Eine bessere Welt ist nötig

Dietmar Dath ist Rationalist, kein Ideologe. In »Maschinenwinter« streitet er für Sozialismus

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 7 Min.
Eine bessere Welt ist nötig

Marx' Werke werden gekauft wie lange nicht mehr, und an den Universitäten strömen Studenten in Lektürekurse, um in den Schriften nach Gültigem zu forschen. Vielerorts vernimmt man ein Raunen: Geht es wieder um in Europa, das Gespenst des Kommunismus?

Seit dem Kollaps der Weltfinanzmärkte ist es auch außerhalb linker Nischen nicht mehr anrüchig, die vehement behauptete Überlegenheit des kapitalistischen Systems zumindest in Frage zu stellen. Das nach 1989 weit verbreitete Gefühl der Alternativlosigkeit beginnt zu schwinden. Es weicht dem Wunsch nach dem Leben in einer Gesellschaft, die andere Werte schätzt als Konsum und die Mehrung privaten Besitzes.

Weil ein vages Sehnen seine Sache nicht ist, fordert der Schriftsteller und Publizist Dietmar Dath in seiner Streitschrift »Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus« von den Unzufriedenen »den Schritt vom Wünschen zum Wollen, den eigentlich politischen, den linke Universalisten tun müssen. Nicht ›so kann es nicht weiter-gehen‹, sondern ›so soll es nicht weitergehen‹ ..., nicht das archaische Glück ist das Ziel, sondern das erst herzustellende.«

Dath, Jahrgang 1970, ist ein kühler Analytiker mit Hang zu kühnen Schlussfolgerungen. So beschreibt er zu Beginn seines Essays Phänomene unserer profitorientierten Gesellschaft und charakterisiert sie als »unanständig, schweinisch, obszön, widerlich«. Um im selben Atemzug hinzuzufügen: »Davon rede ich nicht. Moral ist Glückssache und setzt Deckung der wichtigsten Lebensbedürfnisse voraus; meistens hat man andere Sorgen. Ich rede aber davon, daß das alles nicht vernünftig ist und deshalb nicht funktionieren kann.«

Herrschaft über Maschinen

Dietmar Dath geht es um nicht weniger als um den Fortbestand der Menschheit. Wenn unsere Spezies eine Chance haben wolle, als Ganzes zu überleben, sei eine Besinnung auf den Gemeinsinn nicht nur wünschenswert, sondern schlicht notwendig. Wenn gewaltige Überschüsse produziert werden, aber nicht dorthin gelangen, wo sie benötigt würden, entsteht ein Ungleichgewicht, das die Welt aus den Fugen geraten lassen muss. Die absurde Tatsache, dass die technischen Voraussetzungen, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen, nie besser waren als gegenwärtig, während gleichzeitig die Diskrepanz zwischen Besitzenden und Mittellosen rasant wächst, führt Dath zur zentralen These seines Buches: Klassenkampf ist heute mehr denn je ein Kampf um die Herrschaft über die Maschinen, die in der Lage wären, den allgemeinen Wohlstand zu erzeugen, stattdessen aber allein den Zweck verfolgen, Profit zu mehren. Das ist Marx up to date.

Entschieden schreibt Dath wider die Skepsis gegenüber der Technik an. Wer Maschinen als Bedrohung empfinde, weil sie Arbeitsplätze vernichteten, verkenne die Realität: »Es sind ... nicht die Maschinen, die Menschen einstellen oder feuern.« Der von Menschen bestimmte Grund für das Wirken der Maschinen »kann der Profit sein ... Es kann aber … auch die allgemeine Arbeitsersparnis sein – dann wird ›alle schöpferische Möglichkeit‹ gerade nicht abgetötet, sondern für interessantere Aufgaben befreit.«

In Dietmar Daths jüngstem (seinem elften) Roman »Die Abschaffung der Arten« entwirft der Autor ein Zukunftsszenario, in dem die Menschen ihre Herrschaft über die Welt verloren haben. An den Rändern einer neuen, von vernünftigen Tieren gelenkten Gesellschaft fristen sie nur noch eine geistlose Existenz. Daths politische Streitschrift »Maschinenwinter« muss parallel zu diesem Roman entstanden sein. Es lohnt, beide Bücher parallel zu lesen. Vieles, was in der »Abschaffung der Arten« in wissenschaftliche Fiktion überführt ist, fundiert auf den Überlegungen, die Dath in seinem Essay anstellt.

Eine Menschheit, die diesen Namen verdient, so Dath, müsse erst noch geschaffen werden: von Menschen, mittels Wissen, Technik, Ratio. Wenn aber alles beim Alten bliebe, drohe eine evolutionäre Aufspaltung der Art Mensch in zwei Spezies: Herren und Knechte. »Herren und Knechte sind beide etwas anderes als Menschen, moralisch gesprochen: weniger«, schreibt Dath am Ende seines Aufsatzes. »Das Argument genügt als Grund, sie abschaffen zu wollen. Die Menschen haben zugelassen, daß die Maschinen, die ihnen zu dieser Abschaffung verhelfen könnten, zu Naturwesen werden, deren Früchte man nicht ernten kann, weil sie keine mehr hervorbringen; wie schlafende Pflanzen im Winter. Die Menschen müssen ihre Maschinen befreien, damit sie sich revanchieren können.«

Planung und Demokratie

Wie soll die Befreiung funktionieren? Durch Planung und Demokratie. Mithin durch den Staat, begriffen als widernatürliche Institution, die das Gemeinwohl gegen Interessen Einzelner schützt. Fundamentale Aufgabe demokratischer Planung sei es, die menschliche Würde zum garantierten Rechtsgut zu erheben. »Welche Würde?«, fragt Dath. Und gibt Antwort: »Mein Vorschlag lautet, Würde als eine abhängige Variable nicht der Tugend, der Kultur, der Religion oder anderer gasförmiger Idealzustände zu bestimmen, sondern schlicht als eine Größe, die geeicht werden muß am Stand der Produktivkräfte und den von diesen je ermöglichten liberalsten erreichbaren Verkehrsverhältnissen.«

Gegnern der Planwirtschaft, die in ihr eine Entmündigung ökonomisch handelnder Subjekte sehen, entgegnet Dath: »Das Individuum, das die Liberalen vor der Unterdrückung durch den Verwaltungskollektivismus schützen wollen, ist nicht halb so abstrakt, wie sie vorgeben; und die unsichtbare Hand ist nicht halb so unsichtbar.« Längst würde ein Großteil der Wirtschaft von wenigen Monopolisten kontrolliert: »Die feierlich beschworene Freiheit des Individuums ist die Freiheit einer besitzenden Klasse, die den Teufel tun wird, ihre Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel nicht planend zu nutzen.« Und weiter: »Demokratische Planung anstelle der oligarchischen wäre schon aufgrund der Steuerungsbesonderheiten von Demokratie modularer, arbeitsteiliger, flexibler, intelligenter, als wenn ein paar Damen und Herren die Fahrpläne machen, die selber nicht auf die Züge angewiesen sind.«

Historizität von Gedanken

Dietmar Dath geht es um das Erkämpfen einer vernünftigeren Welt, nicht um die Schaffung sozialistischer Inseln, die auf Dauer nicht überleben könnten, weil sie stets abhängig von den Mechanismen der Weltwirtschaft seien. So sind es denn auch globalökonomische Zusammenhänge, und nicht das Gegensteuern von Dissidenten, die Dath, der in Westdeutschland geboren wurde, für den Niedergang der realsozialistischen Staaten zur Verantwortung zieht. Dath ist klug genug, die gesellschaftliche Praxis der »inzwischen hundertfach kaputtverleumdeten untergegangenen sogenannten autoritären Wohlfahrtsstaaten des zwanzigsten Jahrhunderts« nicht zu verteufeln, aber auch nicht zu idealisieren.

Was er deren Führern vorwirft, ist ein falsch verstandener »Wissenschaftlicher Sozialismus«. Dath: »Das Verfahren, die Wissenschaftlichkeit einer Aussage an ihrer Vereinbarkeit mit Kirchenvätertexten zu eichen, ist von beweglicheren Geistern als ›dogmatisch‹ gegeißelt worden.« Und weiter: »Die szientistisch verkleidete Orthodoxie vieler Altmarxisten ist oft ein Schiefbau. ... Der Ärger, den sie stiften, rührt – für angebliche Marxgläubige überaus beschämend – von einem schweren Verstoß gegen das schon vom Junghegelianer Marx bei seinem Lehrer aufgeschnappte Prinzip der Historizität von Gedanken. Dieses gilt nämlich auch für Gedanken, die wahr sind.« Wie die Definition der Menschenwürde kein in Stein gemeißeltes Gesetz ist, so ist ein Lehrgebäude nur dann bewohnbar, wenn es sich stetig den Erfordernissen anpasst. Was Dath als Wesen der Naturwissenschaften erkennt, nämlich dass ihr Vorgehen bedeutsamer ist als ihre Ergebnisse, das fordert er auch von den Gesellschaftswissenschaften. Deutlicher: »Ein wirklich wissenschaftlicher Sozialismus für die Gegenwart hätte mit Marx so viel und so wenig zu tun wie die gegenwärtige Physik mit den Funden Maxwells und die gegenwärtige Biologie mit denen Darwins. Eine ganze Menge also, aber eben jeweils im überprüften (und immer neu zu prüfenden) Anwendungsbereich.«

Schließlich wendet sich Dath gegen die Annahme, dass »das Verfaulen der kapitalistischen Ordnung … unfehlbar den Sieg der eigenen Sache mit sich bringen müßte.« Nichts geschehe ohne aktiven Klassenkampf. Nur wo konkret gegen den Unsinn des Bestehenden agiert wird, ist Bewegung zu erwarten. »Wie man ein Asylbewerberheim vor Pogromisten schützt, wie man eine Propagandaschau des Militarismus oder eine Weißwäscherveranstaltung zur Wiederherstellung der deutschen Ehre stört, wie man General Motors oder Toyota beschämt, weil das Rohmaterial, das sie verarbeiten lassen, in Lateinamerika von illegal in Sklavencamps arbeitenden Rechtlosen stammt – das kann geklärt werden. Dazu bedarf es der Organisation der Linken. Vom je Besonderen her, nicht von einer Weltanschauung mit Religionsanspruch aus, muß entwickelt werden, wie man solche Kampagnen mit den allgemeinen Forderungen verbindet, um die es jeder Linken gegangen ist, die den Namen wert war.«

Dietmar Daths Streitschrift ist schon allein deshalb bemerkenswert, weil es eine solch brillant geschriebene, von universalem Wissen und klarer Haltung durchzogene politische Positionierung bislang von keinem anderen Vertreter seiner Generation gegeben hat. In der kalten Logik ihrer Argumentation aber ignoriert sie eines: Um die Menschheit zu schaffen, bedarf es der Menschen. Ist es vernünftig, deren Verwurzelung im Triebhaften und ihren von keiner Wissenschaft je gebändigten Drang ins Irrationale einfach auszublenden?

Dietmar Dath: Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift. Suhrkamp (Edition Unseld), 134 S., brosch., 10 EUR.

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