Wenn die Kunst plötzlich im Bunker verschwindet ...

Merkwürdige Sammlernaturen sorgen für die »Bewirtschaftung« historischer Orte. Zwei Berliner Beispiele

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 5 Min.

Nachdem der Besucher sich durch zwei Stahltüren gestemmt hat, steht er vor einer überdimensionierten und patinierten Kirchenglocke ohne Klöppel. Diese schwingt nun über seinem Haupt, verbreitet aber keinerlei Klang. Allenfalls einen Lufthauch, gespenstisch. An den zerschrammten und von Einschusslöchern geschundenen Wänden entdecken wir mannigfach Schriftzüge wie »Notausgang«, »Rauchen verboten« oder heftige Graffiti.

In diese gruftartige Atmosphäre ist Gegenwartskunst eingezogen. Der 44-jährige Christian Boros, Inhaber einer florierenden Werbeagentur in Wuppertal und Berlin, hat sich umgehend »in das Objekt« verliebt. Dieses ist ein imposanter Hochbunker in Berlin-Mitte, unweit des Deutschen Theaters. Für seine Großformate – ob auf der Leinwand oder als Installation – suchte Boros ein adäquates Gebäude. Und fand es vor fünf Jahren in der Reinhardtstraße. Der Bunker gehörte zum »Führer-Sofortprogramm« Albert Speers und wurde im Jahre 1942 unter der Bezeichnung »Reichsbahnbunker Friedrichstraße« erbaut. Er sollte Reisenden des nahe gelegenen Bahnhof Friedrichstraße Schutz vor alliierten Luftangriffen bieten wie auch der Zivilbevölkerung und den Theaterbesuchern. In den Schutzraum quetschten sich bei Bombenalarm bis zu 3000 Personen. Dass die Trutzburg standhielt, war von vornherein von den Erbauern anvisiert, war sie doch von den Nazis als »Kriegsehrenmal« für die Ewigkeit ersonnen. Daher soll das auskragende Dachgesims und die blinden Fenster an einen florentinischen Renaissance-Palazzo erinnern.

Wenig feudal hört sich die Nutzung seit 1945 an: Gefängnis der Roten Armee, Obstlager in der DDR, Partylocation der Techno- und Fetischszene. Schweißtriefend verliefen die Tanzvergnügungen dank der meterdicken Wände. Die letzte Fete stieg dort 1996. Seither steht der Bunker unter Denkmalschutz, kein Investor wagte sich heran. Doch Boros, der für seine Kunden von der Kölner Messe über Thyssen bis zu Coca Cola wirbt, fühlte sich magisch angezogen von so viel Reibungswiderstand. Etwa 500 Werke zählt derzeit seine Kunstsammlung.

Boros legte Wert darauf, dass nicht ein Kurator die Fläche bespielt, sondern jeder Künstler sich selbst inszeniert. Hat soviel Raumvorgabe und die klaustrophobische Bunkersituation nicht die Künstler verschreckt? Kein Einziger habe die Gevierte abgelehnt, vielmehr das Hermetische als Herausforderung begriffen.

Die erste Ausstellung zeigt solche Werke, die ausdrücklich auf den Raum Bezug nehmen. Skulpturen und Installationen also. Manche richten sich darin buchstäblich ein wie der dänische Lichtmagier Olafur Eliasson, der eine prismatische Kugel an die Decke hängt, welche die Ödnis nun mit kaleidoskopartigem Funkeln überstrahlt.

Von rohen Mauerwänden hebt sich Anselm Reyhles giftgrün fluoreszierender Leiterwagen ab und verweist diffus auf stadtferne Milieus. Das Gleißnerische und Effektvolle liegt ja in der Natur des Werbers aus Wuppertal. Die Kunst zehrt von dem Thrill des Ortes, ästhetisiert das Grauen. Nur solche Werke können bestehen, »die sich wehren«, glaubt der Sammler und unterstreicht: »Mich haben immer Tätertypen interessiert.« Wie zur Illustration dieses brachialen Standpunkts, lässt Santiago Serra acht Meter lange und mit Teer bestrichene Stelen durch die Bunkerwände brechen. Ein solches Kunstansinnen speist sich aus der Identifizierung des Unternehmers mit seinen Schützlingen: »Die Letzten, die in dieser Gesellschaft den Mut haben, sich selbst zu bekennen, sind die Künstler und die Unternehmer. Ich bin Unternehmer.«

Eine solche Identifizierung verblüfft nur auf den ersten Blick, scheint sie doch unvereinbar mit dem altruistischen Mäzenatentum des letzten Jahrhunderts. Nun spielen in Zeiten klammer öffentlicher Kassen private Sammler eine zunehmend bedeutendere Rolle – und leiten zugleich einen Paradigmenwechsel für die öffentlichen Museen ein. Vielfach gerieren sich die Sammler wie Diven, lassen sich umgarnen und umschwärmen von Museumsdirektoren, deren Ankaufsetats gegen Null tendieren. »Das Private ist das Politische« erfährt hier eine neue Bedeutung.

Besonders in Berlin schießen Privatsammlungen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Kunst schmückt die Flicks, Marx’, Hoffmanns oder Bastians ungemein. Am unverfänglichsten ist es noch, wenn diese Kollektionen dann tatsächlich in Privathäusern präsentiert werden.

Problematisch werden derlei Sammlernaturen dann, wenn sie ein öffentliches Museum zu diktierten Konditionen bespielen, ihre Werke dort kunsthistorisch betreuen und präsentieren lassen, womit deren Kapitalwert steigt. Damit finanziert die öffentliche Hand eine Art Schattenwirtschaft. Ziehen solche Sammler dann blitzartig ihre nobilitierten Stücke wieder ab, um sie auf dem Kunstmarkt anzubieten, so wird im schlimmsten Fall ein Museum löchriger als ein Schweizer Käse.

Doch nicht alle Sammler-Unternehmer treten so kraftstrotzend auf. Nur wenige Kilometer vom »Täter«-Ort Boros entfernt öffnet seit nunmehr elf Jahren immer samstags die Sammlung Hoffmann ihre Pforten. Die Hemdenhersteller aus Mönchengladbach zeigen in der ehemaligen Nähmaschinenfabrik in den Berliner Sophie-Gips-Höfen in den eigenen Wohnräumen ihre Kollektion, die keinem festgezurrten Profil folgt. »Wir haben seit den 60er Jahren gesammelt, was uns gefiel«, resümiert Erika Hoffmann, die nach dem Tode ihres Mannes im Jahre 2001 die Sammlung kontinuierlich erweitert. Jedes Jahr im Juli tauscht die Sammlerin ihr Ensemble komplett aus – bis auf eine raumgreifende Arbeit von Frank Stella.

Dominiert in der Reinhardtstraße die narzisstische Selbstinszenierung, das Blow up als Programm, so bezeugen viele Werke der Sammlung Hoffmann eine Auseinandersetzung mit dem Menschen, stellen Fragen nach dem Sinn und dem Dasein. Ablesen lässt sich eine unterschiedliche Auffassung von Öffentlichkeit nicht zuletzt im Umgang mit dem privaten Wohnbereich.

Jeden Samstag und Sonntag Führungen in der Sammlung Boros – aber nur nach Voranmeldung. www.sammlung-boros.de

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