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Geheimtipp Gänsegeier

Hinter den sieben Bergen: Naturschutzgebiete in Südwest-Serbien

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 5 Min.
Abseits von Belgrad und Donau bieten sich in Serbien vor allem drei Reiseerkundungen an: eine auf den Spuren weströmischer Kaiser, eine inmitten orthodoxen Klosterlebens und schließlich eine durch atemberaubende Naturschutzgebiete. Letztere sind touristisch übrigens bislang am wenigsten entdeckt. Und es bleibt zu hoffen wie zu befürchten, dass sie bald nicht mehr als Geheimtipp gelten.
Gänsegeier auf Kontrollflug überm Uvac-Naturschutzgebiet
Gänsegeier auf Kontrollflug überm Uvac-Naturschutzgebiet

Nach einer etwa halbstündigen Fahrt auf dem Uvac-See im gleichnamigen südserbischen Naturreservat nimmt Steuermann Marko Obicina auch den letzten Gang raus. Das floßähnliche Gefährt liegt nun am Fuße des schroff aufragenden Uferkarstes fast still. Still ist es auch ringsum. Doch plötzlich aus der Höhe ein »tetete« und »gegege«. Miso Kucobridz, Leiter des Reservats, der mit an Bord ist, weist stumm mit einem Kopfnicken auf einen Felsvorsprung. Und da sitzen sie vor ihrem Horst, die Gänsegeier. Regungslos, erhabenen Kopfes, nur als Kontur deutlich sichtbar, wohingegen die Körper wegen des schwarzgrauen bis blassbraunen Gefieders vor dem felsigen Hintergrund schwer auszumachen sind. Nach ein paar Minuten stößt sich einer von der Felsnase ab. Rund zweieinhalb Meter Flügelspannweite lassen den weißköpfigen Riesenvogel gemächlich über See, Schiffchen und Ufergipfel ein paar Runden schweben. Dann genug, Landung, im Revier scheint ihm alles in Ordnung zu sein.

Zum Naturwunder gekürt

Nicht zuletzt wegen seiner Gänsegeier hatten die Leser der Belgrader Boulevardzeitung Vecerne Novosti das Uvac-Reservat im vergangenen Jahr zu einem der sieben Naturwunder Serbiens gewählt. »Gänsegeier waren selbst in Südosteuropa lange Zeit so gut wie ausgestorben«, erzählt der Reservatsleiter. »Wegen einer verhängnisvollen Nahrungskette: Den Wölfen wurden hier lange Zeit mit vergifteten Ködern zugesetzt. Die Geier fraßen die Kadaver und gingen massenhaft ein.« Erst in den 60er Jahren stießen wieder einige Exemplare aus Nordafrika und von den Pyrenäen auf den Balkan vor. »Anfang der 90er waren bei uns hier ganze neun Paare sesshaft, derzeit haben wir bereits 60 Nistplätze mit rund 200 Gänsegeiern«.

Um die Art dieser imposanten Segler wieder aufzupäppeln, musste der Mensch allerdings in den natürlichen Kreislauf eingreifen. Gänsegeier ernähren sich ausschließlich von Aas. Tierkadaver aber gibt es auch in der unberührten serbischen Mittelgebirgslandschaft immer weniger; einerseits wegen des Naturschutzes, andererseits wegen des Rückgangs der Schaf- und Ziegenherden.

»Da müssen wir nachhelfen«, erklärt Reservatshüter Marko Obicina, der hier nicht nur Bootsmann ist, sondern auch täglich mithilft, den Futterplatz der Geier zu belegen. Dafür sammeln die Reservatsleute jährlich 50 Tonnen Kadaverfleisch aus den umliegenden Landwirtschafts- und Schlachtbetrieben ein. Auf die Frage, ob das nicht doch eine etwas künstliche, ja übertriebene Bestandssicherung ist, schüttelt der junge Mann den Kopf und meint: »Die natürliche Nahrungskette ist doch von den Menschen auf unnatürliche Weise unterbrochen worden. Kadaver gibt es in Hülle und Fülle, sicher noch mehr als früher. Und warum soll daraus nur Hunde- und nicht auch Geierfutter werden.«

Die mehrstündige Bootstour zu den Gänsegeiern kann man bei der Reservatsverwaltung buchen. Zu erleben sind dort in den Lüften übrigens nicht nur sie, sondern auch Stein- und Fischadler. Im Wasser jagen die Fischotter, in den Wäldern ringsumher Luchse und Bären. Doch die touristische Infrastruktur ist, zurückhaltend formuliert, noch weitgehend naturbelassen. So finden zwar viele serbische Schulklassen den Weg hierher, doch aus dem Ausland kommen bislang im Wesentlichen nur Hobbyornithologen oder ganz versessene Naturparkfans.

Anders bereits am Zlatar-See, den man vom Uvas-See in nördlicher Richtung flussab nach etwa 20 Kilometern erreicht. Hier können Mirjana Zekovic und Leon Srnec bereits ein Stückchen touristische Zukunft vorführen. Frau Zekovic ist die zuständige Touristikerin des Landkreises, und Herr Srnec ist der, übrigens aus Slowenien stammende Investor eines für 1,2 Millionen Euro im serbischen Ethnostil erbauten Urlauberdörfchens. Holzbackofen, Gemüsebeete und Streuobstwiese inklusive.

In diesem Herbst zogen die ersten Urlaubsgäste ein. Von hier aus können sie zu ihren Touren ins Naturschutzgebiet ebenso aufbrechen wie zum Fischen oder Paddeln in und auf den nahen, ebenfalls gut erreichbaren nicht geschützten Seen und Flüsschen. »Tourismus war für uns hier schon immer wichtig, doch nun ist er zur Überlebensfrage für die ganze Region geworden«, sagt Mirjana Zekovic. Die zerfallenen Hallen einer Holzverarbeitungsfabrik an der Straße nach Kokin Brod verdeutlichen warum. Hier gingen 150 Arbeitsplätze verloren, doch im Ethnodorf wird es bestenfalls 20 neue geben.

Schönheit und Geschäft

Über Arbeitsplätze redet auch Miloje Ostojic. Was sich sehr prosaisch ausnimmt, stehen wir mit ihm doch gerade auf dem über 1800 Meter hohen Gipfel des Janov Kamen im Golija-Gebirge vor einem Landschaftspanorama, das von solchen Alltagsangelegenheiten geradezu entrückt. Doch Herr Ostojic ist als Tourismusmanager dieses Landkreises nicht nur für Schönheit, sondern auch fürs Geschäft verantwortlich. Dort und dort und dort, weist er rundum auf geplante Lifte. Er zählt unterschiedliche Schutzstufen auf, stellt naturschonend anzulegende Zufahrtswege in Aussicht und versichert, alle Vorhaben würden das unter UNESCO-Protektion stehende Biosphärenreservat, das Teil dieser Gegend ist, in keiner Weise beeinträchtigen, sondern vielmehr besser zur Geltung bringen.

Den Einwand, dass schon die Bedrohung einer einzigen winzigen Fledermausart zumindest mit dazu beigetragen habe, dass das Dresdner Elbtal von der Weltkulturerbeliste gestrichen wurde, tut er recht selbstsicher ab. »Wir sind uns durchaus bewusst, dass hier bei uns fünf europäische Großlebensräume mit all ihrer Artenvielfalt zusammentreffen, und daraus folgend der Verantwortung dafür. Doch dieses Naturerbe soll Menschen ja auch zugänglich gemacht werden«, sagt er. Und sicher hätte das Vlastimir Paresenovic einst nicht anders gesehen.

Dieser Botaniker und Lehrer hatte in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Golija-Naturschutzgebiet angeregt. Die Moravica, die hier entspringt, flussab steht nahe dem Dörfchen Kumanica mit seiner alten römischen Brücke ein Gedenkstein für Paresenovic. Mit einem eingemeißelten Satz von ihm: »Wenn jeder Mensch auf der Welt wüsste, dass irgendeiner aller Bäume ihm gehört, würde kein Baum gefällt werden.«

Sein Wort in der serbischen Touristikwirtschaft Ohr. Verantwortliche der in der Hauptstadt dafür zuständigen Organisation daraufhin angesprochen lässt hoffen, dass das Ohr dafür bislang noch sehr sensibel eingestellt ist. Doch der Druck zentraler Wirtschaftsgremien nähme zu, heißt es. Tourismus sei schließlich einer der ganz wenigen Wachstumsbranchen des Landes.

Nationale Tourismusorganisation Serbiens, Cika Ljubina 8, 11000 Belgrad, Tel.: (00381) 11 65 57-128 (auch deutsch), Internet: www.serbia.travel

Brigitta Gabriela Hannover Moser, Serbien, Trescher Verlag, Berlin, 2009, brosch., 480 S., 19,95 Euro.

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