»Seele seltsames Gewächs«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Nixe, Meerjungfrau? Oder ist der kräftig grüne Hintergrund auf diesem Bild doch nicht der Ozean, sondern eine Wiese? In leuchtendem Rot und Orange hat Linde Kauert ein Wesen gemalt, das nicht ganz von dieser Welt, aber unverkennbar weiblich ist. Der Kopfputz sagt: Hier bin ich, seht mich an! Ich kann aus mir die Sonne auf euch scheinen lassen.

So hat jedes der sieben farbigen Bilder in diesem Buch etwas in sich – eine Geschichte oder mehrere –, über die wir nur mutmaßen können. Die Malerin bewegt sich in einer Hülle aus Farben, so wie sich die Dichterin in eine Hülle aus Worten begibt. Anders, als in Herstellung solcher Einsamkeit, könne sie nicht schreiben, bekennt Eva Strittmatter.

Der Band »Seele seltsames Gewächs« ist in einem kleinen, künstlerisch hoch ambitionierten Verlag erschienen. Selbst wenn er keine bisher unveröffentlichten Gedichte enthielte, würde er etwas Besonderes sein. Durch besagte Bilder von Linde Kauert, aber besonders auch durch die Buchgestaltung von Heinz Hellmis, der auch die Auswahl besorgte. Bekannte und unbekannte Texte Eva Strittmatters – einige werden auch handschriftlich wiedergegeben – sind mit Zitaten aus »Poesie und andre Nebendinge« zu einem neuen Ganzen gefügt: einem Bild von der Dichterin, das voller Verständnis, ja Liebe ist. »Seele seltsames Gewächs /Gegenblüte zum welkenden Leib« – so beginnt eines der schönsten Gedichte Eva Strittmatters, das dem Buch den Titel gab. Doch bei »eines der schönsten« stocke ich schon: Bin ich überhaupt zu solcher Hervorhebung imstande? »Dunkler Grund« oder »Sprachlos« treffen mich, das großartige »Anbeginn«, »Strahlung« ... Schon blättere ich wieder im Band »Sämtliche Gedichte« aus dem Aufbau-Verlag, der sehr viel, aber wie man sieht, doch nicht Sämtliches enthält. Es ist noch einiges da für die Bewunderer von Eva Strittmatter in Schulzenhof.

Auch beim Lesen dieses Buches die momentane Irritation, dass die Texte nicht datiert sind – dabei könnte die Dichterin wahrscheinlich sogar sagen, an welchem Ort und aus welchem Anlass sie entstanden. Aber ich verstehe, dass die Entscheidung gegen die Zeitlichkeit auch von Belang ist, zielt ihr Bemühen doch darauf ab, Zeit anzuhalten, sich der Vergängnis entgegenzustellen. Dabei spürt man: Eva Strittmatter ist sich stets der Dialektik bewusst, dass dem Gewinn auch Verlust innewohnt, denn auch das Unreflektierte, dieses »Einfach leben« hat seinen Wert. In ihrem Gedicht »Vom Schreiben« bekundet sie Nähe zum alltäglichen Wort: »Ich will so deutlich schreiben,/ Daß die Leute an meinem Ort/ Meine Gedichte lesen/ Und meine Gedanken verstehn ...«

Immer wieder Schmerz, Unmut, Unsicherheit, scheinbar »gerade heraus« bekannt, doch hinter dem Wort, das ganz genau gewählt ist, lebt noch etwas in Sprache Unauflösliches, das sich dann im Leser entfaltet, oft sogar unbewusst. Und dieses Geheimnis, das der Dichterin selbst immer wieder zum Erlebnis wird, hat tatsächlich nur wenig mit Jahreszahlen und Alter zu tun. Eine Frau, die lebenslang Harmonie ersehnte, übt sich im Widerstehen: gegen die Tristesse der Tage und gegen die eigene Anwandlung, dieses Alltägliche gering zu schätzen. – »Das nackte Leben und die Pflicht/ Sind das Beste, was wir haben«, schreibt sie in einem der bisher unveröffentlichten Gedichte – und doch zieht es sie ... Wohin? »Das Meer ist ein Tier./ Es brüllt in den Nächten...«

Eva Strittmatter: Seele seltsames Gewächs. Mit bekannten und unbekannten Gedichten. Mit sieben farbigen Bildern von Linde Kauert.

Edition Zwiefach. 40 S., brosch., 18 EUR. Das Strittmatter-Foto von Paulus Ponizak stammt aus dem Buch.

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