Kapitalismus ohne Wachstum?

  • Robert Kurz
  • Lesedauer: 3 Min.
Profitlogik kann nur zusammen mit den gesellschaftlichen Formen überwunden werden, die sie erzeugt haben.
Profitlogik kann nur zusammen mit den gesellschaftlichen Formen überwunden werden, die sie erzeugt haben.

Noch vor wenigen Monaten, mitten in der schönsten Defizitkonjunktur, machten die drohende Klimakatastrophe und die zunehmende Lebensmittelknappheit in weiten Teilen der Welt Schlagzeilen. Der Widerspruch, dass ein wachsender »abstrakter Reichtum« (Karl Marx) in der kapitalistischen Form die Naturgrundlagen zerstört und die agrarischen Anbauflächen abschmelzen lässt, wurde natürlich nur rhetorisch bearbeitet. Außer Spesen beim Feilschen um Emissionsrechte nichts gewesen.

Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der Kapitalismus nicht nur an die äußere Schranke der natürlichen Ressourcen stößt, sondern auch an seine innere ökonomische Schranke. Die Weltkonjunktur der letzten beiden Jahrzehnte, die nur eine globale Minderheit erreichte, war auf Kreditblasen aufgebaut, die sich rapide in Rauch auflösen. In der größten kapitalistischen Weltkrise seit den 30er Jahren werden die Klimaziele reihenweise gekappt und der Welthunger ist kein Thema mehr, weil die Produktion des »abstrakten Reichtums« um jeden Preis weitergehen soll.

Jetzt rächt es sich, dass die Frage der sozialistischen Alternative in Vergessenheit geraten ist, nachdem die bloße Verstaatlichung der kapitalistischen Widersprüche im »Realsozialismus« zum Kollaps geführt hatte. Die Ironie der Geschichte will es, dass der Kapitalismus in seiner Not selber die Krise verstaatlicht. Das wird als pragmatisches Handeln ausgegeben. Aber die neue Weltkrise hat ihre Ursache in den basalen Formen der Kapitalverwertung selbst; sie kann durch Verstaatlichung nicht mehr bewältigt werden.

In dieser Situation taucht wieder die Idee einer ökologischen »Alternativ-Ökonomie« auf, die in den 80er Jahren schon einmal gescheitert war. Die Not des globalen Wachstumseinbruchs soll zur Tugend einer »ökologischen Wirtschaft« ohne Wachstumszwang gemacht werden. Auch diese Ideologie gibt sich pragmatisch. Die Alternativ-Ökologen wollen zwar die Naturschranke, aber nicht die ökonomische Schranke sehen. Der Begriff des Wachstums wird zum Fetisch einer oberflächlichen Kritik, die nur die äußeren Resultate der kapitalistischen Gesellschaftsmaschine anklagt, während die inneren Mechanismen von »abstrakter Arbeit«, Warenform, Geldform und Mehrwertproduktion nicht mehr grundsätzlich thematisiert werden.

Dementsprechend billig sind die Rezepte: Ein bisschen Gemüse für den Eigenbedarf anbauen, ein bisschen kooperative Nachbarschaftshilfe, ein bisschen Solarenergie, ein bisschen genossenschaftliche lokale Warenproduktion, ein bisschen staatliches »Existenzgeld«. Und alle sollen nett zueinander sein. Wer glaubt im Ernst, dass damit sieben Milliarden Menschen – die zudem allesamt von der kapitalistischen Weltvergesellschaftung abhängig sind – die derzeitige Krise überleben können?

Ein Kapitalismus (der bloß nicht mehr so heißen soll) ohne Wachstum oder ein Waren produzierendes System ohne Profit wäre wie ein Auto ohne Motor. Die Profitlogik kann nur zusammen mit den gesellschaftlichen Formen überwunden werden, die sie historisch erzeugt haben. Und das zerstörerische System des Weltmarkts ist nur durch radikale Eingriffe auf globaler Ebene zu stoppen, nicht durch die Flucht in eine illusionäre Schrebergarten-Ökonomie, die sich an der negativen Vergesellschaftung des Kapitals vorbeimogeln möchte. Das ist bestenfalls ein »ökologisches« Konzept für die selbstverwaltete Armut in der Krise, aber kein Programm für die notwendige gesellschaftliche Transformation.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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