Wenn das Sterben zu teuer wird

Immer mehr Menschen in Deutschland lassen sich anonym bestatten

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Wiese am Waldfriedhof in München: Friedhofsgärtner sammeln Blumen und Grablichter ein und stellen sie am Wiesenrand auf. Eigentlich ist so etwas hier nicht erlaubt, denn es handelt sich um das Feld mit den anonymen Bestattungen. Eine Beisetzungsart, die bundesweit zunimmt. Denn immer mehr Menschen können sich das Sterben nicht mehr leisten.
Urnenbegräbnisstätte in Berlin-Steglitz.
Urnenbegräbnisstätte in Berlin-Steglitz.

Der Satz »Umsonst ist nur der Tod, und der kostet das Leben« ist nicht vollständig: Der Tod, beziehungsweise das Begräbnis, kostet auch noch an die zwei- bis dreitausend Euro: Gebühren, Kosten für Sarg oder Urne, für Trauerfeier und Grabschmuck. Für Hartz IV-Betroffene ist das kaum zu leisten. Spektakulär kam dies im Februar vergangenen Jahres auf dem Friedhof der Nicolai- und Martinsgemeinde in Magdeburg zu Tage: Eine 28-Jährige Empfängerin von Arbeitslosengeld II wollte ihr verstorbenes Kind beerdigen, als die Friedhofsverwaltung die Beisetzung stoppte. Der Grund: Die junge Frau sollte für die Grabstelle im Voraus 348 Euro bezahlen. Erst nachdem ihr Bruder die Kostenerstattung zugesichert hatte, konnte die Beisetzung fortgesetzt werden. Die Zahlungsmoral sei schlecht, rechtfertigte die Verwaltung ihr Einschreiten.

In der Tat steigt die Zahl der billigsten Bestattungen, die der anonymen Beerdigungen, seit Jahren an. Was in den 1950er Jahren noch die Ausnahme war, wird vor allem in Großstädten immer mehr zur Regel. In München wuchs die Zahl der anonymen Beisetzungen von 600 auf 1000 pro Jahr, sagt der städtische Friedhofssprecher Herbert Huber. Einer der Spitzenreiter bei anonymen Bestattungen ist Berlin: 2006 wurden über 40 Prozent der Menschen in namenlosen Grabstätten beigesetzt – nahezu eine Verdopplung gegenüber 1992. Damals lag der Anteil bei 22 Prozent. »Ich denke, dass es nicht nur in Berlin so ist. Auch ich habe festgelegt, dass ich anonym beerdigt werde in meinem Heimatort. Ich mute meinen Kindern keine Grabpflege zu. Sie werden mich auch so im Herzen tragen«, lautete ein Kommentar im Internet.

Alexander Helbach ist Sprecher von Aeternitas, einer »Verbraucherinitiative Bestattungskultur« mit nach eigenen Angaben rund 50 000 Mitgliedern. Er sieht verschiedene Gründe für den Zuwachs bei dieser Bestattungsart: Zum einen veränderten sich die Familienstrukturen: »Es gibt immer mehr Singles ohne Nachwuchs, die die Grabpflege übernehmen könnten«, so Helbach. Viele wollten ihren Hinterbliebenen nicht zur Last fallen, zudem sei die christliche Begräbnismoral am Schwinden. Aber es sind auch die Kosten für eine Beerdigung, die viele abschrecken. Kostet doch etwa in München die günstigste Urnen-Beisetzung über 2000 Euro, die durchschnittliche Erdbestattung 4000 Euro und mehr. Die billigste Grabmiete für zehn Jahre beträgt rund 350 Euro.

Bis 2004 zahlte die gesetzliche Krankenkasse ein Sterbegeld von rund 1000 Euro für Versicherte und 500 Euro für Familienmitglieder. Nun bleibt für Menschen ohne finanzielles Polster beim Tod eines Angehörigen nur der Gang zum Sozialamt. Laut Paragraph 74 Sozialgesetzbuch werden »die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.« Jede Kommune kann den Rahmen einer sogenannten Sozialbestattung allerdings selbst bestimmen. Aeternitas fordert deshalb in einer Aktion »Sozialbestattung 2008« eine bundesweite Vereinheitlichung der Standards mit »ortsüblicher Mindestqualität und Beisetzung in einem Reihengrab, unter Berücksichtigung des letzten Willens des Verstorbenen und in einem finanziell angemessenen Rahmen.« Dazu gehöre neben der Wahl zwischen Erd- und Feuerbestattung ebenso das Orgelspiel und auch ein Trauerredner. Die schleswig-holsteinische Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) hat nun die Städte und Gemeinden des Bundeslandes aufgefordert, bei Sozialbestattungen gewisse Mindeststandards einzuhalten. Bei Bestattungen, deren Kosten die Kommunen übernehmen, sollten nicht nur alle öffentlich-rechtlich veranlassten Kosten wie Friedhofsgebühren, die Überführung des Leichnams und die Sargträger bezahlt werden. Zu einer würdigen Bestattung zählten auch Kosten für eine Trauerfeier. Auch religiös oder weltanschaulich bedingte Aufwendungen (Pfarrer, Organist, Rabbiner, Kantor oder Trauerredner) seien zu berücksichtigen.

Neben der Sozialbestattung gibt es auch sogenannte Bestattungen »von Amts wegen«, wenn keine Angehörigen eines Verstorbenen bekannt sind. Hier wird von den Kommunen oft die billigste Variante gewählt: die Verbrennung und anonyme Beisetzung. Rund 250 Menschen jährlich werden so zum Beispiel in Oberhausen im Ruhrgebiet beigesetzt, der Kosten wegen. Diese weit verbreitete Praxis hat in der Vergangenheit zur Kritik von Kirchen und Sozialverbänden geführt. Für Freunde und Bekannte gebe es so keinen Platz zum Trauern. Zumindest die Stadt Köln hat nun darauf reagiert: Verstorbene ohne Angehörige, deren Bestattungen vom Ordnungsamt der Stadt angeordnet werden, finden künftig auf einer mit Namen versehenen Gemeinschaftsgrabfläche ihre letzte Ruhe.

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