Rekonstruktion oder Neubau?

Streit um Orgel der Dresdner Frauenkirche in seiner - vorerst - letzten Runde

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 4 Min.
Unter dem Begriff »Dresdner Orgelstreit« geistern seit Wochen die Berichte über die Auseinandersetzung um die künftige Orgel in der Dresdner Frauenkirche durch die Medien. Gestern gab es in der Debatte eine Zäsur.
Das heftige Pro und Kontra kreist um die Frage: Soll in der wiedererstehenden Frauenkirche - ihre Wiedereinweihung ist für das Jahr 2005 vorgesehen - die von Gottfried Silbermann gebaute Orgel aus dem Jahr 1736 rekonstruiert werden oder bedarf es eines modernen Instruments? Nachdem der Frauenkirchen-Stiftungsrat zum Jahresbeginn dem Rat einer Findungskommission für eine moderne Orgel gefolgt war und die Straßburger Firma Kern für den Bau favorisiert hatte, spitzte sich die schon Jahre schwelende Auseinandersetzung zu. Einerseits entspräche eine moderne Orgel eher den Erfordernissen des Gotteshauses. Außerdem sind deren Befürworter der Meinung, dass der Silbermann-Bau vermutlich gar nicht eindeutig rekonstruierbar ist. Dem gegenüber steht die Auffassung einer großen Gruppe Fürsprecher des weitgehend originalgetreuen Nachbaus, internationale Orgelexperten und Musiker. Darunter der Leiter des Leipziger Bacharchivs, Harvard-Professor Christoph Wolff, der vor allem den um rund 30 Register erweiterten Umfang des geplanten neuen Instruments bemängelt. Es seien klanglich negative Auswirkungen zu befürchten.
Doch nicht nur das lässt die Wellen des Hickhacks so hoch schlagen. Es geht um viel Geld. Um die Spendenbereitschaft überhaupt und im jetzt zugespitzten Fall um die Summe der Dussmann-Stiftung für die Finanzierung des Orgelbaus. Die private Dussmann-Stiftung hatte ursprünglich Spenden in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro zugesagt. Die waren bis gestern auf Eis gelegt. Die Geldgeber hätten für die Neufassung der Silbermann-Orgel ins Portmonee gegriffen, hieß es. Und Dussmann favorisiert sächsische Orgelbauer, weltweit anerkannte Werkstätten, für den Auftrag. Dazu gehören traditionsreiche Orgelbauer wie Jehmlich in Dresden oder Eule in Bautzen, die jahrzehntelange Erfahrungen bei der Betreuung von Orgeln des Meisters Silbermann gesammelt haben. Vermutet wird auch von der Pro-Silbermann-Gruppe, dass die Kosten der von der Stiftung Frauenkirche als Bauherrn vorgesehenen modernen Orgel die Summe übersteigen könnten, die Spendern und Sponsoren bisher genannt wurde.
Am Mittwoch saßen die Kontrahenten in mehrstündigem Disput zusammen, um eine Lösung zu finden. Als solche standen - bei Redaktionsschluss lag noch keine Entscheidung vor - zur Wahl: Einlenken der Stiftung Frauenkirche; Kompromiss; Rückzug von Dussmann, d.h. moderne Orgel plus Spenden-Geld Dussmanns; Beharren der Stiftung Frauenkirche, d.h. moderne Orgel ohne Dussmann-Geld. Der in den USA lebende deutsche Nobelpreisträger Günter Blobel, der den Großteil seines Nobelpreises, umgerechnet rund 800000 Euro, für den Wiederaufbau der Frauenkirche gespendet hat, forderte unterdes am Mittwoch den Rücktritt des Stiftungsrates der Frauenkirche.
Auf der eigens eingerichteten Internetseite ist nachzulesen: In ihrer Satzung von 1994, die von der Entscheidung für den »historisch getreuen und vollständigen Wiederaufbau der Frauenkirche« ausgeht, nennt die Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden das Ziel des Orgelbaus: »Die barocke Innenausstattung mit der berühmten Orgel, auf der Johann Sebastian Bach 1736 spielte, wird wiederhergestellt.« Und sie traf damit auf Gleichklang des Gefühls vieler Menschen weltweit.
»Wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang von Dresden«, schrieb Gerhart Hauptmann angesichts des zerstörten Elbflorenz. Und die 202 Jahre alte Frauenkirche, die zunächst den Bomben standgehalten hatte und am 15. Februar um 10.15 Uhr in Trümmern versankt, war, gemessen an den vielen anderen berühmten Bauwerken, die dem Inferno zum Opfer gefallen waren, »der schlimmste und größte Verlust«, so der Dichter Kästner. Mit ihrem Wiederaufbau soll »ein Symbol der Versöhnung und Verständigung« entstehen, wie die Freunde der Frauenkirche erklärten.
Der 1722 von Georg Bähr (1666-1738) entworfene, genial konstruierte Bau mit seinem »Kuppelwunder« und der ihm ebenbürtigen Orgel des berühmten sächsischen Orgelbauers Gottfried Silbermann - eine »einzigartige Symbiose von Raum und Instrument«, wie Christoph Wolff betont - bot ein unbeschreibliches Klangerlebnis. In den Jahren 1732 bis 1736 hatte Silbermann die große, dreimanualige Orgel mit 43 Registern geschaffen. Wilhelm Friedemann Bach, der - wie zuvor sein Vater Johann Sebastian Bach - 1843 bei der Uraufführung eines Oratoriums von Richard Wagner die Orgel spielte, sagte, der Orgelbauer Silbermann habe »Natur und Kunst besiegt«. - Anlässlich des Jahrestages der Zerstörung der protestantischen Kirche am 13. Februar dieses Jahres war auf einem anonymen Fürbittanschlag zu lesen: »Für die Orgelkommission, die gegen die Silbermann-Orgel entschieden hat: Herr, vergib ihnen, denn sie tun nicht, was sie wissen.«

www.frauenkirche-silbermann.de/html/ pro_moderne_orgel.htm
www.dussmann.de

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.