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Die Krise als willkommener Vorwand

In Frankreich werden immer mehr Werke geschlossen und Mitarbeiter entlassen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Mitteilung, dass das Continental-Reifenwerk im nordfranzösischen Clairoix geschlossen und alle 1120 Mitarbeiter entlassen werden sollen, hat vor Ort wie eine Bombe eingeschlagen. Noch 2007 hatten sich die Beschäftigten überzeugen lassen, bei gleichem Lohn die wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden heraufzusetzen, um ihre Arbeitsplätze zu sichern.

Von »Verrat« sprechen nicht nur die betroffenen Arbeiter, sondern auch der zur rechten Regierungspartei gehörende Bürgermeister von Clairoix, Laurent Portebois, und selbst Industriestaatssekretär Luc Chatel. Angesichts eines krisenbedingten Rückgangs der Nachfrage um 20 Prozent im vierten Quartal 2008 und um 30 Prozent in den ersten zwei Monaten des laufenden Jahres will Continental die Überkapazitäten abbauen und dafür zunächst die ältesten und unproduktivsten Werke opfern, zu denen der Betrieb in Clairoix gehört. Er wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet und produziert jährlich acht Millionen Reifen.

»Dabei war und ist der Standort für Continental hochprofitabel, mit einem Gewinn von 28 Millionen Euro 2008, 47 Millionen Euro 2007 und 56 Millionen Euro 2006«, gibt der Betriebsrat der christlichen Gewerkschaft CFTC, Antonio Da Costa, zu bedenken. »Wir vermuten, dass das Aus für Clairoix von langer Hand vorbereitet war und das Werk und die Beschäftigten nur bis zum Letzten ausgequetscht werden sollten, denn investiert wurde hier schon seit Jahren nicht mehr, dagegen massiv im neuen Continental-Werk im rumänischen Timisoara.«

Dass durchaus gewinnbringende Betriebe in Frankreich Personal abbauen oder ganz schließen und dies mit der Krise begründen, nimmt sprunghaft zu. Gleichzeitig werden verstärkt Produktionskapazitäten in Billiglohnländer verlagert oder dort geschaffen. Jeder Tag bringt neue Beispiele: So bauen die in Nordfrankreich angesiedelten Versandhäuser La Redoute und 3 Suisses jeweils 400 Arbeitsplätze ab. Die Gruppe FM Logistic schließt den Standort Metz-Woippy und entlässt die 500 Mitarbeiter, weil der einzige Kunde, der amerikanische Computerhersteller Hewlett Packard, seinen Vertrieb für Europa künftig von Malaysia aus betreibt. Der Autokonzern Renault baut 4000 Arbeitsplätze in Frankreich ab und erneuert für 1000 Zeitarbeitskräfte die Verträge nicht. Beim Konzern PSA mit den Marken Peugeot und Citroën werden fürs erste 3550 Arbeitsplätze gestrichen – weitere sollen folgen. Der Stahlkonzern ArcelorMittal, der viel Blech für die Autoindustrie liefert, hat mehrere Hochöfen für Monate stillgelegt, beschäftigt bis auf Weiteres keine Zeitarbeitskräfte mehr und schließt trotzdem nicht aus, dass Entlassungen vorgenommen werden müssen. »Wir müssen die Kosten drastisch reduzieren und die verfügbaren Mittel zusammenhalten, um nach der Krise sofort wieder die Produktion steigern zu können«, erklärt man unumwunden in der Konzernleitung.

»Die Finanzkrise und der Rückgang beim Absatz von Autos sind für viele Unternehmen nur ein bequemer Vorwand, um mehr als nötig ›abzuspecken‹ und so die Profite hochzuhalten«, erklärt der Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes CGT, Bernard Thibault. Die Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Martine Aubry, fordert, Entlassungen administrativ zu erschweren oder zumindest durch gesetzlich vorgeschriebene Sozialpläne für die Unternehmer teuer zu machen. Ihr Parteigenosse Jean-Luc Mélenchon fordert, dass es Unternehmen, die Entlassungen vornehmen, verboten werden soll, den Aktionären im selben Jahr eine Dividende auszuschütten.

Einen Aufschrei der Empörung löste kürzlich die Ankündigung des Mineralölkonzerns Total aus, im Zuge von »Umstrukturierungen der Produktionskapazitäten und ihrer Anpassung an die Nachfrage«, eine Raffinerie mit 555 Beschäftigten zu schließen. Nur wenige Tage zuvor hatte der Konzern für 2008 einen Gewinn von 14 Milliarden Euro vermeldet. »Es ist empörend, dass eine Gruppe, die so viel Gewinn verzeichnet, in Sachen Beschäftigung so wenig Vorbild ist«, erklärte der Staatssekretär für Arbeit, Laurent Wauquiez. »Total sollte seine Entscheidung schleunigst korrigieren.«

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