Reiseziele in Thailand leiden: Strände halbvoll, Hotels halbleer

Von Phuket bis Chiang Mai sinkt der Besucherstrom. Nach Jahren des Booms wirken alte Konzepte abgenutzt, während Nachbarn Gäste anziehen

  • Robert Lenz, Chiang Mai
  • Lesedauer: 7 Min.
Mancherorts ist es ziemlich leer in Thailands Urlaubsregionen.
Mancherorts ist es ziemlich leer in Thailands Urlaubsregionen.

Khun Charlie Golf schaut ein wenig sorgenvoll in die Zukunft. Der 33-Jährige ist ein freiberuflicher Fahrer in Chiang Mai. Seine Zielgruppe sind Touristen, die Wasserfälle, Wälder, Elefantencamps, Siedlungen von Bergvölkern wie den Karen besuchen wollen. Charlie Golf ist nicht nur ortskundig, sondern bestens mit Nordthailands Geschichten und Geschichtchen vertraut. Und er spricht perfekt Englisch, was in Thailand keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Aber die Touristen werden weniger. »Für meine Dienstleistung sind Chinesen nicht so wichtig. Das sind meistens Pauschaltouristen«, erzählt Golf. »Aber auch westliche Individualtouristen sind nicht mehr so zahlreich«, klagt der junge Mann.

Touristen bleiben fern

Lange Zeit hatte sich Thailand auf die Massen aus China als seinen wichtigsten Markt verlassen. Damit ist aber seit dem letzten Jahr abrupt Schluss. Grund waren Nachrichten über Chinesen, die in Thailand von Menschenhändlern zur Zwangsarbeit in Online-Betrugszentren in Myanmar entführt wurden. Damit war das Vertrauen der Chinesen in Thailand als sicheres Reiseland dahin. Massenhaft strichen chinesische Reiseveranstalter Thailand aus ihrem Programm.

Der Autor dieser Zeilen kann zu Golfs Klagen eigene Beobachtungen beisteuern. Im Juli war Chiang Mai – etwas übertrieben ausgedrückt – leer. Obwohl die Sommermonate eher Nebensaison sind, hatte es ein Jahr zuvor noch sehr viel mehr Touristen zu den zahlreichen Tempeln der zweitgrößten Stadt Thailands und ihrem bergigen und waldigen Umland gezogen.

Thailands Tourismus steckt in einer tiefen Krise. Die Gründe dafür sind zahlreich und komplex. Ein Grund ist die Mentalität der Thais. Hat man erst einmal ein lukratives Geschäftsmodel entdeckt, bleibt man dabei. Geändert, weiterentwickelt oder gar modernisiert wird erst dann, wenn es gar nicht anders geht und dann auch nur das Nötigste. Hotels zum Beispiel klatschen sich oft gerne eine moderne Fassade ans Gemäuer, während innen alles »same, same« bleibt.

Vom Boom zu Baustellen

Jahrzehntelang waren Thailands sonnige Strände neben Bali die einzige Touristendestination in Südostasien. Lange ignorierten die Tourismusexperten des Königreichs aber neue Entwicklungen. Nachbarländer wie Kambodscha oder Vietnam öffneten sich dem Tourismus. Singapur rüstete touristisch massiv auf. Die neue Konkurrenz erfüllte Wünsche und Sehnsüchte der Urlauber nach neuen Erfahrungen und Erlebnissen. Thailand aber setzte stoisch auf wenige Reiseziele wie Pattaya, Phuket, Koh Samui oder Krabi und verwandelte die einstigen tropischen Paradiese durch eine ungezügelte Bauwut in Großstädte mit Strand.

Dann kam die Krise. Erst in der Gestalt des Covid-19-Lockdowns. Der Tourismus kollabierte. Nach einer anfänglichen Erholung nach Ende der Corona-Pandemie ist Thailands Tourismus jetzt auf Talfahrt. Besuchten 2024 noch 35,5 Millionen Reisende das gerne als »Land des Lächelns« titulierte Königreich, waren es Mitte 2025 schon 6,5 Prozent weniger. Das Ziel, die 40 Millionen Besucher pro Jahr der Prä-Coronazeit zu erreichen und zu übertreffen, ist illusorisch geworden.

Das liegt nicht daran, dass klimabewusste Menschen nicht mehr so zahlreich durch die Gegend fliegen oder auf Grund der vielfältigen Krisen dieser Welt ihr Geld lieber zusammenhalten. Singapur, Indonesien und Vietnam freuen sich nämlich über stetig steigende Besucherzahlen. Malaysia verzeichnete sogar in diesem Jahr erstmals mehr Ankünfte als der Nachbar Thailand.

Der Minikrieg zwischen Kambodscha und Thailand hat das Vertrauen in Thailand als sicheres Urlaubsziel ebenso beeinträchtigt wie der Überfall auf zwei südkoreanische Touristen in Bangkok. Das Paar war Anfang August von einem Fremden aus heiterem Himmel mit einer brennbaren Flüssigkeit überschüttet und in Brand gesteckt worden. Diese grauenvolle Tat ist sicher ein Einzelfall, schlug aber weltweit Schlagzeilen.

Politik in der Dauerschleife

Weitaus schwerwiegender ist die erneute Politkrise in Thailand, die X-te seit einem durch Putsche, neue Verfassungen und zahlreiche Neuwahlen geprägten Turbulenzen der letzten zwei Jahrzehnte. Wegen ihrer Handhabung des Grenzkonflikts mit Kambodscha und ihrer verächtlichen Äußerungen über das mächtige Militär wurde Premierministerin Paetongtarn Shinawatra Ende August vom Verfassungsgericht ihres Amtes enthoben. Am 5. September wählte das Parlament Anutin Charnvirakul von der Bhumjaithai Partei – drittstärkste Kraft im Repräsentantenhaus – zum neuen Regierungschef.

Unterstützt wurde Anutin von der reformistischen »Volkspartei«. Die stellt zwar die größte Fraktion im Parlament, wurde aber nach der Wahl 2023 von der konservativen Elite an der Regierungsübernahme gehindert. Eine Koalition aber hat die »Volkspartei« ausgeschlossen. Anutin steht also einer Minderheitsregierung vor, deren vornehmste Aufgabe darin besteht, die politische Lage im Land zu beruhigen, der schleppenden Wirtschaft Vertrauen einzuflößen und binnen vier Monaten – eine Bedingung der »Volkspartei« – den Weg zu Neuwahlen und möglicherweise einer neuen Verfassung – die 21. seit 1932 – den Weg zu ebnen.

Jahrzehntelang waren Thailands sonnige Strände neben Bali die einzige Touristendestination in Südostasien.

Wer Thailand kennt, weiß, dass Anutin die Quadratur des Kreises vollbringen soll. Der aufziehende Wahlkampf mit zu erwartenden Demonstrationen aller politischen Lager wird also mit der touristischen Hauptsaison zwischen November und Ende Januar und dem chinesischen Neujahrsfest – einer Hauptreisezeit asiatischer Touristen – Mitte Februar 2026 zusammenfallen.

Der Tourismus ist mit einem Anteil von etwa 20 Prozent vor Covid und dem bescheideneren Anteil von etwa 15 Prozent 2023/24 am Bruttosozialprodukt eine wesentliche Säule der Wirtschaft Thailands und wichtigster Devisenbringer. Vor allem aber gibt die Reisebranche vielen Thais Lohn und Brot. Vor Covid waren sechs Millionen Thais direkt oder indirekt in der Tourismusbranche beschäftigt. Das entsprach 16 Prozent aller Beschäftigten des Landes.

Thailand versucht derzeit weitgehend vergeblich mit kurzfristigen Maßnahmen den Tourismus anzukurbeln. Das im Juli 2025 gestartete »Zuzahlungsprogramm« der Regierung für Reisen von Thais im Land stieß nicht auf die erhoffte Resonanz. Mitte August verkündete das Tourismusministerium die Absicht, 200 000 internationale Touristen bei Ankunft mit kostenlosen Tickets für Inlandflüge zu beglücken. Ebenfalls im August startete das Finanzministerium ein 18-monatiges Pilotprogramm, das ausländischen Besuchern den Umtausch von Kryptowährungen in Baht für lokale Zahlungen ermöglichen soll.

Backpacker-Paradies: Koh Chang
Backpacker-Paradies: Koh Chang

Ein Dauerbrenner bei thailändischen Tourismuskrisen ist mal wieder die Ankündigung der Tourismusbehörde TAT, ihr Marketing auf zahlungskräftige Touristen vor allem aus Europa und dem Nahen Osten konzentrieren zu wollen. Mit einem neuen »Trusted Thailand«-Siegel für das internationale Vertrauen will Thailand sich als »sicheres, zuverlässiges und einladendes Reiseziel« präsentieren. Experten beklagen jedoch unisono das Fehlen eines langfristigen Plans für strukturelle Reformen.

Reformen nur auf dem Papier

Seit einigen Jahren besucht der weitgereiste Hajo Hoke gerne Thailand. Der Rentner aus Köln erkundet das Land systematisch durch Fahrten mit Bussen und Zügen. So lerne man sowohl Land und Leute als auch den Alltag im Urlaubsland am besten kennen. Zuletzt war er im Februar dieses Jahres in Thailand. »Oft bin ich dann der einzige Ausländer«, erzählt Hoke und fügt hinzu: »Oberflächlich merkt man als Tourist die Krise nicht. Aber Inhaber kleiner Geschäfte oder Betreiber von Garküchen erzählen, wie schlecht es ihrem Geschäft durch den Rückgang des Tourismus geht.« Von den Problemen lässt sich der passionierte Radfahrer Hoke jedoch nicht schrecken, Thailand als Domizil zur Überwinterung während der kalten Jahreszeit in Deutschland in Erwägung zu ziehen. »Deshalb reise ich oft nach Thailand, um vor einer solchen Entscheidung das Land und seine Kultur besser kennenzulernen.«

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Thailand hat in den letzten Jahren aber auch mit fortschrittlicher Politik Schlagzeilen gemacht. 2022 wurde – wenn auch unter unklaren Bedingungen – Cannabis legalisiert. Die gescheiterte Regierung von Paetongtarn hat zwar in diesem Jahr die Legalisierung zurückgenommen. Mit Anutin ist jetzt aber der eifrigste Verfechter der Cannabis-Legalisierung an der Regierung. Durch die Gassen von Bangkok zieht also vorläufig weiter der süße Duft von Marihuana aus thailändischer Produktion. Die Einführung der Ehe für alle im vergangenen Jahr bestärkte Thailands Ruf als liberales Land für queere Menschen.

Und so bleibt dem Königreich immerhin ein touristisches Alleinstellungsmerkmal: Wer keine Lust auf volle Strände und alte Fassaden hat, kann in Thailand wenigstens liberal heiraten – und danach beim Joint über die Zukunft des Landes nachdenken.

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