Lachen für die Milieubildung

Eine flüchtige Nettigkeit in der Sauna erinnert unsere Kolumnistin an eine alte Freundin

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch beim Saunieren geht es um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Auch beim Saunieren geht es um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Dieses Lächeln! Die Frau mit dem Kurzhaarschnitt grinst schelmisch. Als würden wir uns kennen, als hätte sie einen Witz gemacht und wir müssten nun zusammen darüber lachen. Ich schließe die Augen und lehne mich an mein Handtuch. Gleich werde ich die Sauna verlassen, es ist zu heiß. Mein Herz poltert bereits.

Torgau, Dezember 2024. Ich bin für einen Erzählsalon ins nördliche Sachsen gereist. Wir treffen uns in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau, wir sind Frauen der Punkszene der DDR. Eingeladen hat uns der Herausgeber des Buches »Tanz auf dem Vulkan«, das ein Jahr später erscheinen wird und mehr als zwanzig Lebensgeschichten versammelt. Eine ist die von Sue.

Wir hatten einen Sommer. Sie tanzte bei jeder Gelegenheit, trank gern Sekt und lachte viel. Auf dem Karneval der Kulturen passte das, am Rande einer Aufarbeitungsveranstaltung weniger. Sie war wie ich auf beiden Seiten unterwegs – hatte innerhalb einer Subkultur Repressionen erlebt und forschte andererseits als Wissenschaftlerin und Publizistin zu Jugendkulturen der DDR. Wir waren uns sofort nah. Ich fragte, wo sie die letzten Jahre gesteckt habe. 

Über Wasser

Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.

Sue brauchte ein paar Monate, bis sie mir erzählte, wie sie mit sechzehn in ein Heim kam. Angeblich schwererziehbar. Weil sie sich weigerte, ihre Kontakte in Kirchenkreise und Punkszene abzubrechen. Ihre Mutter konnte sie nicht davor bewahren, Sue kam von September 1983 bis Juli 1984 in ein Spezial-Kinderheim in Hohenleuben. Als sie mit siebzehn Jahren entlassen wurde, litt sie unter Depressionen und Schmerzstörungen. 

Ich schwimme viel, erzähle ich Sue, als wir uns 2011 kennenlernen. Sie ist gerade zurück nach Berlin gezogen. Beim Tanzen kann man besser abschalten, meint sie. Es geht um Strategien, körperliche Erinnerungen an unsere Haftzeit auszutricksen. Mein Glück ist, dass ich erwachsen war, als ich nach meinem missglückten Fluchtversuch in Haft kam. Sue war ein Kind, das nicht wusste, wie ihm geschah. 

Sue wird rehabilitiert, studiert Pädagogik und beginnt eine Dissertation zu »Opfer-Täter-Gesprächskreisen in postsozialistischen Gesellschaften«, engagiert sich zur Aufarbeitung der Heim-Erziehung, schreibt über Punk. In ihrem mit Dirk Moldt verfassten Text Party totalitär schreibt Sue (bürgerlich Katharina Gaidukowa): »Die Zusammengehörigkeit der Punks entstand auch durch gemeinsames Lachen – ein bekannter Gruppen- oder Milieubildungsprozess.«

Über Mittag ist es herrlich ruhig im Aqua-Vita in Torgau. Ich bin eine halbe Stunde geschwommen und habe im Kinderbecken alle Massagedüsen getestet. Dann öffnet der Saunabereich. Dampf- und Aromasauna sind mir zu lasch, ich probiere die im Garten, strecke mich unterm Panoramafenster aus. Als mir zu heiß wird, setze ich mich auf. Jemand kommt herein und grinst.

Sue fehlt mir. Ihre Dämonen kehrten zurück, im Herbst 2011 ging sie in eine Klinik, im November hielt sie es nicht mehr aus und machte Schluss. 

Ich höre das freche Kicken einer Elster, als ich dampfend im Torgauer Gras stehe. Drehe mich zu der jungen Frau hinter der Scheibe und winke. Wir lachen uns an.

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