Die Gewerkschaft Force Ouvrière kämpft bei der Tour de France

Tom auf Tour: Die lange Karawane der Frankreich-Rundfahrt als Symbol der Widersprüche

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Johanny Berthet wirbt für gewerkschaftliche Arbeit bei der Tour de France.
Johanny Berthet wirbt für gewerkschaftliche Arbeit bei der Tour de France.

Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn es nicht selbst in hochkommerziellen Organisationen nicht auch Spuren revolutionären Geistes geben würde. Zum Beispiel in der langen Karawane der Tour de France. Die ist bekannt dafür, dass globale Konzerne dort kleine Geschenke unters Volk bringen – etwas zum Naschen, mehr oder weniger formschöne Kopfbedeckungen, Klatschpappen, mit Werbung beschriftete Kugelschreiber und dergleichen vieles mehr.

Mittendrin tummeln sich aber auch Vertreter der Gewerkschaft Force Ouvrière. »Wir sind sogar einer der ältesten Teilnehmer der Karawane, seit 75 Jahren mittlerweile«, erzählt Johanny Berthet »nd«. Er ist als Gewerkschaftsmitglied in der Abteilung der Justizangestellten organisiert. Diese Branche ist noch recht gewerkschaftstreu. »Zieht man die Richter ab, dann ist etwa ein Drittel aller Mitarbeitenden in der Justiz in unserer Gewerkschaft«, betont er.

Tom auf Tour

Tom Mustroph, Radsportautor und Dopingexperte, begleitet diesen Sport weltweit seit mehr als 20 Jahren für »nd«.

Bei der Tour verteilen Berthet und seine Mitstreitenden ebenfalls kleine Werbegeschenke, aber auch Flugblätter und Magazine, die ihre Arbeit vorstellen. »Vor allem für die junge Generation ist das wichtig. Die wissen oft gar nicht, was Gewerkschaften können«, meint Berthet. Und sogar ganz praktische Arbeit leisten die Gewerkschafter hier. »Wir beraten die Leute von anderen Firmen, was ihre Arbeitsverträge angeht. Oft gehen sie mit nur 1600 Euro nach Hause, wovon du nicht leben kannst. Mit unserer Hilfe wurden schon einige Arbeitsverträge nachverhandelt, zugunsten der Beschäftigten«, erzählt Berthet stolz. Man müsse sich doch wehren!

Wichtige Kämpfe im Frankreich unserer Tage betreffen den Widerstand gegen die Rentenreform. »Momentan kann man noch mit 64 Jahren in Rente gehen. Aber das Rentenalter soll schrittweise angehoben werden. Und das geht nicht, wenn man sich vorstellt, dass manche schon mit 16 oder 18 mit der Arbeit begonnen haben«, erklärt Berthet. Sein Großvater konnte noch mit 60 Jahren in Rente gehen, starb aber mit 61. »Nur ein Jahr hatte er ohne Arbeit; ein Witz ist das, ein trauriger Witz«, meint er.

Die Plattform Tour de France sei ein gutes Vehikel, auf die eigenen Anliegen aufmerksam zu machen. Einen Vorteil hat dabei die lange Präsenz der Gewerkschaft in der Tourkarawane: »Weil wir zu den ältesten Teilnehmern gehören, zahlen wir auch relativ wenig für unsere Fahrzeuge hier. Die anderen sind da schon ein bisschen neidisch«, sagt Berthet. Hier schlagen Gewerkschaften also noch global agierende Konzerne.

Ein wenig irritierend war, dass der Stand der Gewerkschaft beim Grand Depart in Lille ausgerechnet neben einem Werbestand der Fremdenlegion stand. Dort buhlte ein Mann mit slawischem Akzent, der sich selbst als russischer Muttersprachler vorstellte, vor allem um die Aufmerksamkeit junger Männer. »Ja, einige sind schon interessiert. Wir sind schließlich überall auf der Welt im Einsatz. Das ist schon attraktiv«, erklärt er »nd«. Gewerkschaftliche Aktivitäten gibt es in der Fremdenlegion nicht. »Da kommen wir einfach nicht herein«, meinte Berthet mit Blick auf den Nachbarstand. In Frankreich hat auch die Tour ziemlich viele Widersprüche.

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