Renegat auf der Anklagebank

Hessen-SPD: Jürgen Walter muss sich vor der Schiedskommission verantworten

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Knapp ein halbes Jahr nach dem gescheiterten Regierungswechsel ist die hessische SPD von einer Aufarbeitung und einem Schlussstrich unter die Krise des Jahres 2008 weit entfernt.

Dies wurde am Wochenende bei der Sitzung einer Schiedskommission des SPD-Unterbezirks im nördlich von Frankfurt gelegenen Wetteraukreis deutlich, die über eine Reihe von Anträgen hessischer SPD-Ortsvereine auf Parteiausschluss des im Kreis ansässigen Ex-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Walter zu befinden hatte. Da die Fronten bei dieser Sitzung dem Vernehmen nach unüberbrückbar waren, dürfte der Konflikt die Sozialdemokratie im Superwahljahr 2009 weiter überschatten.

Walter, der sich nur einen Tag vor der geplanten Wahl der damaligen SPD-Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti zur hessischen Ministerpräsidentin als Kopf einer Gruppe von vier Abweichlern in der SPD-Fraktion öffentlich zu erkennen gab, nimmt für sich »Gewissensgründe« bei der Mandatsausübung in Anspruch und betrachtet daher das Ausschlussverfahren als »Verstoß gegen die Verfassung«. Seine innerparteilichen Kontrahenten kreiden ihm hingegen an, dass er grob gegen die Gebote der innerparteilichen Solidarität verstoßen habe und entgegen früherer Zusagen mit zu verantworten habe, dass die Hessen-SPD im vergangenen Jahr nicht die Regierungsmacht erlangt habe.

Anders als die Darmstädter Abgeordnete Dagmar Metzger, die bereits wenige Wochen nach der Landtagswahl vom Januar 2008 ihr Veto gegen eine Regierungsübernahme durch SPD und Grüne mit den Stimmen der sechsköpfigen Linksfraktion kundgetan hatte, waren Walter und seiner damaligen Fraktionskolleginnen Carmen Everts und Silke Tesch erst unmittelbar vor dem angedachten Regierungswechsel öffentlich als »Dissidenten« in Erscheinung getreten und hatten damit die Landespartei in eine tiefe Krise gestoßen. Kritiker kreiden es Walter an, dass er im vergangenen Oktober an den wochenlangen Koalitionsverhandlungen mit den Grünen aktiv mitgewirkt hat und erst viel später seine Einwände äußerte. Ebenso wie Walter hatten auch Everts und Tesch Ende September in geheimen Probeabstimmungen der Fraktion für Ypsilanti als Ministerpräsidentin gestimmt.

Insider vermuten, dass der Rechtsanwalt Walter zusammen mit dem früheren SPD-Landesvorsitzenden Gerhard Bökel und dem früheren hessischen Wirtschaftsminister Lothar Klemm (SPD) darauf hinarbeitete, Ypsilanti ins offene Messer laufen zu lassen. Klemm sitzt im Aufsichtsrat des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport, der am 1. November in einer Resolution eindringlich vor einer Regierungsübernahme durch Ypsilanti gewarnt hatte. Walter galt als Befürworter einer Großen Koalition mit der Hessen-CDU. Sein Rechtsbeistand vor der Schiedskommission war Mathias Metzger, der Ehemann von Dagmar Metzger und Sohn des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten und Gründers des rechtssozialdemokratischen Seeheimer Kreises, Günther Metzger.

Die Schiedskommission der Wetterau-SPD muss laut Satzung eine Entscheidung zum beantragten Parteiausschluss Walters schriftlich der gegnerischen Partei in den kommenden Tagen zukommen lassen. Da Walter am Wochenende auch einen Kompromissvorschlag – etwa in Form eines mehrjährigen Funktionsverbots – ablehnte, weil dies ein »manifestiertes Schuldeingeständnis« sei, dürfte der Konflikt weiter schwelen. Er wolle »Sozialdemokrat bleiben« und notfalls bis vor das Verfassungsgericht ziehen, hatte er immer wieder erklärt. Da auch gegen die früheren Abgeordneten Carmen Everts und Silke Tesch Parteiordnungsverfahren beantragt wurden, dürfte die Hessen-SPD in den Monaten vor der Europa- und Bundestagswahl weiterhin für Schlagzeilen sorgen.

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