36 türkische Vereine in Berlin
DFB-Integrationsbeauftragte Keskinler: »Halbfinale eine Chance für die Basis«
Gül Keskinler war als Jugendliche die einzige Ausländerin im örtlichen Turnverein. Für sie ist es keine Übertreibung, den Sport als Integrationshilfe zu bezeichnen. »Der Verein hat mir einen Weg vorgegeben, um die deutsche Sprache zu vertiefen und Freunde zu finden. Sport soll Identifikation und Identität fördern.«
Keskinler wurde in Istanbul geboren. 1970 siedelte sie mit ihrer Familie nach Deutschland über. Seit anderthalb Jahren ist sie Integrationsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes. Sie betrachtet das Halbfinale zwischen Deutschland und der Türkei als Chance. Sie will den Blick auf die Basis des Fußballs lenken, auf den Nachwuchs, die Mädchenteams, den Altherrensport. »Es herrschen große Informationsdefizite vor«, sagt sie und fügt hinzu, dass ihre Arbeit ein Kampf gegen das Klischee sei.
Rund zwei Millionen Türken leben in Deutschland, davon etwa zehn Prozent in Berlin. Von den über 100 000 Berlinern, die organisiert Fußball spielen, ist ein Drittel ausländischer Herkunft. Etwa 20 000 stammen aus der Türkei. Viele von ihnen leben in Bezirken wie Neukölln, Kreuzberg oder Wedding, in denen soziale Probleme besonders ausgeprägt sind.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in Deutschland rund 150 so genannte mono-ethnische Vereine gebildet, in denen sich Einwandergruppen zusammengeschlossen haben, viele aus Angst vor Diskriminierung. In Berlin wurden 36 Klubs von Türken ins Leben gerufen. Oft müssen sie den Vorwurf hören, sie würden sich von der Mehrheitsgesellschaft abschotten. »Wir sollten nicht Energie verschwenden, um die Berechtigung der ethnischen Vereine zu diskutieren. Wir sollten sie einbinden«, sagt Gül Keskinler.
Sie rät zum Zusammenschluss mit Partnern aus der Gesellschaft, der Agentur für Arbeit oder dem Ausländerbeirat. Darin liegt eine Herausforderung. Viele türkische Funktionäre sind die deutschen Strukturen nicht gewohnt. Seit Monaten regt Gül Keskinler Fortbildungen für Vereinsvertreter, Trainer und Schiedsrichter an. Sie besucht Landes- und Kreisverbände in Deutschland. Viele haben einen Integrationsbeauftragten ernannt, einen Funktionär mit Migrationshintergrund, der Sprache und Sorgen der ethnischen Vereine versteht.
»Man kann die Entwicklung nicht von oben durchsetzen. Es müssen viele mitgenommen werden«, sagt Keskinler. Der DFB vergibt seit diesem Jahr einen Integrationspreis. Gerade hat er einen Imagefilm zum Integrationsthema gedreht. Doch können diese Maßnahmen auch die Probleme in den Sportgerichten lösen, die es schwer haben, Juristen mit türkischen, griechischen oder kroatischen Wurzeln zu finden? Regelmäßig fühlen sich türkische Kicker in Verhandlungen nach Roten Karten benachteiligt.
»Das muss nicht immer Diskriminierung sein«, sagt Harald Aumeier. Es gibt unterschwellige Schranken.« Aumeier vertritt den Berliner Migrantenklub Türkiyemspor in Istanbul. Er knüpft eine Verbindung zwischen der latenten Abneigung gegen Türken im deutschen Amateurfußball und der Tatsache, dass mit Mustafa Doan erst ein Deutsch-Türke für die DFB-Elf gespielt hat. »Viele Jugendliche mit türkischem Pass werden von den Talentspähern gar nicht wahrgenommen. So spielen sie nie für deutsche Auswahlmannschaften.« Türkische Funktionäre dagegen suchen die deutschen Nachwuchsligen frühzeitig nach Begabten ab.
Studien prognostizieren, dass ab 2010 jeder zweite Jugendliche in deutschen Ballungsgebieten einen Migrationshintergrund haben wird. Diesem demografischen Wandel wird sich auch der Fußball stellen müssen. Harald Aumeier würde sich freuen, wenn es ein gebürtiger Türke in die DFB-Elf schaffen würde.
Nachdem sein Verein Türkiyemspor in die Regionalliga aufgestiegen war, meldeten sich drei Journalisten. Vor dem EM-Halbfinale waren es 50. Doch einen deutschen Sponsor hat der türkische Verein noch nie gefunden. Dabei ist Türkiyemspor gerade 30 Jahre alt geworden.
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