Verrückte Serben und ihre Helden
Spurensuche auf dem Balkan nach der längst vergangenen Kindheit
»Du Verrückte, was willst Du in Serbien?« Dusan zieht verwundert die Augenbrauen hoch. Ich dachte, er würde sich freuen. »Was denkst Du, ich gehe ins Kloster.« Er grinst und rauscht ab. Dabei weiß ich, was ich will. Schlicht zurück. Auf den Balkan, in meine Kindheit.
»Siehst Du, so machen die Serben, diese Verrückten«, ruft Dusan, während er bravourös 17 kleine Teller auf einem Arm balanciert, »das ist ganz normal für sie, verrückt zu sein. Bleiben ganz locker dabei.« Und wieder ist er weg. Jongliert ein Tablett im muffigen Berlin-Zehlendorf, fern der Heimat. Aber behauptet immer, er habe das so gewollt. Alles, was mit Serbien zu tun hat, ist für ihn verrückt. Im Sinne von irre, liebevoller Wahnsinn. Dusan lächelt, wenn er das sagt; Dusan darf das – er ist Serbe. Ein Verrückter.
Besuch beim Heiligen Sava
Während sich meine Augen noch an die plötzliche Dunkelheit gewöhnen müssen, hat der Novize behänd die Schranktür geöffnet, stellt etliche Flaschen Hochprozentigen auf den Tisch: Whisky, selbstgebrannten Rakija in diversen Variationen. Es ist halb elf vormittags, draußen strahlender Sonnenschein. Ob es auch Kaffee gebe? »Sicher. Aber wir sagen hier nicht türkischer, sondern einheimischer Kaffee«, meint der große und schlaksige Mann in schwarzer Kutte; die Dolmetscherin nickt ihm entschuldigend zu. Tihon ist der Abt im Kloster Studenica im gleichnamigen Ort. Hatte in Belgrad Malerei studiert; jetzt, mit 36 steht er einem der bedeutendsten Klöster Serbiens vor, das zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt.
Das mag an der äußerst reizvollen Verknüpfung westlicher, marmorveredelter Romanik mit östlich-byzantinischer Kunst liegen, deren Dekorationskanon, eine vertikale Zoneneinteilung, die Wände bespielt. Während man auf Augenhöhe allem Irdischen begegnet, folgen etwas höher Szenen und Personen göttlicher Abstammung. Im obersten, der Kuppel am nächsten Bereich, findet sich nur noch entrückt Himmlisches. Und immerhin, hier, in der Muttergotteskirche, liegen die Gebeine Stefan Nemanjas, Errichter des Serbenstaates und Vater des ersten autokephalen Patriarchen und Nationalhelden – dem Heiligen Sava. Dem werden neben der Erklärung der serbisch-orthodoxen Kirche zur Staatsreligion eine Menge Wohltaten nachgesagt. Von diplomatischer Raffinesse bis zum klugen Ausbau des Schulwesens. Savas Namenstag, der 14. Januar, dürfte bald wieder, wie vor Titos Herrschaft, zum Feiertag erklärt werden.
Auch private Namenstage zelebrieren die Serben üppig und ausdauernd; sie gelten weit mehr als der Geburtstag. Zum Namenstag des Familienschutzheiligen eingeladen zu werden, ist eine besondere Ehre. Wochen der Vorbereitung gehen dem Ereignis voraus bis dann sorgfältig gekleidete Menschen an einer berstenden Tafel sitzen, während sich dezent im Hintergrund ungeöffnete Geschenke türmen. Denn obgleich einerseits das ungeschriebene Gesetz eines kostspieligen Präsents gilt, soll andererseits niemand durch affektive Gefühlsausbrüche jedweder Art im Zuge des Auspackens beschämt werden. Eine recht feinfühlige Geste.
Ebenso fürsorglich, wie der Novize, der, gerade vom Einkauf zurück, den Schrank erneut mit Schnaps bestückt. Es läuft gut für Studenica, dem Zarenkloster, nemanjidisches Familiengrab und Höhepunkt entlang der Transromanica abseits des Autoput. Die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Dem Kulturtourismus sei Dank. Nachdem auf der Expo 1967 in Montreal Kopien der Fresken Studenicas zu sehen waren, erwachte auch das internationale Interesse. Der Staat begann mit der Renovierung der vereinnahmten Klöster, aus künstlerisch konservatorischem Blickwinkel, abseits religiöser Zugeständnisse. Und mit einer Spitze Richtung Nachbarn behauptet ein serbisches Sprichwort: »Die Kroaten waren immer katholisch. Wir waren jugoslawisch.«
Renaissance der Mönche
Seit etwa 16 Jahren erlebt die serbisch-orthodoxe Kirche enormen Zuspruch in der Bevölkerung. Nach den vielen Kriegen sei das auch kein Wunder, erklärt Abt Tihon bestimmt. »Und, da Mönche sich zwar von der Welt fernhalten, aber nichtsdestotrotz Einfluss ausüben können, herrscht derzeit im ganzen Land eine Renaissance der Mönche«, lächelt der Abt zufrieden. Wegen der Repressionen zu Zeiten des Kommunismus, die er selbst nur noch vom Hörensagen kennt, fehle allerdings die mittlere Generation; vor allem Junge stürmen in die zahlreichen Klöster. Tihon selbst scheint bestes Beispiel dafür. Ein Geistlicher, den man sich auch problemlos beim Computerspielen vorstellen kann. Wäre da nicht die theologische Arbeit, eine grausame Geliebte, die selbst für die Malerei keine Zeit duldet.
So führt eins zum anderen. Kunst zu Religion und umgekehrt. Das Interesse an Serbiens mittelalterlichen Kunstschätzen, Ikonen und Wandmalereien wächst. »malo po malo«, nach und nach, so, wie man laut Tihon zum Abt wird, läuft auch die Vermarktung des Kulturguts. Der zum Kloster gehörige Konak soll vergrößert werden. Mehr Reisende bekämen dann die Gelegenheit, als Gast mönchsgleich »den Weltstress hinter sich zu lassen«, bei ihnen zu nächtigen, gemeinsam zu essen und zu beten. Man dürfe in Ausnahmefällen auch längere Zeit bleiben, müsse aber kompatibel sein und anständig mitarbeiten. Was wiederum ausgesprochen weltlich klingt. Meine Kompatibilität wurde durch anderthalb Stunden Warten auf den Abt bereits einer harten Prüfung unterzogen. Aber ich fühle auch noch den Weltstress in mir. Besonders als ich im klostereigenen Souvenirladen die Preisschilder lese, und später an der Kasse das Doppelte zahlen muss
Vielleicht in Zukunft doch lieber auf Radio, Fernsehen, Zeitung, einfach jedwedes Medium verzichten? Wie es Schwester Theodora, eine der 13 Nonnen im Kloster Gradac praktiziert und empfiehlt. Ihre Verbindung zur Außenwelt wird durch die Serpentinen zusätzlich erschwert. Mit qualmenden Autoreifen kündigt sich der Besucher an. Aber großes kleines Kino entlang des Wegs: der hinkende Hund vor dem Friseurladen, die Heupuppen, der allzeit präsente österreichische Kaffee, die Wartburgs, schwarzer Marmor an Häusern mit Balkonen ohne Brüstung. Unterwegs gehen meine Balkanklischees ungebremst mit mir durch. Die Ankunft im Tal erdet mich nach den klerikalen Höhen; ist zugleich verheißungsvolle Einstimmung auf die Stadt.
Karte aus dem Urlaub
Dusan ist nur verrückt nach Belgrad. »Warst Du auf der Kneza Mihaila, zum Shoppen?« Den interessieren gegrillte Spanferkel neben der Dorfstraße wenig. Ja, und ich hab Jelen Pivo am Strand von Ada Ciganlija getrunken. Das am Wochenende, wenn sich ganz Belgrad mit Kind und Kegel auf der Save-Insel drängt. Zwischen Wasserrutsche, grüner Brause und Autoscouter; in der sengenden Mittagshitze. Liebevoll irre irgendwie. »Und wie gefällt dir Skadarlija, wo die Schickeria ausgeht?« Ich grinse. »Weißt du, dass man die Gegend mittlerweile Silicon Valley nennt?« Er guckt irritiert. »Wegen des Silikons in der weiblichen Schickeria«, erkläre ich. Dusan muss lachen und schlägt sich vor die Stirn. »Nicht wie im Kloster, was. Sag ich doch, alles Verrückte, die Serben!« Auf ihre Art, denke ich. »Ich schick dir eine Karte, wenn ich im Urlaub bald nach Hause fahre!« Einige Wochen später lese ich in kyrillischen Buchstaben: »Versprochen ist versprochen! Montenegro ist noch schöner als Serbien!!! Kann ich empfehlen, Gruß von Dusan.« Der Verrückte.
- Infos (auch auf Deutsch) zu Serbien: National tourism Organisation of Serbia, Omladinskih brigada 1, 11070 Belgrade, Tel.: (00381) 11 313 97 89, Fax: (00381) 11 322 10.68, E-Mail: office@serbia.travel, www.serbia.travel
- Empfehlenswerte Literatur: Brigitta Gabriela Hannover, »Serbien entdecken – Unterwegs zu verborgenen Klöstern und Kunstschätzen«, Trescher-Reihe Reisen, Berlin 2006, www.trescherverlag.de
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