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Krankheit ist das bessere Geschäft

Gesundheitsexperte Karl Lauterbach über Prävention und Lobbyismus in der Politik

  • Lesedauer: 4 Min.
Seit 2005 ist der 46-jährige Universitätsprofessor Karl Lauterbach Mitglied des Bundestages. Er studierte in Aachen und Texas (USA), promovierte in Düsseldorf und Havard (USA) und doziert an der Harvard School of Public Health in Boston. Der streitbare Sozialdemokrat saß in Sachverständigenräten und Programmkommissionen und ist bekannt für provokante Äußerungen. Jakob Buhre und Tobias Goltz sprachen mit ihm über aktuelle Probleme in der Gesundheitspolitik.

ND: Sie schreiben in Ihrem Buch »Gesund im kranken System«, Gesundheitspolitik sei der Bereich, in dem es am schwersten ist, die richtige Politik zu machen. Woran liegt das?
Lauterbach: Das Besondere am Gesundheitssystem ist, dass es ein sehr großer Markt ist. Wir haben 160 Milliarden Euro allein im System der gesetzlichen Krankenkassen und noch einmal die gleiche Größenordnung, wenn man das gesamte System betrachtet. Wir haben hier also einen Markt von 320 Milliarden Euro vor Augen. Von daher ist klar, dass dort sehr viel lobbyiert wird. Aber die Parteien müssen sich ein Stück weit vom Einfluss der Lobbygruppen unabhängig machen. Vor allem die Union ist hier der Nachhilfeschüler, dort finden die Widersacher einer vernünftigen Politik noch zu viel Gehör.

Und vernünftig heißt?
Eine Politik, die stärker auf Vorbeugung und Verbraucherinteressen ausgerichtet ist.

Gibt es Interessengruppen, welche die Verbreitung der Vorbeugemedizin behindern?
Niemand sagt natürlich, dass er gegen Vorbeugung sei. Der größte Gegner ist wahrscheinlich die Nahrungsmittel- und Gaststättenindustrie. Ein ganz wichtiger Schritt zum Beispiel wäre, dass wir über die drei wichtigsten Gefahrenstoffe in der Nahrung – zu viel Salz, zu viel Fett und zu viel Zucker – in Form einer Ampelkennzeichnung auf Lebensmitteln aufgeklärt würden. Genau das verhindert die Industrie.

Doch die Ampelkennzeichnung konnte politisch nicht durchgesetzt werden.
Weil die Nahrungsmittelindustrie Druck gemacht hat. Das ist sehr übel, weil sich allein durch eine einfache, nachvollziehbare Kennzeichnung der Lebensmittel Schlaganfälle oder Infarkte vermeiden ließen.

Haben Sie für die Nahrungsmittelindustrie Verständnis?
Ja, den Innungen und auch den Verbänden geht es um den Erhalt des Umsatzes und des Gewinns. Das ist in der Marktwirtschaft legitim und wenn sich eine bestimmte Lebensmittelindustrie gegen die Gesundheitsinteressen der Bevölkerung einsetzt, um den Umsatz zu erhöhen, kann ich das ohne Weiteres nachvollziehen. Aber ich kann es nicht nachvollziehen, wenn sogar Gesundheitspolitiker diesem Druck nachgeben.

Genau das ist doch passiert.
Das ist das Problem. Die arbeitgebernahen Verbände lobbyieren in der Regel über die FDP und die Union. Die Ampelkennzeichnung wäre nie an den Grünen oder der SPD gescheitert.

Ist der Einfluss der Wähler oder der Lobbygruppen größer?
Bei der Ampel war es ganz klar die Lobbygruppe. 80 Prozent der Wähler waren ja für die Ampel. Auf der anderen Seite glaubt der Wähler trotzdem, die Union in weiten Teilen wählen zu können. Es wird ja oft gegen das eigene Interesse gewählt. So wählen sehr viele Arbeiter die Union, die aber zugleich die Mindestlöhne blockiert. Das politische Geschäft besteht eben darin, dass man versucht, auch Wähler zu gewinnen, denen man wenig bieten kann. Und wenn die Bevölkerung etwas will, was der Politiker nicht will, versucht er, es zu verhindern, ohne es an die große Glocke zu hängen – das ist der Union bei der Ampelkennzeichnung leider sehr gut gelungen.

Im derzeitigen Gesundheitssystem profitieren die meisten Beteiligten nicht von einem gesunden, sondern vom kranken Patienten. Wie lässt sich das ändern?
Es gilt für jedes Gesundheitssystem, dass die Krankenhäuser, die Ärzte und die Pharmaunternehmen ihr Geschäft nicht mit den Gesunden machen. Besonders bedenklich ist, dass sich die meisten Ärzte – aber auch die meisten Journalisten und die Patienten – zu wenig mit den gesicherten Erkenntnissen der Vorbeugemedizin auskennen. Die Blutdruckwerte sind hierzulande sehr hoch, weil die Menschen zu wenig darüber informiert sind, wie man dem vorbeugen kann. Viele wissen auch nicht, dass ein hoher Blutdruck ein hoher Risikofaktor nicht nur für Schlaganfälle, sondern auch für Demenz und diverse andere Erkrankungen ist. Die Vorbeugemedizin ist in Deutschland noch unterentwickelt.

Auch weil vorbeugende Maßnahmen aus Sicht der Ärzte wenig gewinnbringend sind?
Man kann mit vorbeugenden Maßnahmen Geld verdienen, allerdings nicht so gut wie an der Krankheit. Große Probleme bestehen schon darin, dass sich viele Ärzte mit den Details der Vorbeugemedizin nicht so gut auskennen. Und es gibt keine Pharmaindustrie, die dieses Wissen an den Mann bringt. Somit müssten wir das Honorarsystem der Ärzte so ändern, dass jene, die das Wissen haben und viel Vorbeugemedizin praktizieren, besser bezahlt werden. In den skandinavischen Ländern sind die Honorare sehr viel stärker darauf ausgerichtet. Dort können die Ärzte allerdings auch sehr viel besser Englisch sprechen und lesen als in Deutschland, sie kennen sich besser aus mit der Fachliteratur in diesem Bereich, die fast ausschließlich in englischer Sprache veröffentlicht wird.

Wie oft gehen Sie eigentlich zu Vorbeugeuntersuchungen?
Ich bin ja selbst Mediziner und kenne mich daher gut aus. Ich setze viele von den Ratschlägen, die ich gebe und die wissenschaftlich gesichert sind, auch um.

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