Lebensversicherung für Buchmacher

Stefan Meurer vom Verband Europäischer Wettunternehmer über Frühwarnsysteme

  • Lesedauer: 4 Min.
Mit sogenannten Frühwarnsystemen versuchen Wettanbieter sich auf internationaler Ebene vor Manipulationen zu schützen. Der Sprecher des Verbandes der Europäischen Wettunternehmer, STEFAN MEURER, sprach mit ND-Mitarbeiter MARK WOLTER über die Handhabung und Tauglichkeit dieser Kontrollvorrichtungen.

ND: Wie kann es trotz Frühwarnsystem zu den nun aufgedeckten, weitreichenden Wettmanipulationen kommen?
Meurer: Das lässt sich nur dadurch erklären, dass keine großen Summen auf dem europäischen Wettmarkt platziert wurden, sondern bei Börsen in Asien. Bei uns gingen keine Alarmglocken los.

Wettunternehmer haben keine Unregelmäßigkeiten bei den unter Verdacht stehenden Partien, wie dem Spiel des SSV Ulm gegen Fenerbahce Istanbul, festgestellt?
Nein, aber im September gab es für uns ein schlechtes Wochenende, wo es Unregelmäßigkeiten gegeben haben könnte. Da wir das derzeit nochmal überprüfen, kann ich dazu nicht mehr sagen.

Wie funktionieren die Frühwarnsysteme?
Buchmacher definieren Wahrscheinlichkeiten, wie eine Partie ausgeht, und bieten Quoten für jedes Ergebnis an. Das wird heute natürlich alles computergestützt elektronisch erfasst. Kommen auf einmal hohe Einsätze auf eine bestimmte Partie, erhalten die Buchmacher eine Warnung und können die Wette überprüfen. Dafür gibt es schon seit langem das System Betradar, in dem europäische Buchmacher ihre Quoten melden und Veränderungen sichtbar werden. Über dieses System ist damals auch der Skandal um Robert Hoyzer aufgeflogen. Daneben gibt es von der UEFA oder FIFA auch andere, eigene Modelle, die Auffälligkeiten beobachten sollen.

Wie viele Sportwetten überwacht das System?
Alle. Das heißt nicht nur Fußballspiele, sondern auch andere Sportarten wie zum Beispiel Tennis. Die Systeme geben das heute her. Das ist eine Art Lebensversicherung für die Buchmacher.

Haben sich alle privaten Wettanbieter dem Überwachungssystem angeschlossen?
In Europa sind es sicherlich nahezu alle. Das sind etwa einhundert Anbieter mit mehr als 10 000 Annahmestellen, in Deutschland gibt es davon ungefähr 1500. Wettanbieter in Asien melden die bei ihnen gesetzten Summen genauso mit ein. Wenn die sogenannten asiatischen Wellen auf Europa zurollen, wird bei uns mit einem Zeitverzug von ungefähr einer halben Stunde Alarm geschlagen. Auch Wettanbieter im Internet überprüfen die Einsätze und regulieren mitunter die Wettmöglichkeiten herunter, wenn Unregelmäßigkeiten auftreten.

Wie kann dann jemand mit einem Informationsvorsprung noch hohe Beträge wetten?
Er muss jemanden finden, der seine Wette annimmt. Beispielsweise gibt es im Internet auch die Möglichkeit, selbst private Wetten anzubieten und gegen andere Leute zu spielen. Das Internetunternehmen stellt praktisch nur die Software und verdient an den gezahlten Gewinnen auf ihrer Plattform eine gewisse Provision. Die Firma hat also überhaupt kein Risiko. Sie müssen sich nur um Spieler bemühen, die gegeneinander wetten.

Sportwetten

  • Die Deutschen verwetten pro Jahr mehr als eine Milliarde Euro. Dabei haben Wetten auf Fußballspiele den einst klassischen Pferdewetten längst den Rang abgelaufen.
  • Staatlich lizenzierter Wettanbieter ist Oddset. Als ein Marktführer in Europa gilt der österreichische Wettanbieter bwin, der seinen Umsatz dort im Jahr 2008 auf 235 Millionen Euro gesteigert hat.
  • Immer mehr Wettspieler geben ihre Wetten inzwischen über das Internet ab. Oft jedoch haben die Online-Buchmacher gar keine Lizenz für das jeweilige Heimatland des Kunden. Im Gegenteil: Viele Wettanbieter im Internet haben ihren Firmensitz in »Steueroasen« wie Malta oder Gibraltar.
  • Im Fußball-Wettskandal 2005 um den ehemaligen Schiedsrichter Robert Hoyzer und seine Berliner Wettpaten Ante und Milan S. wurden Spiele aus den beiden Bundesligen, dem DFB-Pokal sowie der damaligen Regionalliga manipuliert. Dabei ging es vor allem darum, mit Wetten auf ungewöhnliche Ergebnisse hohe Gewinne zu erzielen. Spezielle Einzelwetten wie solche auf das erste Foul, die erste Gelbe Karte, den nächsten Eckstoß oder nächsten Einwurf machen das System für Manipulationen anfälliger.
  • Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Europäische Fußball-Union (UEFA) hatten auf den »Fall Hoyzer« reagiert. Es wurde ein sogenanntes Frühwarnsystem zur Überwachung des Wettmarktes (Sportradar) installiert. International agierende Banden umgehen es, indem sie auf dem asiatischen Markt wetten.
  • Beim Weltverband FIFA wurde das Frühwarnsystem EWS (Early Warning System) ins Leben gerufen. Nach Schätzungen der EWS-Experten könnten sich Einnahmen aus dem illegalen Wettgeschäft weltweit auf zwischen 80 bis 270 Milliarden Euro belaufen. SID/ND
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