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Die wollen nur das Werk dicht machen

Rostocker Derby-Cycle-Belegschaft hält weiter ihren Betrieb besetzt und fordert Recht auf Arbeit

  • Frank Schlößer, Rostock
  • Lesedauer: 3 Min.
Am heutigen Freitag will die Belegschaft der Derby-Cycle-Niederlassung von Groß Schwaß mit einem Fahrradkorso zum Rostocker Markt auf ihre Lage aufmerksam machen. Sie halten ihr Werk seit Wochen besetzt.
Das Werk ist ja keine marode DDR-Altlast!« sagt Heiko Witt, der Derby-Cycle-Betriebsratsvorsitzende. »Es wurde 1993 gebaut, für 40 Millionen Mark. Von denen 8,7 Millionen Fördermittel waren!« Die Belegschaft des Betriebes hält den Betrieb besetzt, nachdem sie in der vergangenen Woche vor Gericht eine Aussetzung ihrer Kündigungen erwirken konnte. Das Fahrrad-Montagewerk war in den vergangenen Jahren immer wieder in der Presse. Als positives Beispiel im Osten: Es wurden über 100 sichere Arbeitsplätze geschaffen, es wurde IG-Metall-Tarif gezahlt samt Urlaubs- und Weihnachtsgeld - in dieser Region ein Privileg. Mit Beifügungen wie »eines der modernsten Fahrradwerke Europas« ließ sich gut werben. Das millionste Fahrrad konnte man im Frühjahr 2001 vermeldet - Rahmen für hochklassige Mountainbikes wurden hier geschweißt, eine teure Anlage zur Pulverbeschichtung angeschafft. Viele aus der Belegschaft kamen aus dem DDR-Schiffbau oder hatten im Hafen ihr Geld verdient - so lange es ging. »Der Markt ist im Jahr 2001 um 16 Prozent eingebrochen,« begründet Geschäftsführer Kim Roether in der Derby-Cycle-Zentrale Cloppenburg die geplante Schließung. »Das war nicht vorauszusehen - und auch nicht, wie lange dieses Tief anhalten würde.« Heiko Witt hält dagegen: »Wir waren hier nur die verlängerte Werkbank, eine Expansion auf Zeit, solange der Absatz stimmte. Dann wurde der andere Ost-Standort Zerbst abgewickelt und 2001 sind bei uns die Förderzeiten abgelaufen. Jetzt sind wir dran.« Seiner Meinung nach wurden Investoren abgewimmelt, die das Werk gern übernommen hätten. Wenn die noch die Lizenz für eine Fahrradmarke bekommen hätten, wäre eine Übernahme kein Problem gewesen. Aber die Namen »Kalkhoff, Focus, Winora« bezeichnen eine Position an einem Verdrängungsmarkt und machen deshalb einen entscheidenden Teil des Betriebskapitals aus. »Den gibt niemand einfach weg« , so Roether. Im Herbst 2001, nach den Betriebsferien, wurde beim Arbeitsamt »Kurzarbeit Null« beantragt. Heiko Witt hatte einem solchen Beschluss nicht zugestimmt, aber die Geschäftsleitung holte sich die nötige Unterschrift beim Gesamtbetriebsrat in Cloppenburg. Bis in den Dezember hinein habe die Geschäftsleitung sich optimistisch gezeigt, habe Sozialpläne aufstellen und einen Interessenausgleich schaffen wollen. Es sei bei Absichtserklärungen geblieben. »Die wollen nur eins: Möglichst schnell dicht machen.« Statt Vorschlägen für eine Auffanggesellschaft kamen im Januar die Kündigungen, die jetzt für rechtswidrig erklärt wurden, weil noch kein ernsthafter Versuch einer Schlichtung unternommen wurde. Heiko Witt vermutet, dass die Maschinen schon lange an die Konkurrenz verkauft sind, die in Ungarn ein Montagewerk baut. Doch das wird aus Cloppenburg dementiert, ebenso das Gerücht, eine Supermarktkette hätte Interesse an den Hallen angemeldet. »Die Chefs haben hier jahrelang gut verdient,« sagt Heiko Witt, doch auch bei dem Thema folgt das Dementi von Kim Roether auf dem Fuße: »Der Standort Rostock war für uns ein Zuschussgeschäft in Millionenhöhe.« Heiko Witt winkt ab. Derby-Cycle habe, als Ableger eines weltweiten Konzerns, alle Möglichkeiten, seine Bilanzen zu reinigen, die Konkurse werden da genauso geplant wie die Investitionen. Viel schlimmer sei, dass sich bis jetzt niemand aus der Politik für die Schließung des Fahrradwerkes interessiert. »Im vergangenem Jahr liefen die Förderzeiten aus, und prompt begannen die Unregelmäßigkeiten im Betrieb. Im Wirtschaftsministerium zuckt man nur mit den Schultern. Sogar als wir nachweisen konnten, dass die Richtlinien nicht eingehalten wurden, die an das Fördergeld vom Land geknüpft waren!« Beispielsweise seien nie die geforderten 153 Arbeitsplätze geschaffen worden. Ein weiteres Indiz für die lange geplante Stilllegung des Werkes sei die mangelhafte Weiterbildung gewesen. Viele hätten eine Qualifizierung zum Zweiradmechaniker bestätigt bekommen, obwohl sie während ihrer Ausbildung nur am Fließband standen. In Cloppenburg. Jetzt sitzen die Kollegen im Sekretariat und denken an ihre Zukunft. Eine düstere Perspektive hatten sie in all den Jahren immer mal wieder vorgeführt bekommen: Zeitarbeitskräfte halfen in den Stoßzeiten aus: die einzige Branche, die auch in Mecklenburg-Vorpommern ständig nach Arbeitskräften sucht. Um sie für einen Stundenlohn von 10 bis 12 Mark in den Westen zu schicken.

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