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» ... dann bekommt ihr auf die Fresse!« – keine Beleidigung

Justiz

  • Lesedauer: 2 Min.

Seit 2001 lebt der Mann aus Ghana in Deutschland. 2008 besuchte er mit Frau und zwei Kindern einen Bekannten, der in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel einsaß. Im Besucherraum kaufte er Getränke, das Wechselgeld steckte er in die Hosentasche. Zwischendurch verließ der Vater mit seinem dreijährigen Sohn den Besucherraum, um auf die Toilette zu gehen. Als sie zurückkamen, wurde der Vater durchsucht. Ein Justizvollzugsbeamter fand den 5-Euro-Schein und erklärte daraufhin den Besuch für beendet: Es ist nämlich im Gefängnis verboten, Bargeld auf die Toilette mitzunehmen. Das muss auf dem Besuchertisch bleiben.

Davon wusste der Besucher nichts. Es kam zu einem Streit, der einen zweiten Vollzugsbeamten auf den Plan rief. Schließlich rief der wütende Mann: »Drinnen führt ihr euch auf wie die Könige. Ihr kommt ja irgendwann hier raus, und dann bekommt ihr auf die Fresse!« Die Beamten stellten Strafanzeige wegen Beleidigung. Doch das Amtsgericht Hamburg sprach den Mann frei.

Ob der Wutausbruch des Besuchers, der sich zu Unrecht der Anstalt verwiesen fühlte, überhaupt als Androhung körperlicher Gewalt ernstzunehmen sei, sei bereits zweifelhaft. Doch selbst wenn: Das Androhen von Schlägen sei nicht strafbar. In ein Beleidigungsdelikt könne man das auch nicht umdeuten. Der einschlägige Paragraph schütze nicht vor Grobheiten, sondern nur vor der Herabwürdigung von Personen. Von Beleidigung könne nur die Rede sein, wenn dem Betroffenen negative Eigenschaften zugeschrieben würden. Das treffe hier nicht zu.

»Fresse« sei ein derber Ausdruck für Mund (neuerdings auch für Gesicht). Das sei unhöflich, aber keine Abwertung. Da die Aufforderung »Halt die Fresse« umgangssprachlich sehr verbreitet sei, müsste es diesbezüglich ja Beleidigungsklagen hageln. Die Beamten zu duzen, sei auch keine Beleidigung, zumal vonseiten eines ghanaischen Staatsbürgers, der die deutsche Sprache nicht gut beherrsche.

Wenn der Staatsanwalt betone, die »Äußerung sei nicht unter Gleichgestellten« gefallen, sondern gegenüber Beamten, belege dies ein problematisches Verständnis vom Verhältnis zwischen »Menschen« und »Staatsbediensteten«. Unmutsäußerungen und aufmüpfiges Verhalten sei noch keine strafbare Beleidigung.

Wenn Beamte sich persönlich angegriffen fühlten, weil jemand ihren Anweisungen nicht widerspruchslos gehorchte, zeige sich darin eine überholte Vorstellung vom braven Bürger.

Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 10. März 2009 - 256 Cs 160/08

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