Wie weiter in der Autoindustrie?

Linkspolitiker Manfred Sohn über Perspektiven jenseits der Verschrottungsprämie

  • Lesedauer: 4 Min.
Die Autoindustrie samt Zulieferer stecken in einer tiefen Krise. Besonders betroffen ist Niedersachsen, viele Arbeitsplätze sind hier in Gefahr. Über die Vorgänge um die Continental AG sowie die Fusion von VW und Porsche sprach Michael Fleischmann mit Manfred Sohn, dem Vorsitzenden der Linksfraktion im Landtag.
Wie weiter in der Autoindustrie?

ND: Was ist von der Übernahme der Continental AG durch Großaktionär Schaeffler zu halten?
Sohn: In diesem Land wird es als selbstverständlich hingenommen, dass sich eine Familie Milliarden zusammenleiht, mit diesem Geld ein prosperierendes Unternehmen kauft und die Beschäftigten, über 130 000 weltweit, in massive Existenznöte stürzt. Dass das für normal und soziale Marktwirtschaft gehalten wird, das ist der eigentliche Skandal um Conti.

Was kann die Politik tun?
Sie muss die Verantwortung des Staates für die Sicherung dieser Arbeitsplätze wahrnehmen. Bei anderen Unternehmen wie dem Stahlwerk Peine, VW oder der Nord/LB hat sich das bewährt. Der Staat kann sagen: »Wenn ihr finanziell in Schwierigkeiten seid, dann helfen wir euch, aber nur bei Übertragung von Eigentumsrechten an den Staat.« Das erlebt jeder Hauseigentümer: Wenn ich mir Geld leihe und ich komme in Schwierigkeiten, geht das Eigentum an den über, der mir das Geld geliehen hat. Genau so muss man auch mit Familien wie Schaeffler umgehen. Dann muss der Staat ein bisschen mehr planerisch in den Wirtschaftsprozess eingreifen. Das ist die Perspektive, die für Conti notwendig wäre und für viele andere Unternehmen – gerade jetzt in der Krise.

Was heißt das?
Wir müssen über den Tag der Verschrottungsprämie hinaus neue Mobilitätskonzepte für die Zukunft entwickeln. Darin werden der Schienentransport und der öffentliche Verkehr eine andere Gewichtung haben als der Straßentransport und der Individualverkehr. Elektroantriebe werden eine andere Bedeutung haben. Für diese Umstrukturierungen braucht man mehr politische Planung und mehr Demokratie. In vielen Zusammenhängen hat sich gezeigt, dass die Beschäftigten in der Regel die vernünftigsten Ideen entwickeln.

Wie könnte das ganz konkret am Beispiel von Conti aussehen?
Politische und gewerkschaftliche Instanzen entwickeln ein Konzept: Wie produzieren wir in Zukunft Mobilität für Menschen in Niedersachsen und darüber hinaus? Das müsste eng verzahnt werden zum Beispiel mit Siemens, die in Braunschweig die Signaltechnik entwickeln. In diesem Konzept eines Mobilitäts-Konzern-Verbundes in Niedersachsen hätte auch Conti seinen Platz, der die Arbeitsplätze in der Perspektive garantiert – wobei eine Grundbedingung in diesem Zusammenhang unbedingt genannt werden muss: Aufgrund der steigenden Produktivität in der Industrie wird das alles nicht machbar sein ohne eine allgemeine, gesetzlich verfügte Verkürzung der Arbeitszeit auf zunächst ungefähr 30 Stunden.

Mutter und Sohn Schaeffler sollen mit dem Gedanken spielen, die Gummisparte von Conti zu verkaufen, um ihre Schulden zu drücken. Welche Auswirkungen hätte das auf das Unternehmen?
Das würde über Jahrzehnte etablierte Produktionsprozesse auseinander reißen und die Arbeitsplätze in Hannover und an den anderen Conti-Standorten massiv gefährden. Mit allen Mitteln, die man hat, muss man sich dagegen zur Wehr setzen.

Was meinen Sie damit?
Es gibt im Grundgesetz den Artikel 14, der die Verantwortung des Eigentums einklagt. Danach kommt der Artikel 15, der sagt, wenn ihr diese Verantwortung nicht wahrnehmt, gibt es die Möglichkeit der Enteignung. Diesen Artikel muss man gegenüber der Schaeffler-Familie ernsthafter in Erwägung ziehen. Das passiert übrigens jedem kleinen Bauern, der seinen Acker dort hat, wo eine Autobahn gebaut werden soll. Dort gehen Enteignungen ratzfatz über die Bühne.

Was sagen Sie zur Rolle der Politik bei der anstehenden Fusion von VW und Porsche?
Alles schreit nach einem stärkeren Einbringen von Politik, Demokratie und Gesellschaft in den Wirtschaftsprozess. Das ist im Kern die Schlussfolgerung aus dem ganzen Drama, das sich derzeit ökonomisch entfaltet. Diese Situation zwingt sogar Leute, das Richtige zu tun, die eigentlich sagen, wir müssten die Marktwirtschaft sich frei entfalten lassen. So ist das auch mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff. Er ist gezwungen, Industriepolitik zu machen: das Engagement des Staates bei VW zu erhöhen und sogar die außergewöhnlich stark verankerten demokratischen Rechte der Belegschaft zu verteidigen. VW ist ein glänzendes Beispiel dafür, dass Erfolg nicht trotz, sondern wegen mehr Demokratie im Betrieb möglich ist.

Ob Conti oder VW, welche Akzente setzt die Linksfraktion?
Akzente setzen wir vor allen Dingen bei der Verteidigung der Arbeitsplätze und bei der vernünftigen Gestaltung der Zukunft. Das beinhaltet die 30-Stunden-Woche und natürlich auch das solidarische Hineintragen von Betrieben, die sonst von der Pleite bedroht sind, in einen künftigen VW-Mobilitäts-Verbund, wie beispielsweise den Automobilzulieferer Karmann in Osnabrück. In der Perspektive hat VW eine zentrale Verantwortung in unserer Gesellschaft, Mobilitätskonzepte für die Zukunft zu entwickeln. Wir werden im nächsten Jahr mit Gewerkschaften und Belegschaften bei VW und anderen niedersächsischen Unternehmen der Mobilitätsindustrie an diesem großen Thema konkret weiterarbeiten.

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