Sieg der Extreme

Kunstszene Dresden aktuell: Wie aus OHNE UNS! ein OHNE EUCH! wird

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 6 Min.
Sieg der Extreme

Harmoniegesättigte Landschaft. Konfrontationswütige Bewohner. Als kindlich früher Dresdenbewohner und immer wieder Dresdenbewunderer muss man oft genug den Atem anhalten, nimmt man manch garstiges Gezeter über den anmutigen Elbauen wahr. Ob nun Waldschlösschenbrücke oder Neumarktbebauung, im innerstädtischen Disput müssen immer und ewig die Fetzen fliegen. Statt einen Kompromiss zu finden, siegen die Extreme. Statt aus der notdürftig abgestimmten Brücke nun wenigstens ein architektonisches Ereignis zu machen, bleibt man bei Nullachtfuffzehn. Der Neumarkt entwickelt sich zur touristisch-gastronomischen Puppenstube. Der Altmarkt mit der schrägen Mastnadel und der Postplatz mit seiner gepflegten Leere befriedigen pseudomodernen Geschmack.

Aber das sind ja nur architektonische Kontroversen. Man lebt damit. Und im Schloss, wo die Stadt die steingeworden wunderbarste Übereinstimmung mit dem Elbtal demonstriert, gerät so gut wie alles mustergültig. Halt. Hängt da nicht bei den Staatlichen Kunstsammlungen der Haussegen schief? Ein zur Beliebigkeit führender Mix der Teildirektorenposten sorgt für Trouble. Der als Nachfolger des emeritierten Harald Marx für die Kollektion der Alten Meister verantwortlich gemachte Bernhard Maaz folgt gleichzeitig dem nach Weimar abgeworbenen Wolfgang Holler auf den Chefsessel des Kupferstichkabinetts. Ohne Not wird eine von Namen wie Woermann, Lehrs, Manteuffel, Balzer, Schmidt und Holler markierte Traditionslinie abrupt abgebrochen. Man spricht schon davon, dass der ausgewiesene Plastikspezialist Maaz als Drittes demnächst obendrein die Skulpturensammlung »übernehmen« soll.

Die Gebieter über die Dresdner Museumsschätze treten eine Tradition mit Füßen, die einmal maßstabsetzend war. So urteilen hochgeachtete Grafikexperten wie Ex-Generaldirektor Werner Schmidt oder Topkunstkritiker Lothar Lang, die selbst Qualität personifizieren. Bisher protestieren sie genauso vergeblich wie der Verband Deutscher Kunsthistoriker oder etliche internationale Größen. Gerade von den klassischen grafischen Sammlungen werden derzeit die entscheidenden Impulse zur Rettung des Genres vor der Ignoranz des Kunstmarktes erwartet. Dafür sind prägnante und hochspezialisierte Köpfe gefragt. Es ist schwer, nicht Fritz Kortners auf Wien gemünzte Worte auf Dresden zu beziehen, der da meinte: »Die schönste Stadt der Welt – nur die Besetzung stimmt nicht.« Weisungsbefugte drehen sich hier um eine einzige Achse. Deren Kompass ist unverrückbar auf Westmaßgaben geeicht. Dresden rangiert da als Provinz. Pikanterweise handelt es sich bei Dr. Maaz um einen der ganz wenigen in den letzten zwei Jahrzehnten im Dresdner Kulturleben Berufenen mit lupenreiner Ostbiografie. Wird sein bisher guter Ruf durch vorzeitigen Verschleiß planmäßig ruiniert?

In Dresden und Umgebung unterwegs, bekommt man allerhand zu sehen. Und zu hören. Zum Sehen gibt es wie immer aufsehenerregende Kunst. Nur die Vorzeichen, unter denen das geschieht, haben stets eine gewisse Tendenz. Es gibt Vorlieben und Abneigungen. Um bei der Verantwortung der Staatlichen Kunstsammlungen zu bleiben: Denselben stiftet 2001 der aus Dresden gebürtige und nunmehr als Bildhauer von Weltrang zu betrachtende Wieland Förster über 50 Bronze- und Steinskulpturen. Ohne Frage repräsentieren sie das Lebenswerk des im Februar Achtzigjährigen. Das Stiften eines solchen Mammutwertes von Kunst ist a priori an die Bedingung einer würdigen Ausstellung geknüpft. Diese findet nun endlich (noch bis März) an prominenter Stelle im Zwinger statt.

So weit so gut. Der Haken ist: Dresdens Zwinger ist zuallererst Balthasar-Permoser-Barock. Zeitgenössische Plastik wurde dort noch nie gezeigt. Wieland Försters Kunst, extrem sensibel wie der Künstler selbst, ist in der gerade mal zehn Schritte breiten Bogengalerie, die zum Bergpavillon führt, nicht in dieser Fülle darstellbar. Die ragenden Vertikalen der Torsi sind raumgreifend konzipiert. Ihre Aura braucht Platz für Ausstrahlung. Elementar Körperliches in dieser gestalterischen Intensität verlangt den Abstand, ja, das Herumgehen des Betrachters. Porträtköpfe vom Rang des Genet oder des Minetti oder der Jelinek im sonnigen Gegenlicht platziert sind ein Unding.

Von den zur Verfügung dieser Sammlungen stehenden Lokalitäten kommt eben nur der Lipsiusbau auf der Brühlschen Terrasse in Frage. Die nun für neckische Andenkenfotos der Touristen missbrauchte, eng an einen Zwingerpfeiler gepresste »Große Neeberger Figur« Försters würde da in Mittelachse zu der Geltung kommen, die ihr als Jahrhundertkunstwerk gebührt. An den Seitenwänden könnte das einzigartige zeichnerische Oeuvre den Background geben. Aber nein – an dem für Skulpturen idealen Ort gibt es ein ums andere Mal das aktuell bildmäßig Marktgängige. Nach Sigmar Polke als extrafeinem Nachholbedarf und Martin Eder als Futter für die Schickeria nun von Oktober bis Januar die am Computer verfremdeten Fotos wechselnder Bauwerke von Beate Gütschow (Mainz/Berlin). Lange schon warten Kunstkenner darauf, dass originär Dresdner Kunst der Jahrzehnte nach 1949 am Ort des Entstehens gezeigt wird. So umfassend und komplex, wie es im mit Dresden stets konkurrierenden Leipzig zur Zeit mit »60/40/20« geschieht. Dort ist möglich, was in Dresden offenbar für des Teufels gehalten wird: Die hier für den ganzen Freistaat stehenden Kunstsammlungen sind uns seit zwei Jahrzehnten eine museal gültige Dokumentation der Kunst dieser Jahre schuldig geblieben.

Die nach draußen gingen oder von dort kamen, gelten etwas. Es ist schick, was vor Ort entstand, als Nebensache abzutun. Ein Fundamentalismus, der Schule macht. Und zwar Hochschule. Der Lehrkörper »Freie Künste« der Kunstakademie auf der Brühlschen Terrasse ist inzwischen von Einheimischen so ausgedünnt, dass mit Elke Hopfe und Ralf Kerbach nur mehr Zwei von Zwölf da sind. In der gegenwärtig im »Oktogon« weiträumig gezeigten Überschau »Berufen« ist die magere künstlerische Kompetenz von Namen wie Bömmels oder Honert, Mundt oder Wolff einsehbar. Der einst aus Jena nach Dresden berufene Detlef Reinemer verabschiedet sich mit 18 weiß Gott auf furiose Art geistvoll und unkonventionell durchgestalteten plastischen Objekten zeitgleich in den Ruhestand. Konsequenz? Man pfeift auf das, was er lehrte.

Und was mehr politisch als künstlerisch agierende Kuratoren für einzig zeitgemäß halten, ist an gleich vier verschiedenen Dresdner Örtlichkeiten unter dem Erinnerungsausruf »OHNE UNS!« zu besichtigen. Gar kein Zweifel, erlaubt ist, dass gezeigt und gerühmt werden soll, was aller Ehren wert ist – Widerstand und Verweigerung integrer Einzelkünstler gegen totalitäre Vereinnahmung. Aber kann es das einzig Gültigbleibende sein? Nach dem Motto, wer nicht zum Staatsfeind erklärt und außer Landes gejagt wurde, ist kein wahrer Künstler? Schreibt man so Kunstgeschichte? »Kunst und alternative Kultur vor und nach 89« nennt sich das diffus.

Da wird auf Teufel komm raus ausgegrenzt, was das Zeug hält. Da hat nie einer auf der Großkundgebung im November 89 den Redekommentar zu seinen längst wirksamen Bildern geliefert. Wer außerhalb des inneren Zirkels Auserwählter sich kontrovers verhielt, zählt nicht mehr. Wer keine einschlägige Aktenlage nachweist, ist out. In Wahrheit lautet die Devise dieser Ausstellung »OHNE EUCH!« Souverän erkundetes breites Spektrum künstlerischer Leistungen? Fehlanzeige. Ein faires Akzeptieren der ganz objektiv variierenden Kunstziele des anderen scheint dem jeweils einen in Dresden nicht möglich.

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