Ablenkung in der Krise

Der FC Bayern redet lieber über Interviews als über die aktuelle sportliche Krise

  • Elisabeth Schlammerl, München
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieses Mal wollte Uli Hoeneß nicht wortlos das Stadion verlassen. Der Manager des FC Bayern München nahm sich viel Zeit, allerdings vor allem für Fragen, die nichts mit dem unbefriedigenden 1:1 gegen den FC Schalke 04 zu tun hatten. Dabei hätte es viel zu bereden gegeben über die sportliche Situation des Rekordmeisters: Die Mannschaft ist am Samstag auf den achten Platz in der Bundesliga abgerutscht. Sie tritt auf der Stelle, und die noch vor einer Woche von Hoeneß versprochene Herbstmeisterschaft ist höchst unrealistisch – all das geriet zur Nebensache und verantwortlich dafür waren Luca Toni und vor allem Philipp Lahm.

Der Italiener, weil er nach seiner Auswechslung noch vor dem Schlusspfiff das Stadion verließ. Der Deutsche, weil er am Spieltag per Zeitungsinterview der Vereinsführung Fehler in der Transferpolitik vorgeworfen hatte. In Manchester oder Barcelona würde ein System vorgegeben und dazu passendes Personal gekauft. »So etwas gibt es bei uns nicht«, sagte Lahm.

Hoeneß betonte, dass das Verhalten beider Spieler Konsequenzen haben werde. Toni kommt vermutlich glimpflich davon, weil sein Abgang als emotionale Kurzschlussreaktion gewertet werden kann. Lahm hingegen, erklärte Trainer Louis van Gaal, sei »ein Fall für den Vorstand«. Man werde zwar jetzt keine Urteilssprüche ankündigen, so Hoeneß, aber »Philipp wird uns das erklären müssen. Er hat gegen die Regeln verstoßen.« Und je länger er darüber dozierte, desto größer wurde der Zorn des Managers: »Er wird dieses Interview noch bedauern.«

Manchmal kommt den Verantwortlichen des FC Bayern eine Ablenkung in prekären Phasen wie der jetzigen ganz recht. Dieses Mal hat sie allerdings mit der unbefriedigenden sportlichen Situation zu tun. Dass Eigeninteressen einiger Spieler stärker als sonst über dem Gemeinwohl stehen, ist in München typisches Krisensyndrom. »Wir müssen jetzt alle zustammen halten. Wenn jeder seinen Weg geht, wird es schwer«, findet Innenverteidiger Daniel van Buyten, der am Samstag den Führungstreffer erzielte und zusammen mit Müller und Gomez der erfolgreichste Münchner Torschütze ist.

Philipp Lahm hat den Zeitpunkt für seine Kritik ganz bewusst gewählt und dazu den Weg über seinen Manager und nicht wie es der Klub verlangt über den Verein genommen. Seine Kritik kam für die Führung angeblich ziemlich überraschend. Er habe dies jedenfalls, so van Gaal, ihm gegenüber noch nie geäußert. Über Lahms Beweggründe wird nun viel spekuliert, und Hoeneß beteiligte sich daran gleich selbst. Das Interview trage die Handschrift von Lahms Manager Roman Grill, »der ja gerne bei uns arbeiten würde, nachdem es beim Hamburger SV nicht geklappt hatte.« Grill war dort Ende August als Sportdirektor im Gespräch.

Auf der anderen Seite ist Lahm kein unmündiger Profi, der sich instrumentalisieren lässt. Der stellvertretende Bayern-Kapitän wusste, was er anrichten würde. Dass er mit seiner Analyse nicht ganz falsch liegt, bringt ihm sicher den Beifall vieler Fans ein, und womöglich gibt ihm auch der eine oder andere Teamkollege insgeheim recht. Doch die Bosse werden sich vom Angestellten nicht ungestraft öffentlich kritisieren lassen. Uli Hoeneß hat sich die letzten Wochen seiner Amtszeit sicher nicht ganz so turbulent vorgestellt.

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