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Römische Altersversorgung
Das Festmahl im August von Gianni Di Gregorio
Denkmalhungrige Touristen ausgenommen, sind Italiens Innenstädte Mitte August so gut wie menschenleer. Um Mariä Himmelfahrt herum liegt die Kernzeit aller Sommerurlaube, die großen Fabriken schließen, die Politik hat Pause, der Papst zieht sich in die Sommerfrische zurück, und der Rest des Landes flieht die Stadt in Richtung Küste oder Berge. Zu Ferragosto entdeckt der urbane Italiener seine ländlichen Wurzeln, und nur wer arbeiten muss, kein Geld für eine noch so bescheidene Pension hat und keine familiäre Anbindung an Haus oder Hof auf dem Land, beißt die Zähne zusammen, schwitzt – und hofft aufs nächste Jahr. Um den 15. August haben Bars und Bäckereien geschlossen, für den morgendlichen Cappuccino muss man plötzlich meilenweit laufen und bis zum nächsten Zeitungskiosk ebenso, nur meist in die andere Richtung.
Gianni Di Gregorio, römischer Drehbuchautor, ausgebildeter Schauspieler, langjähriger Regieassistent (und beim hoch gelobten »Gomorrha« zuletzt auch Koautor) von Matteo Garrone, hat die allerbesten Jahre überschritten. Dass er einmal beträchtlichen Charme gehabt haben muss und recht gut ausgesehen, sieht man ihm noch an, aber auch, dass er einem guten Tropfen nicht abgeneigt ist und die Lebensjahre eine gewisse Fülle brachten. »Das Festmahl im August« ist sein Debütfilm, der Festtag, um den es geht, natürlich Ferragosto. Di Gregorio spielt Gianni, der selbst bald sechzig wird, aber immer noch Abend für Abend seiner verwitweten Mutter Gutenacht-Geschichten vorliest. Nicht nur das: Gianni ist ein guter Koch ohne rechte Aufgabe im Leben, also führt er der Mutter den Haushalt. Und weil er mit Betriebskostenzahlungen für die gemeinsame Wohnung im Rückstand ist, kann er schlecht ablehnen, als sein Verwalter ihm Stundung anbietet, wenn Gianni über den Feiertag seine betagte Mutter versorgt und beherbergt, damit er selbst verreisen kann. Und dann auch noch die Tante. Und weil der eher zufällig von dem bequemen Arrangement erfährt, auch noch die Mutter von Giannis Hausarzt.
In der flimmernden Sommerhitze hatte der heimliche Alkoholiker Gianni es sich eigentlich mit ein paar Weinflaschen gemütlich machen wollen. Daraus wird nun nichts. Jetzt heißt es Betten bauen, Festessen kochen und Streitigkeiten schlichten. Die eine der alten Damen mag nicht auf das gute Essen verzichten, das ihr Sohn und Arzt ihr aus Gesundheitsgründen verbot, und plündert nachts heimlich die Speisekammer. Eine andere büchst des Abends aus und hofft, im Café auf der Flaniermeile doch noch auf ein spätes Abenteuer zu stoßen. Und die Mutter des Gastgebers wider Willen hätte eigentlich lieber Ruhe allein mit ihrem braven Sohn, möchte um nichts in der Welt bei Tisch Konversation machen oder gar ihren Fernsehabend mit den fremden Gästen teilen müssen.
Der Regisseur kennt sein Sujet: Die Wohnung im Viertel Trastevere, in der er filmte, teilte er einst mit der eigenen, wohl nicht weniger tyrannischen Mutter, was nicht zuletzt auf Kosten seiner Ehe ging. Und auch die Idee der Zumutung, die Angehörigen Dritter über das Feiertagswochenende beherbergen zu sollen, beruht auf einem realen Vorschlag seines Hausverwalters. Im wirklichen Leben lehnte Gianni Di Gregorio ab – und fragte sich dann doch immer, wie so ein Wochenende wohl abgelaufen wäre. Für seine filmische Versuchsanordnung besetzte er Laiendarsteller (die Damen), einen bekannten Theaterveteranen (der Verwalter) und eigene Kindheitsfreunde (der Arzt, der befreundete Wirt). Das Ergebnis ist eine mit geringen Mitteln produzierte, digital gefilmte, fünf Viertelstunden kurze Hochsommerkomödie, bei der einem das Lachen schon mal im Hals stecken bleibt. Spätestens jedenfalls dann, wenn die Damen ihren Koch, Versorger und Beinahe-Galan am Ende mit eigenen Barmitteln bestechen, das schließlich doch recht fröhliche Wochenende noch um ein Essen, ein paar Stunden nur, auszudehnen, bevor die einsame Altersroutine zurückkehrt.
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