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Das Geheimnis

Barbara Honigmann reiste nach New York

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei einer Lesung im Deutschen Haus, in New York, trifft die Autorin zufällig eine Schulfreundin, die vor langer Zeit, zwei Jahre nach dem Mauerbau, in den Westen geflohen war – weil sie ihr Leben nicht in der DDR »vertrauern« wollte. Der Begriff rührt seltsam an, er hat etwas Entschiedenes im Zugriff auf die Kürze der Existenz. Die Freundin ist in Amerika gelandet, »das musste ja so kommen«. Nun ist auch Barbara Honigmann (wieder einmal) in New York, für ein paar Wochen im Winter 2006. Ihr Buch hat etwas von dieser aufgeschlossenen, entspannten Heiterkeit, nur ja nichts zu vertrauern, gerade hier nicht, in dieser vor Lebendigkeit überbordenden Stadt.

Zugleich umkreist das Beschreiben dieser Spanne Anderswosein die Themen, denen der Mensch nirgends entrinnt: Liebe und Tod, Frieden und Krieg, der Zufall des eigenen Lebens im Schraubstock der Welt, Heimat und Unbehaustheit; man will alles Jetzt süchtig herbeiatmen, aber Erinnerungen drücken die Luft ab. An einer Stelle heißt es: »Wir wollten diese DDR doch hinter und lassen, warum klebt sie uns an wie Pech, darüber sind wir wütend.«

Barbara Honigmann, 1949 in Ostberlin geboren, gleichsam ein Kind des antifaschistischen, jüdischen Exils, lebt seit langem in Straßburg, eine jung Enttäuschte des neudeutschen Aufbaus. Nun, im New Yorker Winter, werden Begegnungen, Lektüre und Ruhestunden Anlass für ein Gespräch mit dem eigenen Ich im Wechsel der politischen Welten und Wetter. Das Buch hat einen leisen, fast immer beschwingten Ton, der den Wahrnehmungen dieses Alltags auf Zeit keinen Gedanken aufdrängt, sondern wartet, bis sich hinter den Bildern eine Tiefe wie von selbst auftut. Sinnlichkeit des Erlebens und Sinnsuche umstreifen einander, freundlich, vertrauensvoll, nicht bedrängerisch. Wie ist das, wenn man in New York Adalbert Stifter liest? Warum starben die Brasch-Brüder so früh? Wie »heimisch« geht es in einer New Yorker Synagoge zu? Barbara Honigmanns Porträts und Momentaufnahmen erinnern in ihrer autobiografischen Ausweitung an den Titel eines ihrer früheren Bücher: »Damals, dann und danach«. Sie zeichnet ein Bild ihres Vaters, des Bürgers, der zum Genossen wurde und der nie verstand, warum die Tochter nach Straßburg ging: Er hatte ihr geraten, sich von Europa loszureißen, in die USA zu gehen. Hier besucht sie nun auch eine Verwandte, und aufreißen die Wunden, die das Jahrhundert der Extreme in die Lebensläufe hieb: Dieses zwanzigste Jahrhundert hat aus der Tugend des Weltbürgers, der Reise, dem Kosmopolitismus, die Not der Flucht gemacht. In diesen tragischen Wechsel bleibt auch das Leben der Nachgeborenen verwickelt. Honigmanns Gefasstheit in nunmehr doch ganz anderen Zeiten bleibt berührt vom Stromstoß der Unruhe, des Transitempfindens, der Unsicherheit. Alle »Geborgenheit ähnelt schnell der Gefangenschaft, aber die Freiheit wird meist teuer erkauft«.

Solch Grundempfinden erst erhebt diesen Aufenthalt in New York zu etwas Besonderem, zum Gleichnis für einen »seltenen Zustand der Ausgeglichenheit« – in einer Kommunität, die bindet, »ohne uns etwas abzufordern«. Die Stadt wird zum Ort, an dem sich die Autorin einmal mehr nach dem Mut befragt, ein neues Dasein zu beginnen, hier zu bleiben, den ganz großen Traum zu leben: »Alle Rollen des Lebens noch einmal umbesetzen können, Verwandlung, neuer Text, neues Dekor, eine andere Gestalt.« Aber, aber ... Honigmann benennt offen ihre »Ängstlichkeit und Bürgerlichkeit«. Sie kehrt, natürlich, in diese Bürgerlichkeit zurück, »wo einem doch immer alles entweder zu viel oder zu wenig, zu schwer oder zu leicht« ist. Woher jenes überirdische Licht New Yorks kommt, das Barbara Honigmann von Beginn ihres Aufenthaltes an so sehr bewegt hatte – dieses Geheimnis freilich konnte sie nicht ergründen. Im Sichtbaren reizvoll aufbewahrt: das Verborgene. Ewiger Lockruf, zu reisen, zu schreiben, zu leben.

Barbara Honigmann: Das überirdische Licht. Rückkehr nach New York. Hanser. 136 S., geb., 14,90 EUR.

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