Der letzte Tag für Radiomultikulti

Auf den Frequenzen von radiomultikulti des RBB aus Berlin wird ab heute, 22 Uhr, das Programm von »Funkhaus Europa« des WDR aus Köln gesendet, vorerst für ein Jahr. Im Internet wollen die Freunde des eingesparten Senders weitermachen.

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 5 Min.
»Radiomultikulti wäre genau in dem Moment überflüssig, in dem kein Nazi mehr in einem deutschen Landtag sitzt, kein Politiker kurz vor einer Wahl ausländerfeindlichen Wahlkampf macht, kein Journalist mehr schreibt, der Türke mit dem deutschen Pass – genau dann könnte man überlegen, Radiomultikulti dicht zu machen. Keine Sekunde eher.« Juan Moreno, Journalist »Die geplante Einstellung von radiomultikulti dürfte im Widerspruch zum öffentlichen Auftrag des RBB stehen.« Jutta Limbach
Am 6. 11. 2008 wurden der RBB-Intendantin Dagmar Reim vor der Rundfunkratssitzung in Berlin 31 000 Unterschriften zum Erhalt von radio-multikulti übergeben. Die Freunde des Senders wollen es einfach nichthinnehmen, dass zum Jahresende Schluss sein soll.
Am 6. 11. 2008 wurden der RBB-Intendantin Dagmar Reim vor der Rundfunkratssitzung in Berlin 31 000 Unterschriften zum Erhalt von radio-multikulti übergeben. Die Freunde des Senders wollen es einfach nichthinnehmen, dass zum Jahresende Schluss sein soll.

Vor gut 14 Jahren, am 18. September 1994, startete in Berlin ein neues Radioprogramm: »SFB4 Multikulti«. Jutta Limbach, Berliner Justizsenatorin, hatte in diesem Jahr den Wechsel zum Bundesverfassungsgericht vollzogen. Jetzt wird sie, bald 75 Jahre alt, wieder in Berlin aktiv. Der Vorsitz des Medienrates der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) wird vakant, und wenn sie auch im Abgeordnetenhaus von Berlin mit Zweidrittelmehrheit gewählt wird (wie es der Brandenburger Landtag am 18. Dezember – im zweiten Wahlgang – vollzogen hat), dann könnte sie Nachfolgerin von Ernst Benda werden (ja, dem damaligen BRD-Innenminister der Notstandgesetze von 1968).

Ohne eine – zweckgebundene – Frequenzzuweisung durch die MABB im Jahre 1994 und auch ohne finanzielle Mittel, die dem SFB vom Bundesarbeitsministerium und von der MABB damals zur Verfügung gestellt wurden, hätte es dieses bis dato beispiellose Radioprogramm in Deutschland vielleicht nie gegeben. Radiomultikulti feierte mit Berlin den grandiosen Karneval der Kulturen. Auch wenn radiomultikulti bei den Reichweitenanalysen zum Schluss nur von 37 000 Hörern pro Tag eingeschaltet worden sein soll, muss man wissen, dass bislang nur deutsche Staatsbürger befragt wurden.

Diese Welle wurde sehr schnell zu einem Symbol des gesellschaftspolitischen Integrationsauftrags und verstand sich weniger als ein Marktfaktor denn als ein Programm von Nischen in einer Stadt, in der sich die Einwohnerschaft zu gut einem Viertel aus Migrantinnen und Migranten zusammensetzt, die ihre Kulturen und Lebensstile mitbringen. Zuletzt war diese Kulturenvielfalt in 21 Sprachen zu erleben. Sogar auf Vietnamesisch.

Doch nun wird sie abgeschaltet. Nicht ersatzlos. Denn als im Mai 2008 die RBB-Intendantin Dagmar Reim erst den Mitarbeitern, dann dem Rundfunkrat ihre Entscheidung mitteilte, diesen Sender ab dem Jahre 2009 nicht weiterführen zu können (wegen einer Finanzlücke von 54 Millionen Euro im Gebührenzeitraum), hatte sie schon mit ihrer Intendantenkollegin Monika Piehl vom WDR klargemacht, dass die Kölner Welle »Funkhaus Europa«, einst nach dem Vorbild des multikulturellen Hauptstadtsenders gegründet, die selbst gerissene Lücke füllen soll. Die Mitarbeiter nahmen es hin. Ihnen wurde weitgehende Weiterbeschäftigung garantiert, bei anderen Wellen des Hauses oder als Zuarbeiter für das neue Programm aus Köln, mit dem es bislang schon enge Kooperationen gab, etwa bei den Nachtprogrammen.

Die Intendantin verkündete die Entscheidung, radiomultikulti einzusparen, als alternativlos. Somit machte sie dem Rundfunkrat eine Diskussion darüber unmöglich. Es sei denn, die Intendantin selbst würde infrage gestellt. Aber so weit haben nicht mal die Mitglieder des überfahrenen Gremiums gedacht, die »mit großen Bauchschmerzen« den radikalen Sparkurs mittrugen. Denn an die Wurzeln geht es schon, sich von einem Programm zu verabschieden.

Es war vorauszusehen, dass es Proteste geben würde. Die MABB, einst Taufpate, erklärte ihr »Bedauern«. Das Abgeordnetenhaus in Berlin verfasste Resolutionen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit mochte die Abschaltung auch nicht, wollte sich aber »nicht in einzelne Programm-entscheidungen einmischen«. Für die Akademie der Künste nannte deren Präsident Klaus Staeck die Entscheidung schlicht »unverantwortlich«.

Sehr bald gründete sich ein Freundeskreis. Sammelte Unterschriften. Am Ende waren es 31 000, die am 6. November 2008 der Intendantin übergeben wurden. Aber sie blieb bei der Entscheidung. Die Sympathisantinnen und Sympathisanten der bedrohten Welle erschienen bei jeder Rundfunkratssitzung in ihren orangenfarbigen T-Shirts. Ein Rederecht bekamen sie nicht. Und auch der Vorschlag eines Moratoriums fand kein Gehör. Rücktrittsforderungen an die Intendantin kamen nur aus dem Freundeskreis, nie aus dem Rundfunkrat.

Jetzt schauen alle nach vorn, wie das so ist bei scheinbar alternativlosen Entscheidungen. Im Programm von radiomultikulti verabschieden sich die Hörerinnen und Hörer, die Auslandskorrespondenten der ARD, die so gerne für diese Welle gearbeitet haben. Auf der Startseite der Homepage von radiomultikulti ist allerdings kein Wort zu lesen zur geplanten Aufschaltung von »Funkhaus Europa«. Das wiederum freut sich schon auf Berlin und Brandenburg. Vom 1. Januar an wird es in der Hauptstadt am Morgen eine Stunde lang »Köln Radyosu« heißen, auf Türkisch. In 14 weiteren Sprachen wird es dann weitergehen. Auch die Kultsendung »Süpermercado« kann man weiterhin hören. Allerdings wird es kein »regionales Fenster« aus Berlin geben, wie es auch im Rundfunkrat mehrmals gefordert wurde. Ist somit radiomultikulti ab morgen ein Kapitel der Radiogeschichte, ein zugeschlagenes, abgewickeltes?

»Zu Silvester gibt's was Neues auf die Ohren«, so kündigte der Freundeskreis selbstbewusst seinen Start in die Post-radiomultikulti-Ära an. Im Internet soll Multikultiradio weiterleben. Ab heute um 22.05 Uhr, also exakt im Anschluss an die Abschaltung von radiomultikulti, soll weitergesendet werden. Das »Musikschiff Heiterkeit«, ein Studio-Boot im Treptower Hafen, ist künftig die Sendestation für den Internetstream, an dem sich auch 20 Ex-Mitarbeiter von radiomultikulti beteiligen wollen. Dabei sein soll auch Brigitta Gabrin, die elf Jahre lang das Mittagsmagazin »Metro« von radiomultikulti moderierte. Vorerst ehrenamtlich wird das neue Internetangebot betrieben werden. Auch fehlt es noch an Technik und an Geld. Überdies ist das Internet kein richtiger Ersatz für ein Angebot, welches aus dem Auto- oder Küchenradio kommt. Doch vielleicht ist ja noch nicht das letzte Wort gesprochen, zum Beispiel über ein »Berliner Fenster« im »Funkhaus Europa«. Und was wird nach dem vereinbarten Jahr? Was plant Jutta Limbach, sollte sie an der Spitze der MABB stehen? Mehr Fragen als Antworten.

Immerhin hat es Dagmar Reim in die Top Ten der »peinlichsten Berliner« des Stadtmagazins »Tip« geschafft. Im Begründungstext lesen wir: »Vielen Dank, Frau Reim. Wir wissen, wer für die Schließung des Radiosenders Multikulti verantwortlich ist, nicht Sie und Ihr Apparat, nein, es sind die Berliner. Vor allem die bösen GEZ-Preller, Schwarzhörer und die von Rundfunkgebühren befreiten Hartz-IV-Empfänger ... Dass viele Berliner den Sender gerne behalten hätten, haben Sie vermutlich nicht gemerkt. Stattdessen sprechen Sie von ›Heuchelei‹ gegen Ihre Person. Das muss man auch erst einmal hinkriegen. Sie sind schon ein ausgebuffter Medienprofi.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal