Cezanne (Hessen), Dora Heyenn (Hamburg) und Ulrich Maurer (Bundestag).
ND-Moderator Uwe Kalbe (3. v.l.) befragte Linksparlamentarier aus dem Westen: Klaus Rainer Rupp (Bremen), Kreszentia Flauger (Niedersachsen), Jörg Cezanne (Hessen), Dora Heyenn (Hamburg) und Ulrich Maurer (Bundestag).

Ulrich Maurer, parlamentarischer Geschäftsführer der LINKEN im Bundestag, musste sein Publikum am vergangen Samstag nicht erst zum Feiern überreden. In Zeiten von zweistelligen Umfrageergebnissen riet er, »die geballte Faust auch mal zu entspannen.«

Walfriede Schmitt und Karsten Troyke trugen jiddische Lieder und Prosa vor: »Dass ich nicht vergess', Ihnen zu erzählen«
Walfriede Schmitt und Karsten Troyke trugen jiddische Lieder und Prosa vor: »Dass ich nicht vergess', Ihnen zu erzählen«

Das Neue Deutschland (ND) feierte am Wochenende sein jährliches Pressefest mit buntem Polit- und Kulturprogramm – zum 50. Mal. Über 10 000 Besucher waren gekommen. Der Andrang hatte auch damit zu tun, dass es diesmal ein »Fest der Linken« war, gemeinsam veranstaltet von ND, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Partei DIE LINKE. Nur vereinzelt gab es dagegen Bedenken: »Da gibt man doch denen Futter, die behaupten, wir wären immer noch eine Parteizeitung«, sorgten sich einige Beteiligte. Die meisten Besucher freuten sich jedoch, dass hier Veranstalter zu einem gemeinsamen Fest zusammenfanden, die sich ihrer politischen Nähe nicht schämen müssen.

Was tun gegen Rechtsextremismus? Darüber diskutierte ND-Moderator Martin Kröger (Bildmitte) mit Ulrike Schröder, Bianca Klose, Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner und Nils Busch-Petersen (v.l.n.r.).
Was tun gegen Rechtsextremismus? Darüber diskutierte ND-Moderator Martin Kröger (Bildmitte) mit Ulrike Schröder, Bianca Klose, Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner und Nils Busch-Petersen (v.l.n.r.).

Zum doppelten Jubiläum – die LINKE feierte ihr einjähriges Bestehen – wollte man auch räumlich etwas Neues ausprobieren und lud in die Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg. Im geschichtsträchtigen Ambiente informierte an den über 70 Ständen etwa das offene Jugendbüro »Red Roxx« über seine Arbeit und das links-grüne Europa-Bündnis GUE/NGL agitierte gegen Abschiebung. Es stellten sich Aktivisten der European Left ebenso vor, wie die sozialen Bewegungen aus Venezuela oder Kuba. Dazu gesellten sich Stände der LINKEN und der zahlreichen Kooperationspartner des ND. Durch die Luft wehte ein Gemisch aus Gerüchen von irakischen Fleischgerichten, bolivianischer Tortilla, französischen Crèpes, und deutscher Bratwurst. Die für 1,50 Euro erworbene kubanische Zigarre war dann aber doch nur begrenzt genießbar.

Der kubanische Botschafter in Berlin, Gerardo Penalver (links), und der Soziologe Heinz Dieterich (re.) im Gespräch mit ND-Redakteur Martin Ling.
Der kubanische Botschafter in Berlin, Gerardo Penalver (links), und der Soziologe Heinz Dieterich (re.) im Gespräch mit ND-Redakteur Martin Ling.

Viel zu sehen und viel zu hören
Eröffnet wurde das Fest durch Lothar Bisky, ND-Herausgeber und Vorsitzender der LINKEN, ND-Chefredakteur Jürgen Reents und Ulrich Maurer. Bisky stellte fest: »Wir haben die soziale Frage ins Zentrum gerückt und sind dadurch bundesweit zweistellig – das wollen wir heute feiern. Und wir sind offen für alle, die dabei sein wollen.« Reents verwies darauf, dass man dafür auch das ND lesen solle. Anschließend waren die Fraktionsvorsitzenden der LINKEN aus Bremen, Hamburg, Hessen und Niedersachsen zu Gast und konstatierten: »Der Westen liegt links.«

Über probate Strategien gegen Rechtsextremismus diskutierte ND-Redakteur Martin Kröger mit Gästen von der autonomen Antifa, dem Prominenten-Bündnis »Ratschlag für Demokratie« und der Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (LINKE). Fazit: Es gibt viele Formen gegen Rechts vorzugehen – man sollte sie nicht gegeneinander aufrechnen. Berlins Innensenator Ehrhard Körting (SPD) musste sich in einer Runde über Datenschutz in Zeiten des Sicherheitswahns für den inkonsequenten Kurs seiner Partei bei diesem Thema rechtfertigen, sagte aber auch, dass das größte Hindernis für den Datenschutz die Leichtfertigkeit vieler Konsumenten sei. Für Hans-Christian Ströbele von den Grünen ist das neue BKA-Gesetz nichts anderes als die »Realität gewordenen Träume von Mielke und Herold«.

In der Tat habe es in den letzten Jahren von staatlicher Seite »etliche Grenzüberschreitungen« gegeben, kritisierte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Petra Pau (LINKE) fasste zusammen: »Ein Bürger, der nicht mehr weiß, was andere über ihn wissen, ist nicht mehr souverän. Aber eine Demokratie ohne Souveräne ist nicht möglich.« In einer Runde zum Afghanistan- und Irakkrieg informierte der Ex-Marine James Gilligan über seine erschütternden Erfahrungen in diesen Kriegsgebieten.

ND-Berlinchef Klaus Joachim Herrmann diskutierte mit den Berliner Fraktionsvorsitzenden die Frage: »Welche Farben braucht Berlin?« Carola Bluhm (LINKE), sagte, man müsse mit »der einzigen rot-roten Regierung« der Bundespolitik etwas vormachen. Michael Müller (SPD) meinte, man solle 2009 erstmal die große Koalition überwinden. Chancen für Rot-Rot auf Bundesebene sah er nicht. Auch Volker Ratzmann (Grüne) sah zu wenig Übereinstimmungen mit der LINKEN, um über rot-rot-grüne Konstellationen 2009 zu reden.

Unter dem Motto »Olympiazug Peking« moderierte Sportchef Michael Müller eine Runde, in der einige Sport-Prominenz versammelt war. Der Berliner Judoka Michael Pinske schilderte seine Medaillenhoffnungen für Peking, Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der LINKEN, forderte Unterstützung für den Breitensport und der Goldmedaillengewinner im Gehen von 1972, Peter Frenkel, schilderte seine Erfahrungen in Olympia.


Swing und Bundespolitik
Nachdem Andrej Hermlin und sein Swing Orchestra die Zuschauer vor der großen Bühne begeisterten, ging es noch einmal bundespolitisch zu. Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN Gregor Gysi und der frühere SPD-Staatsminister Rudolf Dreßler diskutierten mit Jürgen Reents und Wolfgang Hübner vom ND über »Sackgassenbeschlüsse« – wie Dreßler die SPD-Entscheidungen zur LINKEN nennt – und den dramatischen SPD-Niedergang. Dreßler sagte unter großem Beifall: »Wer jetzt in der SPD mahnt, die ›politische Mitte‹ nicht zu verlassen, dem kann ich nur sagen, er hat den Schuss nicht gehört.« Auf die Frage, warum nicht mehr ehemalige SPD-Mitglieder in die LINKE einträten, meinte Gysi, das läge auch daran, dass die LINKE »ein bisschen altbacken« sei. »Wir Alten müssen jetzt mit dafür sorgen, dass wir ein wenig jungbackener werden.«

Derweil die beiden das Weh und Wohl der Sozialdemokratie diskutieren, jagt ein kleines Mädchen in raschelndem Rosa hinter bunten Seifenblasen her. Von der Soda-Bühne klingen Bass und Fiedel, ein Mann mit einem Tuch um den Kopf taucht seine Konstruktion aus mit Schnüren verbundenen Bambusstäben wieder und wieder in Seifenlauge. Den Rest erledigt vor allem der Wind. Eltern genießen einen Augenblick der Stille.

Auch das Wetter spielte bis Sonntagnachmittag mit. So war es fast eine Entlastung für die gegenlichtgeplagten Augen, von der Hauptbühne im Hof in das Palais zu wechseln, um ein Gespräch zwischen Bisky und EU-Forscher Klaus Busch zu hören. Sie verwiesen angesichts einer »neoliberalen Religion«, die in Europa Fuß gefasst habe (Bisky), auf eine Erneuerung Europas auf sozialer, demokratischer und friedliebender Basis.

Samstag ab 18 Uhr verlagerten sich die Besuchermassen. Zwar saßen noch etliche vor der Hauptbühne und lauschten Jazz-Lyrik-Prosa mit Walfriede Schmitt, Karsten Troyke und anderen. Viele Pressefestbesucher, aber noch mehr Menschen, die extra dafür gekommen waren, sahen im Hof der Kulturbrauerei, das EM-Spiel Schweden gegen Spanien. Zeitgleich lasen Ahne und Volker Strübing, zwei der besten »Sprechsteller« aus der Berliner Lesebühnen-Szene im Palais. Sie erheiterten das handverlesene Publikum mit skurrilen Geschichten und Liedern über den Wahnsinn des Alltags.

Am Samstagabend konnte man manch müdes, aber glückliches, Gesicht sehen und so manche Hand, in der ein mit Büchern und Broschüren gut gefüllter Beutel baumelte.

Ein Berliner Ehepaar hielt es für eine gute Idee, dass die Veranstaltung in der Kulturbrauerei war. Sie fühlten sich an die Zeit erinnert, als das Pressefest noch im Friedrichshain veranstaltet wurde. Vermisst hätte er aber Stände aus Thüringen und Sachsen, sagte der Mann. Deutliche Kritik hatte er an den Getränkepreisen. Drei Euro für ein Bier seien einfach zu viel. Andere meinten, durch die Wahl des Ortes wären auch wieder mehr jüngere Leute zum Pressefest gekommen.

Am Sonntag ging das Fest weiter. Doch mittags waren in vielen Teilen der Kulturbrauerei kaum Besucher zu sehen. Warum? Auf einer Bühne sang der Ernst-Busch-Chor und davor sind fast alle Plätze besetzt. Hinten ist Radsportlegende Täve Schur von Fans umlagert, die Autogramme wollten. Und Schachgroßmeister Wolfgang Uhlmann spielt eine Simultanschachpartie an mehreren Tischen. Das Fest klang zum Nachmittag mit Konzert und Lesung aus. Nun wird abgebaut und im nächsten Jahr sieht man sich hoffentlich wieder.


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