Die Ostdeutschen bewerten ihre Situation skeptisch
Studie: Nur jeder Vierte fühlt sich als »richtiger Bundesbürger«
»Die Sicht der Bürger der neuen Bundesländer«, so lautet der Titel einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums. Im Auftrag des Sozial- und Wohlfahrtsverbandes Volkssolidarität untersuchen die Forscher seit der Wende die Befindlichkeiten der Ostdeutschen. Somit kann das SFZ auf »eine einmalige Datenbasis« zurückgreifen«, wie Gunnar Winkler, Präsident der Volkssolidarität, während der Vorstellung der Studie am Montag betonte. Die Ergebnisse der Befragungen von 1900 Bürgern aus den neuen Ländern ergeben ein interessantes Stimmungsbild.
Demnach seien 44 Prozent der Befragten mit ihrem Leben »alles in allem« zufrieden, wie Winkler bestätigte. Doch der Grad der Zufriedenheit sinkt seit Jahren stetig, wie Winkler feststellen musste. Schuld daran sei auch ein »Klima der Zukunftsverunsicherung«, das die soziale Integration der Ostdeutschen in die Gesellschaft behindere, so der Volkssolidaritäts-Präsident. Aufgrund dieser Verunsicherung befürchten mehr als 50 Prozent der Ostdeutschen, dass es ihnen in fünf Jahren wirtschaftlich schlechter gehen wird als heute. Zu dieser Verunsicherung passt auch die Beobachtung, dass 1989 noch 40 Prozent ihre wirtschaftliche Situation als gut bewerteten, heute sind es nur noch 32 Prozent.
Dabei leugnen die Befragten keinesfalls die seit der Wende erreichten Fortschritte. Im Gegenteil: »Besser als 1989/90 erwartet« seien die Veränderungen – etwa beim Warenangebot, der Reisefreiheit oder der selbstbestimmten Lebensgestaltung – findet eine Mehrheit der Ostdeutschen. Doch nicht alle profitieren von den Segnungen der sozialen Marktwirtschaft: Beinahe ein Viertel der Ostdeutschen fühlt sich als Wendeverlierer. Lediglich 38 Prozent der Ostdeutschen sehen sich als Gewinner der Entwicklung seit 1989.
Damit artikulieren die Bürger aber auch ihre Hilflosigkeit. Es sei keineswegs die allgemeine Unzufriedenheit über das Erreichte, so Gunnar Winkler, sondern eher das »Fehlen von Möglichkeiten, die Angleichung an westliche Lebensverhältnisse durch eigenes Handeln erreichen zu können«. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn sich die Masse der Befragten nicht hinreichend in die Bundesrepublik integriert fühlt.
Nur zehn Prozent wollen die DDR zurück
Als »richtige Bundesbürger« sehen sich 25 Prozent, aber lediglich 10 Prozent wollen die DDR zurück. Der Arbeiter- und Bauernstaat erfreut sich bei Arbeitslosen und prekär Beschäftigten größerer Beliebtheit. Von ihnen wünscht sich jeder Vierte ein DDR-Comeback.
Nach wie vor spielt der Ost-West-Unterschied eine große Rolle. Lediglich jeder fünfte Ostdeutsche meint, es gebe nur geringe oder keine Unterschiede zwischen den neuen und den alten Bundesländern. Eine deutliche Mehrheit von 53 Prozent sieht hingegen noch große Differenzen zwischen Ost und West.
Die Studie macht auch deutlich, dass es sich beim viel beschworenen »Demokratiedefizit« im Osten um ein Phantom handelt. Immerhin 67 Prozent der Befragten halten die Demokratie für sehr wichtig oder wichtig. Allerdings ist nur jeder zehnte Ostdeutsche mit der bundesrepublikanischen Spielart der Demokratie zufrieden.
Dafür wünschen sich 60 Prozent der Befragten bei Abstimmungen, die ihr Leben betreffen, mit einbezogen zu werden. Die neuen Bundesbürger scheinen das Prinzip »repräsentative Demokratie« durchschaut zu haben: Sage und schreibe 0,4 Prozent von ihnen glauben noch an Versprechen der Politiker vor der Wahl. Die Ergebnisse der Studie belegen auch, warum die FDP im Osten so schwach ist: Ehemalige DDR-Bürger sprechen sich mehrheitlich für die »Einheit der Grundwerte« aus. Für den überwiegenden Teil der Ostdeutschen ist »Freiheit ohne Recht auf Arbeit und soziale Sicherheit« nicht vorstellbar, wie Gunnar Winkler betonte.
Der Präsident der Volkssolidarität warnte aber, dass »jeder Bürger seine Positionen zu Ausländern und rechtsextremen Auffassungen kritisch prüfen sollte«. Es seien keineswegs nur die Jungen, die sich »ausländerunfreundlich« verhalten würden. So seien 40 Prozent der Auffassung, dass es zu viele Ausländer in Deutschland gebe. Dabei liegt der Ausländeranteil in den neuen Ländern nur bei zwei Prozent.
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