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Wahrheitsdroge
Geheimdienste und Gehirnwäsche
Begonnen habe Lenin damit. Er habe begriffen, dass sich der neue Sowjetmensch unmöglich allein durch die Kraft der Überzeugung schaffen lassen würde. Als Beleg für diese These verweist der Autor jedoch lediglich auf die Tatsache, Lenin habe ein Manuskript von Pawlow gelesen, in dem dieser die Konditionierung von Hunden beschreibt. Demnach wäre das Reiz-Reaktionsprinzip die Basis der Gehirnwäsche.
William Sargant, in den 50er Jahren ein bekannter Psychiater des St. Thomas Hospitals in London, schilderte in seinem Buch »Kampf und die Seele«, wie die Pawlowschen Erkenntnisse genutzt werden könnten, um Menschen so zu manipulieren, dass sie ihre innersten Überzeugungen bereit sind aufzugeben. Es geht also um mehr, als um das simple Reiz-Reaktionsprinzip. Es geht um die Gesinnung von Menschen, die verändert, gelöscht oder in ein ganz neues »Programm« transformiert werden sollen. Dies beschreibt Dominic Streatfeild eindringlich am Beispiel des CIA und des britischen Militärs, aber auch diverser Sekten.
Bereits 1953 deklarierte CIA-Direktor Allen Dulles einen Feldzug gegen Menschen, deren Überzeugung »antiamerikanisch« genannt wurde. »Wir können ihn in seiner neuen Form Hirnkrieg nennen«, sagte er. Diesem Krieg dienten wissenschaftliche Projekte, die sich »Bluebird«, »Artichoke« oder »Mkultura« nannten. LSD, Meskalin, Marihuana oder andere chemische Substanzen sollten hier in ihrer Wirkung erforscht werden, mit dem erklärten Ziel die »Wahrheitsdroge« zu finden. Sie sollte Feinde zum Sprechen bringen. Streatfeild zeigt, wie die USA oder Großbritannien im Kampf gegen die IRA an der Verfeinerung des »Hirnkriegs« arbeiteten.
Als amerikanische Soldaten in koreanischer Gefangenschaft öffentlich erklärten, sie hätten über Korea biologische Waffen abgeworfen, darunter Anthrax-, Typhus-, Cholera- und Pesterreger, behauptete der CIA, diese Aussagen seien das Ergebnis einer brutalen Gehirnwäsche. Dabei – und dies ist inzwishen unstrittig dokumentiert – haben amerikanische Bomber sogar Napalm geworfen. Der Autor zeigt, wie die Amnesieprogramme unter dem Code »Artichoke« die »Abschöpfung« amerikanischer Soldaten in der Gefangenschaft unmöglich machen sollten. Ob Hypnose, Reizausschaltung von Gefangenen, Stresserzeugung durch Angst, alle Mittel der psychologischen Beeinflussung wurden genutzt.
Erschütternd zu lesen ist, wie viele Wissenschaftler sich fast 40 Jahre lang mit dem »Hirnkrieg« beschäftigten. Daran beteiligt waren 80 verschiedene Institutionen der USA, darunter 44 Colleges und Universitäten, 15 Forschungseinrichtungen und Privatunternehmen. Das Ergebnis der aufwendigen Forschungen war ernüchternd: Es gibt keine »Wahrheitsdroge«! Drogen führen zu Halluzinationen, nicht zur »Wahrheit«. Sie verursachen lediglich Stress und Ängste, die Menschen dazu bringen, falsche Geständnisse abzulegen oder Geheimnisse zu verraten. Da Drogen nicht den erhofften Erfolg der Manipulation brachten, kehren heute US-amerikanische Militärs zu den Foltermethoden des 14. Jahrhunderts zurück. Die »Wasserkur« ist eine davon. Das Opfer wird auf ein Holzbrett gebunden und dessen Kopf ins Wasser getaucht, bis es zu ertrinken droht. Stress erzeugt Angst. Angst soll die Zunge lösen. Die »Wasserkur« sei keine »Folter«, erklärte die Bush-Adminstration nass-forsch
Scientology, entstanden in der Dulles-Ära, nutzte und nutzt Methoden der »Gehirnwäsche«, schreibt Streatfeild. Scientologen übernahmen aus dem »Mkultura«-
Projekt den Lügendetektor, um erlebte Traumata aufspüren und amnesieren zu können. Danach folgt die »Programmierung«. Das Sektenmitglied erhält einen Marschbefehl ins Gehirn, der Glück verspricht, wenn getan wird, was vom System verlangt wird.
An einigen Stellen ist das Buch eine sehr nervenaufreibende Lektüre. Ansonsten aber eine wichtige Warnung.
Dominic Streatfeild: Gehirnwäsche. Die geheime Geschichte der Gedankenkontrolle. Verlag Zweitausendeins. 454 S., geb., 24,90 EUR.
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