Alterssex auf Japanisch

Liebestoll im Abendrot von Imaoka Shinji

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Er hat O-Beine und reichlich Falten im Gesicht, aber auf die Frauen steht er immer noch ganz gewaltig: Funakichi (Taga Masaru) ist 65, ein ehemaliger Stuckateur mit berufsbedingten Verschleißerscheinungen und einem vom Alter gänzlich ungebändigten Sexualtrieb. Seine Frau mochte es nicht, dass er sich Nacktmodelle zum Fotografieren suchte, erzählt er später seiner Jugendliebe, und man liest zwischen den Zeilen, dass seine Ehe ihm die Nacktmodelle nicht wirklich ersetzen konnte. Nun aber liegt seine Frau im Krankenhaus und wird es nicht mehr lebend verlassen. Funakichi, allein und jeder Kontrolle entzogen, sucht sich Anregung, indem er jungen Frauen im Supermarkt unter den Rock lugt.

Mit dem wenig reumütigen Missetäter im Büro des Supermarkt-Managers beginnt der Film, und mit einem weiteren Blick auf die durchsichtige Unterwäsche ausgerechnet der selben jungen Frau wird er enden. Da allerdings ist es nicht mehr Funakichi, der ihren Rock lupft, sondern sein kleiner Enkel: Der Drang zum Spinxen ist offenbar erblich. Die Wiederholung der voyeuristischen Tat dient aber auch dem Spenden von Trost, denn bis zum Ende des nur gut einstündigen Films wird Funakichi seine Frau verloren, seine Geliebte mit einem anderen auf dem Futon erwischt und seine Jugendliebe wiedergewonnen haben – nur um sie an Sitte, Anstand und ihre Familie erneut zu verlieren.

Ähnlich wie Andreas Dresens »Wolke 9« (siehe Feuilleton) ist auch »Liebestoll im Abendrot« ein Film über die sexuelle Anziehung und Erfüllung im Alter. Und wie der deutsche Titel ja bereits unzweideutig klar macht – der japanische Originaltitel, »Tasogare«, bedeutet schöner und schlichter einfach »Dämmerung« –, geht es auch hier vor der Kamera zur Sache. Denn der gestohlene Blick auf fremde Unterwäsche ist für Funakichi nur eins von vielen Mitteln der Triebbefriedigung. Regelmäßige Treffen mit einer jüngeren Bardame führen hör- und sichtbar für beide zur Erfüllung. Sogar Funakichis Frau wird kurzzeitig noch einmal Interesse an einer manuellen Begegnung mit ihm aufbringen. Und zum offiziellen Ende der Trauerzeit nach ihrem Tod werden die mit ihm gealterten – und teils auch schon vom Krebs gezeichneten – Schulkameraden ihn voller Verständnis für seine Bedürfnisse auf einen Besuch in einer schicken Striptease-Show einladen.

»Tasogare« ist ein pinku eiga, ein Softporno japanischen Stils, und er ist ein besonders schöner Vertreter seiner Gattung. Das liegt einmal daran, dass der Film innerhalb eines Genres, das halb-pornografische Darstellungen mit künstlerischem Ehrgeiz und einer tragfähigen Handlung verknüpft, die traditionelle Beschränkung auf eine Stunde Laufzeit nicht oder nur unwesentlich überschreitet und man trotzdem am Ende den Eindruck hat, Funakichi schon ein halbes Leben lang zu kennen. Und es liegt zum anderen daran, wie der Pink Film-erfahrene Regisseur mit dem Tabu der körperlichen Liebe im Seniorenalter umgeht. Imaoka Shinji, selbst erst Anfang Vierzig, kennt sich aus in der Gattung Softporno für das Mainstream-Kino. Er hat sein Metier als Regie-Assistent bei der vorangegangenen Generation von Pink Film-Meistern gelernt. Und er geht den Sex unter Sechzigjährigen so an, dass dem Zuschauer zugleich dessen völlige Normalität wie seine besondere Problematik bewusst werden.

So ist Kazuko (Namikibashi Yasuko), Funakichis unerfüllte Jugendliebe, als er sie auf einem Klassentreffen wiedertrifft und kurz darauf noch einmal aufsucht, zwar ganz offensichtlich heimlich in ihn verliebt gewesen, aber trotzdem zunächst peinlichst berührt von seinem – eigentlich doch ganz folgerichtigen – Wunsch nach Initimität. So lange Jahre ist sie nur Witwe und Mutter gewesen – auch die Verwaltung ihrer Geldgeschäfte hat sie längst an die Schwiegertochter abgegeben –, dass der Gedanke erst langsam Fuß fasst, es könne sie auch noch jemand als Frau begehren. Im Stundenhotel, in das Funakichi sie spontan entführt, beginnt sie jedenfalls erstmal zu beten. Singt ihm ein Schlaflied, um seine Hitze zu kühlen, und lässt sich dann doch zu Berührungen überreden, die Erinnerungen an seine allerersten Avancen vor fünfzig Jahren wachrufen.

Damals, als Schülerin, war sie entsetzt vor der in der Tat eindrucksvollen Gummi-Prothese geflohen, die der vierzehnjährige Funakichi aus der Schuluniform zog. Jetzt, mit 65, kann sie die Begegnung endlich genießen. Und der Zuschauer lacht mit, wenn die altgewordenen Darsteller die jüngeren Versionen ihrer Figuren in schlechten Perücken und kurzem Röckchen auch selbst spielen, von erigierten Prothesen schon ganz abgesehen. Und bangt von Herzen mit, ob die späte Vereinigung von Dauer sein kann, oder wie Funakichi seine Lust in Zukunft wohl befriedigen soll, wenn Ehefrau, Freundin und Jugendliebe ihn alle gleichzeitig verlassen.

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