»Liebe Neger«

Wie Kanzlerkandidat Stoiber dem deutschen Osten Beine machen will

  • Claus Dümde
  • Lesedauer: 3 Min.
Es sei ein Fehler gewesen, den Menschen im Osten das in 40 Jahren kompliziert gewordene gewachsene westdeutsche Rechtssystem überzustülpen, hat Edmund Stoiber am Sonntagabend im ZDF geäußert. Haben dem Kanzlerkandidaten der Union seine Stippvisiten im Osten zu Erkenntnissen verholfen, die er nun nach dem 22. September umsetzen will? Beim Schlürfen von »Rotkäppchen« an der Unstrut war er ja schon lockerer als bei einer Flugzeugwerft in Neubrandenburg. Gemach. Stoiber verspricht nicht, nach einem CDU/CSU-Wahlsieg dieses Dickicht radikal auszulichten, in dem sich Normalbürger oft heillos verirren und riskieren, das letzte Hemd zu verlieren. Nicht nur im Osten. Zu viele Politiker profitieren selbst - »nebenberuflich« - als Rechtsanwälte davon. Nein, Stoiber forderte »Mut«, im Osten »Abweichungen von deutschen und auch europäischen Rechtsbestimmungen« zuzulassen. Angeblich sei es anders nicht möglich, die neuen an die alten Bundesländer wirtschaftlich heranzuführen. Klingt nicht neu. Und ist es auch nicht. Gleich nach dem Anschluss der DDR wurde das bekanntlich praktiziert, so durch »Beschleunigungsgesetze«, die Mitspracherechte der Betroffenen bei Verkehrsprojekten beseitigten, durch »Fördergebietsgesetze«, die für vermögende Investoren (West) bei Geldanlage in - oft überflüssige - Gewerbegebiete, Büros und Wohnungen per Steuerabschreibung nicht nur risikolose Rückerstattung der Anlage in kürzester Zeit, sondern auch Traumprofite garantierten. Siehe Immobilienfonds der Bankgesellschaft Berlin. Neu ist auch nicht die Idee, durch weitere Sondergesetze bis Ende 2019 (!) Bundesrecht im Osten abzuschaffen. Stoiber berief sich ausdrücklich auf Vorschläge von Uralt-Kanzler Helmut Schmidt (SPD), die der 83-Jährige vorigen Herbst in einem Artikel der »Zeit« des »Handelsblatt«-Verlagsimperiums Holtzbrinck machte: Flächentarifverträge suspendieren, Billigtarife zwischen Unternehmensleitung und Betriebsräten auskungeln, geringere Besoldung im öffentlichen Dienst, Baurecht vereinfachen, Umweltrecht lichten, Handwerksordnung lockern... Stoiber unterstützte ausdrücklich diese Vorschläge, freilich ohne sie zu nennen. Verständlich. Denn mit der von ihm wie seinerzeit von Schmidt beklagten »Unternehmerlücke« im Osten haben sie offenkundig kaum etwas zu tun. »Es sind die freiberuflich tätigen Selbstständigen, die dienstleistenden Handwerker, die mittelständischen Unternehmer, von denen wir die Masse der künftig zu schaffenden Arbeitsplätze erwarten!«, schrieb Schmidt emphatisch. Angeblich würden aber viele fähige Ossis durch die Gesetze, die Schmidt und Stoiber für den Osten abschaffen wollen, davon abgehalten. Wers glaubt, wird selig. Wer sollte sich selbstständig machen, wenn ringsherum - nicht nur auf dem Bau - Betriebe ohne Aufträge sind und Pleite gehen. Offenbar gehts hier um eine Sonderzone mit Niedriglöhnen für rechtlose Arbeitnehmer, ein Korea vor der Haustür. Wie die vorgezeigte Firma in Neubrandenburg. Stoiber sollte es ehrlich sagen, wie weiland CDU-Bundespräsident Lübke in Afrika: »Meine Damen und Herren, liebe Neger...«

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