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Großeinsatz der Polizei gegen den »Dschungel« bei Calais

Den »Illegalen« soll der Weg nach England verlegt werden

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Frankreichs Einwanderungsminister Eric Besson schickte am Dienstagmorgen mehrere Polizeihundertschaften vor, um das »Dschungellager« ausländischer Flüchtlinge bei Calais mit Gewalt räumen zu lassen.

150 Bewohner des »Dschungels« von Calais erwarteten den Großeinsatz der Polizei. Sie versammelten sich hinter Transparenten, auf denen in englischer Sprache stand: »Wir brauchen Schutz und Unterkunft« – »Wir wollen Asyl und Frieden« – »Der Dschungel ist unser Zuhause«.

Trotz Anwesenheit zahlreicher Journalisten und Mitglieder von Hilfsvereinen wurden die Ausländer, vorwiegend paschtunische Afghanen, von der Polizei mit teilweise brutalen Mitteln festgenommen. Die Zelte und Hütten, die sie auf dem mit Sträuchern und Bäumen spärlich bewachsenen Brachland in der Nähe des Hafens errichtet hatten, wurden zerstört. Die meisten der 700 bis 800 »illegalen« Ausländer, die sich gewöhnlich hier aufhielten, hatten sich zuvor in Sicherheit gebracht, nachdem Einwanderungs- und Integrationsminister Eric Besson schon vor Tagen die Räumung des »Dschungels« angekündigt hatte.

2002 schloss Nicolas Sarkozy als Innenminister das Rot-Kreuz-Lager Sangatte bei Calais, um den Strom der Flüchtlinge auf der Durchreise nach Großbritannien zu stoppen. Damit sei »das Problem gelöst«, erklärte er seinerzeit triumpierend. Doch tatsächlich kamen weiterhin Monat für Monate mehrere tausend Flüchtlinge nach Calais, um des Nachts zu versuchen, an Bord von Lastwagen durch den Tunnel oder per Fähre nach Großbritannien zu gelangen. Nur irrten sie jetzt in der Stadt und ihrer Umgebung herum, schliefen in improvisierten Unterkünften und waren auf Essen und Waschgelegenheiten angewiesen, die ihnen Hilfsvereine zur Verfügung stellten. Denen machten Polizei und Behörden das Leben immer schwerer.

Das ging so weit, dass man gegen Einwohner Calais', die zu Hause die Batterien der Telefone von Flüchtlingen aufgeladen hatten, Ermittlungsverfahren wegen »Beihilfe zum Menschenhandel« einleitete. Dieses juristische Damoklesschwert hängt heute über allen Franzosen, die »illegalen« Ausländern helfen. Der ehemals sozialistische Minister Besson kennt keine Gnade. »Der Dschungel von Calais ist kein humanitäres Hilfszentrum, sondern ein Basislager von Menschenhändlern«, erklärte er am Dienstagmorgen in einem Rundfunkinterview. Die Hilfsvereine fordern bisher vergebens, dass Frankreich den elementaren Verpflichtungen nachkommt, die der Staat mit der Unterschrift unter internationale Abkommen über die Behandlung heimatloser Flüchtling eingegangen ist: Recht auf Notunterkunft, Recht auf medizinische Behandlung, Recht auf ein Asylverfahren, Recht auf die Aufnahme und Betreuung von Minderjährigen.

Die Regierung verweist darauf, dass die meisten dieser Flüchtlinge gar keinen Asylantrag in Frankreich stellen, sondern nach Großbritannien streben. Viele haben dort Verwandte oder Freunde, die ihnen den Start erleichtern, sie sprechen meist schon Englisch, hoffen auf eine Beschäftigung als Schwarzarbeiter und eine vergleichsweise leichtere Anerkennung als Asylanten, was so heute nicht mehr stimmt. »Angeblich legt die Regierung das Schwergewicht auf die Entlarvung und Bestrafung der Schlepperbanden, die mit der Not dieser Menschen ein Vermögen verdienen, doch hier hat die Polizei kaum Erfolge vorzuweisen«, stellt Karen Akoka vom französischen Koordinationskomitee für Flüchtlingshilfe fest. »Stattdessen schikaniert die Polizei systematisch die Flüchtlinge, wohl um die Kunde davon bis nach Asien zu tragen und so den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Doch so wird man dem Problem nicht gerecht.«

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