Entliehen und Entlassen
Die Wirtschaftskrise trifft den Arbeitsmarkt – als erste merken es die Leiharbeiter
Befürchtungen zur Realität. Am härtesten trifft dies die Leiharbeiter selbst; Hunderttausende müssen um ihre Jobs bangen. Damit sind sie die ersten Opfer des Abschwungs auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
Als die Arbeitslosenzahlen für Oktober bekannt gegeben wurden, herrschte offiziell gute Laune. Zum ersten Mal seit Mitte der 1990er Jahre waren sie unter die Drei- Millionen-Marke gefallen. Also lobte die Regierungskoalition sich selbst in den höchsten Tönen. Die düsteren Prognosen für die nächsten Monate wurden nicht erwähnt. Dabei sind die ersten Ausläufer der Wirtschaftskrise längst auf dem deutschen Arbeitsmarkt angekommen.
Zuerst trifft es immer die Letzten. In diesem Fall diejenigen, die zuletzt eingestellt wurden. Die kriselnde Autobauer- und Zuliefererindustrie hatte in den vergangenen Monaten tausende Leiharbeiter angefordert, um die Auftragsspitzen des konjunkturellen Aufschwungs abzufedern. Sie waren schnell einsetzbar, konnten schlechter bezahlt und notfalls schneller wieder entlassen werden als die Stammbelegschaft.
Flexibilität gilt als größter Vorteil der Leiharbeit. Was in Zeiten des Aufschwungs ein Vorteil für Großunternehmen war, zeigt sich nun deutlich als enormer Nachteil für die Zeitarbeiter. Genauso schnell, wie sie eingestellt wurden, können sie wieder zurück zu den Leiharbeitsfirmen geschickt werden. BMW hat wegen der schlechten Auftragslage bisher 5000 Leiharbeiter entlassen, beim Autoteilezulieferer Continental sind es ebenso viele. Nach einem Medienbericht will sich der VW-Konzern, der weltweit 25 000 »Ausgeliehene« beschäftigt, demnächst von einem Großteil davon trennen. Volkswagen dementierte die Meldung allerdings hastig. Zunächst werde nur auf 750 Mitarbeiter in Deutschland verzichtet, deren Verträge Ende 2008 auslaufen.
Und auch für die Zeitarbeitsfirmen selbst sehen die Prognosen schlecht aus. Insgesamt stehen in Deutschland 800 000 Menschen bei Adecco, Randstad und anderen unter Vertrag, viele von ihnen als Hilfskräfte. Wenn aus der Wirtschaft keine Anfragen mehr kommen, müssen sie um ihre Jobs bangen. Eine Weile werden die großen Zeitarbeitsunternehmen ihre Angestellten noch weiter bezahlen, aber viel Spielraum haben sie nicht: Wenn die Mitarbeiter nicht mehr verliehen werden können und sich somit nicht mehr rentieren, werden sie entlassen. Leiharbeit ist keine »sichere Arbeit«, das zeigt sich spätestens jetzt. Für viele Menschen war sie der einzige, wenn auch schlecht bezahlte Weg aus der Arbeitslosigkeit, nun müssen sie befürchten, wieder auf Hartz IV angewiesen zu sein.
Und es bleibt nicht bei den Leiharbeitern: Die Branche wird als Frühindikator der Konjunktur bezeichnet, weil Entwicklungen in diesem Bereich zeitverzögert auf die restliche Wirtschaft durchschlagen. In etwa zwei Monaten, so schätzen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsexperten, werde sich die momentane Entlassungswelle unter den Leiharbeitern bei den regulären Arbeitsstellen fortsetzen. Nicht nur Autobauer und Zulieferer sind betroffen, alle großen Unternehmen leiden zunehmend unter schwindenden Aufträgen. Wenn alle Leiharbeiter entlassen worden sind, trifft es auch die Stammbelegschaft. Kurzarbeit, Betriebsurlaub und Überstundenabbau sind die erste Konsequenz, Entlassungen werden folgen. Bei einem Wiedererstarken der Konjunktur werden die Gekündigten zu einem Großteil durch die billigeren und flexibleren Ausleihkräfte ersetzt.
Der Aufschwung der vergangenen Monate war ein Trugschluss, verursacht durch kurzfristige konjunkturelle Schwankungen. Langsam bricht sich die Realität Bahn. Spätestens 2009 wird es bei den Arbeitsmarktzahlen nicht mehr soviel Grund zum Jubeln geben.
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