Der schöne Qualm des Rauchens

TV-Kritik: 3sat-Doku »Eine letzte Zigarette« über den blauen Dunst als künstlerisches Stilmittel in Film und Fernsehen

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Lanze fürs Rauchen zu brechen, trifft heute auf wenig Wohlwollen. Und Peter Zinsli ist dafür ein schlechter Botschafter. Zigtausend Päckchen hat der Schweizer in 50 Jahren inhaliert. Nun hängt er am Sauerstoffgerät und schilderte gestern Abend in der Dokumentation »Eine letzte Zigarette« die dunkle Seite des Genießens: Wie früher jeder gequalmt habe, 80 Prozent, mindestens. Büros, Werkstätten, Autos, Züge, Zimmer, Säle, Straßen, Plätze, Kliniken, Parlamente seiner Jugend – alles im blauem Dunst. Abstinenzler, erinnert sich Zinsli, »waren Sonderlinge«. Und wie er so lacht über damals, wie er seine Sucht erzählt, als sei sie eine riskante, aber gute Freundin, da blitzt eine seltsame Leichtigkeit auf im teerschweren Thema und Fritz Muris differenzierte Reise durch die Historie des blauen Dunstes auf 3sat zeigt: Er hat seine Existenzberechtigung. Zumindest in Film und Fernsehen: Als Stilmittel und Dekoration. Dass der blaue Dunst auch aus Film und Fernsehen verschwindet, ist eine Frage der Zeit. Es wäre ein Jammer.

Wir wollen nichts verharmlosen – Nikotin ist toxisch, tödlich ... tststs. Aber zur Dramatisierung darf die Kippe danach, davor, mittendrin nicht sterben! Man muss sich nur mal den »Internationalen Frühschoppen« ansehen, um jene Ruhe zu spüren, die glühende Pfeifen und Stumpen renommierter Reporter beim Sinnieren über den Vietnamkrieg verströmten. Falco, der 1992 die österreichische Mentalität im NDR mit dampfendem Schmäh »zwischen Depression und Größenwahn« beschrieb. Oder wie Dürrenmatt im Dialog mit dem jungen Reich-Ranicki seelenruhig den Aschenbecher löscht – dieser legere Brandeinsatz ist wohl Rauchern zueigen.

Der Schleier über den Köpfen nahm gerade den Talkshows die Aura des Kalküls heutiger Runden. Man fühlte sich heimelig, sofern die Kostverächter nicht motzten. Und das taten sie nie, 1974 etwa, als die distinguierte Tabakwerbung im Fernsehen durch spröde Antiraucherspots ersetzt wurde. Auch Mitte der 1980er Jahre nicht, als fast jede Emission dank der Grünen auf dem Index landete. Selbst ein Jahrzehnt später, der Marlboro-Mann war grad an Lungenkrebs verreckt, herrschte Toleranz. Als Glimmstängel aber erst aus Flugzeugen, dann Büros, bald Staatsgebäuden, später Restaurants, nun Zügen und Zeitungen verschwanden, war das Gefecht verloren. So bleibt Helmut Schmidt der letzte Rebell mit der Chuzpe, selbst im Fernsehstudio zu schmöken. Vielleicht bleibt seine Ruf makellos, weil die Kippe bei Kerner an urige TV-Epochen gemahnt. Denn es tötet ja nicht das Rauchen an sich, sondern die Hatz dabei. Laut Beat Wyss, Kunsthistoriker aus Zürich, ist sie eine weitere Geißel des Krieges. Im Schützengraben galt Tabak nicht mehr der Muße, sondern dem Stressabbau. Noch drei Züge, dann ab zum Sterben.

Kein Wunder, dass dem HB-Männchen auch im Frieden nur die Zigarette vorm Infarkt bewahrte. Dass Bogarts Lässigkeit unablässigen Rauchens bedurfte, dass keine Heldenhand im Hollywood-Boom ohne Filterlose blieb und in George Clooneys McCarthy-Drama »Good Night and Good Luck« 2006 alle quarzten, weil der gezeigte Fernsehsender wie in der Realität von der Tabakindustrie gesponsert wurde. Schnitte man aus Filmen wie »Casablanca« Szenen ohne Alkohol und Zigarette raus, bliebe nichts davon übrig. Doch seit 1966 im Kampf gegen das Nikotin erste Warnhinweise auf US-Päckchen landeten, ging es mit dem Nutzerimage bergab. 447 Topfilme hat das St. Michael Medical Center in Newark von 1990 bis 2000 untersucht. Ergebnis: Jeder fünfte Held qualmt, aber 37 Prozent der Bösewichte.

Hierzulande meldet die Gesundheitsministerin, enthalten drei Viertel aller Filme im Fernsehen explizite Rauchszenen. Für den Medizinethiker Kurt Schmidt eine kultursoziologische Frage: Das Medium nehme sich »Freiräume, die in der realen Welt beschränkt werden«. Dennoch dreht Lucky Luke nicht mehr selber, er kaut Grashalm. Serien wie »GZSZ«, »Marienhof« und »Soko Leipzig« tragen »Rauchfrei-Siegel«. Jason Reitmans Film »Thank you for Smoking« porträtierte 2006 einen Tabaklobbyisten gänzlich qualmfrei. Und beim »Polizeiruf« wird praktisch gar nicht mehr geraucht - ganz im Gegensatz zu den 1970er Jahren. Es waren blaue Zeiten.

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