Hoher Besuch

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Hoher Besuch

Es war einmal ein Bundespräsident, der lebte in einem prächtigen Schloss mit einem Park und dicken, alten Eichen darin und mit seiner lieben Frau auf Kosten seiner Untertanen. Damit hätte er es zufrieden sein können. Aber etwas in ihm rumorte und kollerte und zwickte ihn. Dann trieb es ihn hinaus aus dem Schloss. Er hielt eine Berliner Rede nach der anderen, besuchte schwarzhäutige Kinder in Afrika oder verbrachte den Tag in einem Siechenheim, wo er mit den Hospitalisierten deutsches Liedgut absang.

Vanessa war vier Jahre alt und wohnte in der selben Stadt wie der Bundespräsident. Aber die beiden wussten nichts voneinander. Das wäre heute noch so, wenn der Bundespräsident nicht eines Morgens eine leere Seite in seinem Taschenkalender entdeckt hätte, mitten im Monat Mai! Augenblicklich schiss er seine Hofschranzen zusammen – das durfte er, schließlich war er Bundespräsident: »Was mit Kindern, aber bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf!«

In der Kita »Pelikan« in der berühmten Friedrichstraße wurden die pädagogischen Mitarbeiter plötzlich prinzipiell. Vanessa sollte beim gemeinsamen Male gefälligst keine größeren Stücke mehr über den Tisch spucken, namentlich keine Kartoffeln. Es wurden Tischdecken aufgelegt und die Kinder sollten Bilder malen, die samt und sonders als »lustig« bezeichnet wurden. Ein Scheuergeschwader rückte an und seltsam ernste Männer schauten hinter die Schuhregale. Sie fanden sogar noch ein vergammeltes Osternest in der Snuselecke, das dem kleinen Suleiman gehörte, der es ausgeschlagen hatte, weil er mosaischen Glaubens ist. Die Eltern der Pelikankinder wurden diskret gebeten, einige Angaben über sich in eine Liste zu schreiben und gefragt, ob sie vielleicht an einem bestimmten Tag – der im Taschenkalender des Bundespräsidenten inzwischen den Eintrag »Pelikan« und »lustige Krawatte« enthielt – ohne Stich-, Hieb und Feuerwaffen und ohne die Absicht, dissonante Bemerkungen machen zu wollen, in der Kita erscheinen würden.

Wie im Kalender des Bundespräsidenten vorgesehen, stieg derselbe eines Morgens in eine von sechs schwarzen Kaleschen, die vor seinem Schloss warteten. Dann setzte sich die Kolonne in Bewegung. Im »Pelikan« trugen die Erzieherinnen bereits errötete Gesichter und zischelten Kommandos. Junge Leute vom Lande hatten Tage zuvor im Garten ein Beet angelegt, das den Pelikankindern die Entwicklung des Apfelmuses von der Apfelblüte bis zum Apfelmus demonstrieren sollte. Und weil das eine gute Tat darstellt, würde der Bundespräsident dieses Beet heute weihen. Einige Kinder, die bereits als »sauber« galten, nutzten die allgemeine Nervosität, um auf eine niedrigere Emanzipationsstufe zurückzufallen und wurden von ihren mitgebrachten Muttis unauffällig aus dem Verkehr gezogen.

Dann stieg der Bundespräsident aus seiner prächtig glänzenden Kutsche. Er trug seine lustigste Krawatte, riss die Augen auf und grinste. Einige Kinder begannen zu weinen. Auch Vanessa gruselte sich etwas, weil der Mann so lange Zähne hatte und dachte: für den habe ich nun ein Bild gemalt! Die waffenlos erschienenen Eltern wichen verschämt zurück, aus Angst, angesprochen zu werden und dann vielleicht sagen zu müssen, dass sie die Entwicklung unserer Republik mit Freude erfülle.

Der Bundespräsident tastete in seinem Anzug nach der Kurzfassung einer Berliner Rede, besann sich jedoch, streichelte das Demonstrationsbeet und zwei ausgewählte Kindsköpfe (ein Wessi mit Migrationshindergrund und ein Ossi mit Zappelphilipsyndrom). Dann war er wieder weg. Zum Vortrag des Liedes »Alle meine Entchen«, das seit zwei Jahren das »Pelikan«-Repertoire bildet, war es nicht mehr gekommen.

Als ihre Mama Vanessa gegen sechzehn Uhr aus der Einrichtung erlöste, herrschte dort noch immer eine seltsame Heiterkeit. Zwei Erzieherinnen lagen einander in den Armen. Und Vanessa, die eine gut geölte märchenfeste Oma zu Hause hat, berichtete ihrer Mutter: »Mama, der König war da!«. Und hatte ihn also verstanden.

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