Als wir »Mr. Proper« ein Schnippchen schlugen

Mit der Brunnenstraße 183 wurde das zuletzt besetzte Haus Ostberlins geräumt – im Bezirk Mitte war das alternative Projekt schon 1997 ein Relikt aus einer anderen Zeit

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 6 Min.
Dies ist keine Reportage aus der Gegenwart, auch kein »Insiderbericht« aus der linken Berliner Hausbesetzerszene, mit denen sich Zeitungen in der Hauptstadt derzeit so gerne schmücken, sondern die Geschichte von zehn Linken, die im Frühjahr 1997 das letzte Haus in Ostberlin besetzten, das in der vergangenen Woche nach über zwölf Jahren geräumt wurde. Vor allem aber ist es meine ganz persönliche Geschichte.
Als wir »Mr. Proper« ein Schnippchen schlugen

»Ballast der Republik«. Das Graffito über dem Eingang zum Hinterhaus in der Brunnenstraße 183 im Bezirk Mitte gab es schon länger. Irgendwann in den »wilden« Jahren nach der Wende, von denen 1997 hauptsächlich in den Geschichten der älteren Hausbesetzer geschwärmt wurde, muss es jemand mit weißer Farbe über die Tür gepinselt haben. Als wir, in der Hauptsache norddeutsche Tieflandbewohner, nach Berlin-Mitte in die »Brunnen«, wie wir das Haus nannten, kamen, stand der größte Teil des Komplexes leer. Nur das Hinterhaus war bewohnbar, im Vorderhaus lebte noch ein Mieter aus DDR-Zeiten, der Seitenflügel war baupolizeilich gesperrt. Von einem linksalternativen Wohnprojekt konnte man zu diesem Zeitpunkt auch deshalb nicht sprechen, weil sich eine ganze Etage im Besitz von Rockern befand, die sogar richtige Mietverträge auf Papier hatten.

Rausschmiss der Rocker

Ob es sich um Mitglieder der Hells Angels handelte, die Bandidos gab es in Berlin damals ja noch nicht, bezweifle ich. Bloß dass wir gehörig Respekt hatten, ist mir noch in Erinnerung, als wir an einem herrlichen Frühlingstag im Jahr 1997 beschlossen, die Rocker-Etage in Besitz zu nehmen, um das ganze Hinterhaus zu besetzen. Wir rechneten mit einer heftigen Auseinandersetzung. »Det lassen die sich nie gefallen«, wurden wir gewarnt. Wer jemanden rausschmeißt, muss die Tür sichern. Gesagt, getan. Mit Schweißgeräten fertigten wir aus Eisenplatten eine neue, die die Tür-Angeln noch so gerade halten konnten. Die Rocker waren außer Haus. »Ballast der Republik« stand gegen Ende des Tages nicht mehr über Holz, sondern über Stahl. Weil wir uns aber alleine zu schwach für den befürchteten Angriff der Rocker fühlten, brauchten wir dringend Verstärkung.

Nicht weit entfernt am Rosenthaler Platz hingen damals noch nicht die Digitale Bohème mit Laptops und angehende Models rum, sondern Punks. Richtige Berliner Punker. Die hießen »Krätze«, »Kruste« oder »Terror«, ihre Hunde, die sie immer im Rudel begleiteten, hatten ähnliche Namen. Die Punks vom Rosenthaler Platz waren wirklich hart. Manche waren schon zu DDR-Zeiten mit Nieten und gefärbten Haaren durch die Gegend gezogen, sie erzählten ehrfurchtsvoll von der Prügel, die ihnen die Stasi verpasst hatte. Ende 1996 schoss mal ein Polizist mit seiner Dienstwaffe auf eine junge Punkerin, weil die angeblich ihren Hund nicht im Griff hatte. Glücklicherweise wurde sie nicht verletzt. Aber noch Tage später bestaunten wir die Einschusslöcher am Rosenthaler Platz – sie lagen auf Kopfhöhe.

Das waren die richtigen Verbündeten für unseren Kampf mit den Rockern. Doch weder »Solidaritätsaufrufe« noch »Hilfegesuche« brachten uns bei »Terror« und Co. weiter. Die Bundesgenossen hatten ihren Preis: Vier Kasten Sternburg-Bier plus Rauchwaren. Als die Rocker dann in den Hinterhof kamen, blieb das erwartete Gemetzel aus. Das »Urrääää«-Geschrei von 20 besoffenen Punks, die sich mit Stahlstangen und Baseballschlägern bewaffnet hatten, war selbst für die hartgesottenen Ledergesellen zu viel. Sie riefen dann lieber die Polizei, die aber wieder unverrichteter Dinge abzog. Am selben Abend kam ein Parlamentär der Lederfraktion in den Hof der »Brunnen«, um die »Übergabemodalitäten« zu verhandeln. Wir hatten gewonnen. Einfach so. Und in Mitte gab es auf einmal ein neues besetztes Haus: Die »Brunnenstraße 183«.

Ein freundlicher Herr in zu großer Uniform

Irgendwie rutschten wir durch. Unsere Okkupation blieb unbemerkt. Weder Behörden noch Polizei hatten was dagegen. Höchstens schaute ab und zu der »Kontaktbereichsbeamte« (KOB) vorbei, den es damals noch gab. Ein freundlicher Herr in einer zu großen Uniform mit Funkgerät, auf den das Feindbild »Bulle« so gar nicht zutreffen wollte. Seine Begehren waren meistens banal. Dabei war doch der ganze Vorgang der Besetzung ungeheuerlich. Schließlich gab es die »Berliner Linie«, nach der Neubesetzungen innerhalb von 24 Stunden geräumt werden müssen. Das alles geschah auch ausgerechnet in der Regentschaft des »Generals«. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), General der Bundeswehr a. D., versuchte, sich als »Saubermann« zu profilieren. Die linksradikale Szene verspottete ihn deshalb als »Mr. Proper«, frei nach dem Reinigungsmittel – hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass Schönbohm sich das betreffende Plakat der Linken in sein Büro gehängt habe. Für viele alternative Projekte bedeutete der »General« indes bitteren Ernst, denn zahlreiche Häuser und Bauwagenplätze wurden unter seiner Ägide geräumt.

An der Brunnenstraße 183 indes vergriff sich Schönbohm nicht. Wir haben ihm im Nachhinein betrachtet ein Schnippchen geschlagen. Dabei lag der Senat nur einen Steinwurf vom Hauskomplex entfernt: Gleich nebenan residierte nämlich die Senatsverwaltung – ausgerechnet – für Kultur, auch hier schwang zu dieser Zeit ein CDU-Senator das Zepter. Ob Peter Radunski die im Sommer schreiend aus dem Haus zur Dusche im Innenhof rennenden nackten Gestalten genauso beobachtete wie seine kopfschüttelnden Mitarbeiter, kann ich nicht sagen. Wir haben nie rausgefunden, wo sich sein Büro befand. Dennoch mussten wir oft darüber schmunzeln, unser alternatives Subkulturexperiment unter der direkten Beobachtung des CDU-Senats durchzuführen. Dass wir zu dieser Zeit kaum Stress hatten, mag letztlich freilich auch einem laufenden Rechtsstreit geschuldet gewesen sein: Unsere westdeutsche Besitzerin focht einen Rückübertragungsstreit mit der Jewish Claims Conference (JCC) aus. Dieser zog sich hin, wir machten uns über die historische Dimension wenig Gedanken. Wahrscheinlich nahm die Besitzerin, um überhaupt etwas zu bekommen, regelmäßig unsere Miete an, die wir als »Besetzer« monatlich überwiesen.

Das Herz des Projekts

Wer uns besuchen wollte, musste durch den Innenhof. Dann galt es die Fassade anzuschreien und zu hoffen, dass sich jemand erbarmte, einen Schlüssel hinunterzuwerfen. Im Sommer war der Hof das Herz des Projekts: Hier wurde gegärtnert und gepflanzt. Die Stauden kamen übrigens direkt vom Grünflächenamt, das Hofbegrünungen kostenlos unterstützte. Irgendjemand werkelte immer, machte etwas. Aus Stein, aus Stahl oder aus Holz. Das Prunkstück dieses künstlerischen Schaffens stand gleich am Eingang zum Hof: Ein Auto, dem wir das Dach abgenommen und stattdessen eine Hollywood-Schaukel raufgeschweißt hatten. Darauf konnte man prima durch Sonnenblumen schaukeln – oder knutschen.

»Brunnen« hieß auch, kollektiv politisch aktiv zu sein: Gemeinsam nach Gorleben zu fahren etwa, um gegen die Castor-Transporte im niedersächsischen Wendland zu protestieren. Oft ging es aber einfach um gemeinsamen Spaß: Zur Loveparade bauten wir mal eine rollbare Bar aus Eisen, mit der wir durch Mitte zogen, um an die zahllosen Techno-Touristen in der lauwarmen Nacht selbstgemixte Cocktails zu verscherbeln. Damals war das einigermaßen exotisch, heute gibt es diese Drinks nicht nur in Mitte an jeder Ecke. Wie in solchen Projekten üblich, kamen und gingen die Leute, wir, die wir die »Brunnen« besetzt hatten, verstreuten uns, das Projekt blieb – bis es vergangene Woche geräumt wurde.

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